Mütterliche Notfälle im Wochenbett, Teil 1

Das Unerwartete erwarten

Erfahrene Hebammen wissen, das nicht nur während der Geburt, sondern auch in der postpartalen Betreuung Wachsamkeit und Respekt vor Unerwartetem angebracht sind. Nicht nur das Neugeborene in seiner empfindlichen Anpassungsphase kann schnell in eine prekäre Situation geraten, sondern auch die Mutter. Welche Komplikationen treten im Wochenbett auf, wie können sie erkannt und wie therapiert werden? Tara Franke
  • Auch leichte Pathologien können im Wochenbett schnell zu akuten und teils lebensbedrohlichen Notfällen führen, da die Frau geschwächt und die Wundfläche im Uterus groß ist.

  • Leichtere Pathologien können im Wochenbett aufgrund der geschwächten Situation der Frau und der großen Wundfläche im Uterus schneller als sonst zu akuten und teils lebensbedrohlichen Notfällen führen. Tatsächlich ist die Postpartalphase noch immer die Zeit mit den meisten mütterlichen Todesfällen (Saha et al. 2009). Diesen gilt es durch konsequente Prophylaxe und sorgfältige Beobachtung möglichst vorzubeugen und gegebenenfalls zügig und adäquat zu reagieren.

     

    Die Bandbreite möglicher Notfälle

     

    Schwere Wochenbett-Komplikationen können alle mütterlichen Systeme betreffen, wie den Urogenitaltrakt, die Brustdrüsen, das Herz und den Kreislauf, das Gerinnungssystem, das Immunsystem, den Leberstoffwechsel und die Psyche. Auch das Neuro-, Muskel- und Skelettsystem kann betroffen sein, beispielsweise nach einer Regionalanästhesie. Schwerwiegende und teilweise tödliche Komplikationen sind vor allem Thromboembolien, Blutungen, Blutdruckerkrankung und schwere Infektionen wie die Sepsis. Anhand der Gründe für eine klinische Aufnahme oder Wiederaufnahme nach der Geburt, die in der Abbildung beispielhaft dargestellt sind, zeigt sich, dass Wöchnerinnen tatsächlich eine ganze Bandbreite leichterer bis schwerer Komplikationen erleiden.

     

    Gründe einer postpartalen Wiederaufnahme in der Klinik: Untersucht wurde 2007 eine Kohorte von 222.751 Frauen nach der Geburt in 114 US-Kliniken, von denen 2.636 (1,2 %) innerhalb von 42 Tagen nach der Geburt wieder aufgenommen wurden (aufgeschlüsselt werden die Gründe nach dem ICD 9-Diagnose-Code).

     

    Fieber im Wochenbett

     

    Im ICD-10-Katalog wird das Puerperalfieber je nach Lokalisation weiter differenziert. Die häufigste Ursache des Wochenbettfiebers ist mit 84 % die Endometritis, also eine Infektion der Gebärmutterschleimhaut. Die Peritonitis betrifft das Bauchfell, während die Sepsis eine generalisierte Infektion und die Septikämie eine schwere Sepsis darstellt, bei der größere Mengen an Erregern oder deren Toxine im Blut nachweisbar sind. Weitere mögliche Komplikationen sind eine Infektion der Gebärmuttermuskulatur (Myometritis) oder des umliegenden Gewebes der Gebärmutter (Parametritis) oder ein Abszess im Becken (siehe Linkliste: msdmanuals1).

    Die Inzidenz des Puerperalfiebers wird in Deutschland mit etwa 5 % angegeben. Die Häufigkeit der postpartalen Endometritis wird vor allem durch den Geburtsmodus beeinflusst und beträgt bei vaginaler Geburt 1 bis 3 % , bei primärer Sectio 5 bis 15 % und bei sekundärem Kaiserschnitt 15 bis 20 % (siehe Link: msdmanuals2) Auch ein vorzeitiger Blasensprung und wiederholte vaginale Untersuchungen während der Geburt erhöhen das Risiko (siehe Link: cochrane1).

