Review aus Australien

Komplementärmedizin: Wenig belastbare Evidenzen

  • Autor:innen eines australischen Reviews kritisieren die Inkonsistenz der Empfehlungen zur Anwendung von Komplementärmedizin in der Schwangerschaft.

  • Komplementärmedizinische Anwendungen umfassen ein breites Spektrum möglicher Praktiken, die nicht Teil des klassischen medizinischen Versorgungssystems sind. Schätzungen zufolge wenden 63 % der australischen Bevölkerung komplementärmedizinische Praktiken an. Während der Schwangerschaft werden sie recht oft angewendet, jedoch gründen sich nur wenige Anwendungen auf belastbare Evidenzen. Ein australisches Forscher:innenteam führte kürzlich eine systematische Übersichtsarbeit durch, in der sie klinische Leitlinien zu komplementärmedizinischen Anwendungen während der Schwangerschaft genauer untersuchten: Welche Evidenzen liegen zu möglichem Nutzen und Schaden verschiedener Anwendungen und Praktiken vor? Welche relevanten aktuellen Leitlinien für australisches medizinisches Fachpersonal geben klare und eindeutige Empfehlungen ab? Ein Fokus lag auf dem Einsatz einer ergänzenden Vitamin- und Mineralstoffsupplementierung.

    Die Literaturrecherche zu vorhandenen Leitlinien wurde in verschiedenen internationalen Datenbanken sowie klinikinternen Leitlinien durchgeführt und durch zwei unabhängige Gutachter:innen bewertet. Eingeschlossen wurden 48 Leitlinien und Empfehlungen, die bis September 2020 publiziert wurden.

    In allen eingeschlossenen Publikationen wurde die ergänzende Gabe von Folsäure empfohlen. Jedoch enthielten 41 % die Empfehlung, sich nicht auf routinemäßige Vitamin- und Mineralstoffsupplementierung zu beschränken. Große Unterschiede in Bezug auf die Empfehlung hinsichtlich weiterer Vitamin- oder Mineralstoffgaben, beispielsweise Vitamin D und Calcium lagen vor. So wurden Gaben an Vitamin D empfohlen, die zwischen einer Tagesdosis von 400 IU und 2000 IU lagen. Hierbei wurde teilweise Bezug auf den vorliegenden Vitamin D-Spiegel genommen, woran die Dosierung angepasst wurde oder eine allgemeine Empfehlung ausgesprochen. Bedenken wurde in zwei Publikationen gegen eine Ergänzung durch Vitamin A und Vitamin E ausgesprochen.

    Für die Betreuung schwangerer Frauen mit Übergewicht lagen sieben Publikationen vor, die eine Nahrungsergänzung mit Vitamin B12, Vitamin D, Eisen, Folsäure und Calcium empfohlen. In fünf Publikationen wurde eine höhere Folsäuresubstitution empfohlen. Zur Stärkung der seelischen Gesundheit lagen indifferente Empfehlungen vor. 

    Die Autor:innen diskutieren einen Mangel an evidenzbasierten Leitlinien zur Betreuung während der Schwangerschaft im Bereich der Komplementärmedizin. Redaktionelle Unabhängigkeit lag in wenigen Publikationen vor. Sie kritisieren eine Inkonsistenz zwischen existierenden Leitlinien, die zu unterschiedlichen Versorgungspraktiken führen kann. Sie schlussfolgern, dass evidenzbasierte Leitlinien zu komplementärmedizinischen Anwendungen während der Schwangerschaft entwickelt werden sollten. Dabei sollten Interessensgruppen einbezogen und eine systematische Evidenzrecherche durchgeführt werden.

    Quelle: EE C et al.: Complementary medicines and therapies in clinical guidelines on pregnancy care: A systematic review. Women Birth 2021. http://dx.doi.org/10.1016/j.wombi.2021.08.003 ∙ DHZ

     

    Rubrik: Schwangerschaft

    Erscheinungsdatum: 15.11.2021