    Wochenbettfieber und die schwere Folgekomplikation einer Sepsis gehören nicht nur in sogenannten Entwicklungsländern zu den häufigsten Fällen mütterlicher Morbidität und Mortalität, sondern auch in der modernen Geburtshilfe – obwohl sie gut zu vermeiden und zu behandeln sind, wie ein Review aus 2013 feststellt (Maharaj 2007).

     

    Ursachen des Puerperalfiebers

     

    Beim Puerperalfieber handelt es sich in der Regel um eine Nosokomialinfektion. In einer Studie aus dem Jahr 2013 waren die drei häufigsten Nosokomialinfektionen postoperative Wundinfektionen (24,3 %), Harnwegsinfektionen (23,2 %) und untere Atemwegsinfektionen (21,7 %/Behnke et al. 2013) . Die interne fetale Überwachung, häufige vaginale Untersuchungen und die Sectio sind bekannte Risiken für eine nosokomiale Infektion im Wochenbett (siehe Link: msdmanuals).

    Die postpartale Endometritis wird meist durch mehrere Keime gleichzeitig hervorgerufen, wie Aerobiern und Anaerobiern aus dem Genitaltrakt (Newton et al. 1990), die über die Scheide und den geöffneten Muttermund in den Uterus gelangen. Nicht nur eine Infektion des Uterus, sondern auch infizierte Dammrisse, Episiotomien und Hämatome können – unabhängig von einer uterinen Infektion – ein Puerperalfieber auslösen. Die verantwortlichen Erreger sind meist Bakterien wie Streptokokken, Staphylokokken, Escherichia coli, Neisseria gonorrhoeae oder auch Chlamydien (AWMF 2016).

    Eine Wundinfektion der Kaiserschnittnaht, bei der der Wundbereich angeschwollen, gerötet, überwärmt und druckschmerzhaft ist, ist in 3 bis 5  % der Fälle mit einer Endometritis verknüpft. Bei einer eitrigen Infektion erfolgen eine offene Wundbehandlung und Antibiotikatherapie (Hohmann 2010).

    Einer Infektion kann auch ein Lochialstau vorangehen, meist als Folge einer mechanischen Behinderung des Lochialabflusses, beispielsweise durch Plazentaresiduen, Koagel oder Eihäute, einen vorzeitigen Zervixverschluss oder -spasmus, durch die Sectio oder durch eine fehlende Mobilisation der Frau.

    Dem Lochialstau folgende Infektionen können neben Uterusschleimhaut und Myometrium auch den Gebärmutterhals betreffen (Zervizitis) sowie den gesamten Urogenitaltrakt (Harnblase, Harnleiter und Nieren). Je nach Ursache und Lokalisation sind eine Dilatation der Zervix mit Hegarstiften oder eine Kürettage, die Gabe von Kontraktionsmitteln und/oder eine antibiotische Behandlung angezeigt.

     

    Symptome einer Endometritis puerperalis

     

    • leichter anhaltender Temperaturanstieg unter oder plötzlich auftretendes Fieber über 38°C
    • Kopfschmerzen, insbesondere Stirnkopfschmerz
    • Unterleibschmerzen, Druckschmerzen des Uterus (Seitenkantenschmerz)
    • subinvolutio uteri (großer, weicher Uterus)
    • Lochien ausbleibend oder vermindert oder auch wieder zunehmend, übel riechend

    Sind einige der Symptome vorhanden, die Gebärmutter aber unauffällig, muss an andere Infektionsorte gedacht werden wie Brust, Wunden oder Blase.

    Achtung: Alle werdenden und »frischen« Eltern sollten die Anzeichen kennen, damit sie schnell reagieren können und gegebenenfalls die Hebamme informieren oder ihre Gynäkologin bzw. ihren Gynäkologen aufsuchen.

     

    Vorbeugen ist besser als Heilen

     

    Zur Prophylaxe eines Lochialstaus achtet die Hebamme auf die Mobilisation der Frau, Bauchlage auf einem Kissen und frühes und häufiges Anlegen des Neugeborenen zur Auslösung von Nachwehen. Außerdem sollte die Frau zu einer regelmäßige Blasen- und Darmentleerung und Einhaltung der Hygiene ermutigt werden. Informationen über die korrekte Intimhygiene zur Vermeidung einer Verschleppung der Darmbakterien, Spülungen mit klarem warmem Wasser und die vorsorgliche Benutzung von Kondomen bei frühem Geschlechtsverkehr gehören ebenso dazu.

    Angesichts der zunehmenden Resistenzen und vor allem aufgrund der schwachen Studienlage empfiehlt Cochrane derzeit zur Vorbeugung einer Endometritis keine routinemäßige Antibiotikagabe – weder nach einer unkomplizierten Spontangeburt (Bonet et al. 2017a), noch nach Episiotomie (Bonet et al. 2017b), auch nicht nach Amnioninfektion (Siriwachirachai et al. 2014) oder vaginal-operativer Geburt (Liabsuetrakul et al. 2017).

    Bei einem Kaiserschnitt können dagegen prophylaktisch 30 bis 120 Minuten vor der Operation Antibiotika gegeben werden (Anonymous 2010). Ein systematisches Review mit 18 eingeschlossenen Studien kam 2018 zu dem Schluss, dass Frauen, die bereits präoperativ eine Antibiose erhielten, um 28 % seltener postpartale Infektionen zeigten als bei Antibiotikagabe nach dem Abnabeln des Kindes. Das Risiko bei präooperativer Gabe war für eine Endometritis um 43 % reduziert und für Wundinfektionen um 38 % (Bollig & Nothacker 2018). Seit 2010 empfiehlt neben dem Committee on Obstetric Practice des American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) auch die Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEG) die Antibiotikaprophylaxe vor Operationsbeginn. Inwieweit diese Empfehlung in deutschen Kliniken umgesetzt wird, ist nicht bekannt (siehe Link: dakj). Die aktuelle S3-Leitlinie der DGGG zur Sectio empfiehlt eine antibiotische Prophylaxe »vor Hautschnitt« (DGGG 2020).

    Derzeit ist eine bereits erfolgte Erkrankung zwar gut mit Antibiotika behandelbar. Diese bewirken aber leider auch eine anhaltende Beeinträchtigung des Darmmilieus der Mutter (Blaser 2016) – und der Erfolg muss mit zunehmenden Antibiotikaresistenzen nicht unbedingt für alle Zeit so zuverlässig bleiben. Daher ist und bleibt die Prophylaxe das wichtigste Instrument.

     

    Tipps zur Prophylaxe von Infektionen im Wochenbett

     

    • Eine routinemäßige vaginale Untersuchung der Wöchnerin zur Entlassung aus der Klinik ist aus der erhöhten Infektionsgefahr heraus kritisch zu sehen.
    • Eine konsequente Händedesinfektion und Hygiene im klinischen Umfeld sind wichtige Instrumente.
    • Häufiges Wechseln der Binden und Spülungen mit klarem Wasser unter hygienischen Bedingungen reduzieren die Keimzahl.
    • BesucherInnen einer Wöchnerin sollten deutlich darauf hingewiesen werden, dass sie frei von akuten Infektionen sein sollten.
    • Streptokokkeninfektionen im familiären Umfeld wie Mandelentzündung oder Scharlach bergen ein Ansteckungsrisiko!

    Achtung: Die wichtigste Prophylaxe ist eine gewissenhafte Hygieneeinhaltung bei Personal, Familie und BesucherInnen.

     

    Zeitnahe Behandlung

     

    Eine erfolgreiche Behandlung durch die Fachärztin oder den Facharzt kann eine Ermittlung der genauen Erregerart durch einen Abstrich aus Scheide und Zervix hilfreich sein. Um Komplikationen wie eine Sepsis oder Entzündung umliegender Organe ausschließen zu können, sind ein Ultraschall und eine Blutanalyse (Blutbild, C-reaktives Protein/CRP und Gerinnung) sinnvoll (siehe Link gesundheits-fakten).

    Eine gezielte Antibiose und Uterotonika sollten innerhalb von 48 Stunden zu einer deutlichen Besserung führen. Cochrane empfiehlt auf der Basis eines Reviews von 2015 hierfür eine Kombination aus Clindamycin and Gentamicin (siehe Link: cochrane2; Mackeen et al. 2015 ). Zur weiteren Überwachung von Kreislauf und Labor sowie zur Schonung bleibt die Patientin in der Klinik. Im Verlauf eines Puerperalfiebers sind regelmäßige Kontrollen der entsprechende Parameter (Temperatur, Lochien, Fundus, Labor) wichtig, um eine Sepsis auszuschließen.

    Bleibt trotz Behandlung das Fieber weiterhin über mehr als 48 bis 72 Stunden auf der erreichten Maximaltemperatur bestehen, sollten andere Ursachen abgeklärt werden, beispielsweise eine Thrombo­phlebitis oder ein Abszess im Becken (siehe Link: msdmanuals3).

     

    Die Puerperalsepsis

     

    Bei Nichterkennen beziehungsweise Nichtbehandlung eines Puerperalfiebers droht eine Sepsis, eine lebensbedrohlich fortschreitende Infektion der Gebärmutterschleimhaut, des Bauchfells oder der Nieren. Bei einer Sepsis ist die Verlegung auf eine Intensivstation notwendig.

    Noch immer geht die Puerperalsepsis mit einer hohen Letalität zwischen 20 und 60 % einher (Petersen 1997). Eine frühe Erkennung und Behandlung sind entscheidend (Singer et al. 2016). Als Maximalkomplikation bei Nichterkennen oder Verschleppen beziehungsweise Nichtanschlagen der Medikamente (beispielsweise bei multiresistenten Keimen) kann ein septischer Schock eintreten. Dabei tritt eine kritische Verringerung der Gewebedurchblutung und Hypotonie auf und es kann zum akuten Versagen zahlreicher Organsysteme kommen wie Lungen, Nieren und Leber.

     

    Symptome einer Puerperalsepsis

     

    • erhöhte Temperatur über 39°C, evtl. Schüttelfrost
    • Gliederschmerzen, Grippegefühl, starke Müdigkeit
    • niedriger Blutdruck
    • Übelkeit, Erbrechen, Durchfall
    • innere Unruhe, Herzrasen
    • Atembeschleunigung, flacher Atem

    Treten neben diesen Symptomen Anzeichen eines Kapillar­leck­syndroms auf, wie ein aufgeblähter Bauch oder ein rasselndes Geräusch beim Atmen, ist an weitere schwere Komplikationen einer Streptokokken A-Infektion zu denken wie Aszites, Lungenödem oder Pleuraerguss (Kaiser et al. 2018), und höchste Eile geboten.

    Teil 2

    Im zweiten Teil des Artikels betrachtet die Autorin die Folgen von Gerinnungsstörungen.

    Rubrik: Ausgabe 1/2021

    Erscheinungsdatum: 22.12.2020

    Literatur

    Deutsche Akademie für Kinder – und Jugendmedizin e.V.: Committee opinion no. 465: antimicrobial prophylaxis for cesarean delivery: timing of administration. Obstet Gynecol 2010. 116:791–79. https://dakj.de/wp-content/uploads/2017/06/2017-dakj-perioperative-antibiotikaprophylaxe-kaiserschnittentbindung.pdf

    Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V: Infektionen mit Chlamydia trachomatis; AWMF-Register Nr. 059/005 Klasse: S2k 2016

    Behnke M et al.: Nosokomiale Infektionen und Antibiotika-Anwendung: Zweite nationale Prävalenzstudie in Deutschland. Deutsches Ärzteblatt 2013. 110(38): 627–33

    Belfort MA, Clark SL, Saade GR., Kleja K, Dildy III GA, Van Veen TR, Kofford S: Hospital readmission after delivery: evidence for an increased incidence of nonurogenital infection in the immediate postpartum period. American Journal of Obstetrics and Gynecology 2010. 202(1), 35-e1

    Blaser MJ: Antibiotic use and its consequences for the...

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