Diagnostische Tests werden oft fehlinterpretiert

Bei der Entnahme des NIPT ist eine gute Aufklärung über das tatsächliche Krankheitsrisiko essenziell.
Um die Genauigkeit von diagnostischen Tests zu erfassen, werden meist die Spezifität oder die Sensitivität kommuniziert – so auch bei nichtinvasiven Pränataltests (NIPT). Weit seltener ist die Rede vom prädiktiven Vorhersagewert. Dabei hätte vor allem der positiv prädiktive Vorhersagewert (PPV) bei diesem Bluttest für Schwangere „eine wesentliche Bedeutung“, sagt Klaus Koch, Wissenschaftsjournalist und Ressortleiter "Gesundheitsinformation" beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Im Falle des NIPT, für den Krankenkassen künftig bei Risikoschwangerschaften die Kosten übernehmen werden, ist daher eine detaillierte Patienteninformation beim IQWiG in Arbeit.
Die Sensitivität eines klinischen Tests bezieht sich auf die Fähigkeit des Tests, die PatientInnen mit einer Krankheit korrekt zu identifizieren (richtig-positiv). Die Spezifität eines klinischen Tests gibt dagegen die Fähigkeit des Tests an, die PatientInnen ohne die Krankheit korrekt zu identifizieren (richtig-negativ).
Der prädiktive Vorhersagewert trifft im Gegensatz dazu eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient oder eine Patientin bei positivem Testergebnis auch wirklich krank ist und bei negativem Ergebnis gesund. Dafür wird die Prävalenz der Erkrankung hinzugezogen, die abhängig vom Alter oder anderen Faktoren schwanken kann. Diese zusätzliche Variable führt bei diagnostischen Tests zu stark abweichenden Risikowerten.
Anbieter des NIPT kommunizieren fast ausschließlich die erstgenannten beiden Werte. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) argumentiere einzig über Sensitivität und Spezifität, kritisiert Alexander Weichert, Perinatalmediziner an der Charité Berlin.
Der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) hat den Beschluss des G-BA zur Änderung der Mutterschafts-Richtlinien kritisiert. Die praktische Aussagekraft des Tests sei deutlich geringer als darin kommuniziert, so der BVNP. In Abhängigkeit vom Alter zeige sich eine weit schlechtere Vorhersagekraft, als es Sensitivität und Spezifität vermuten lassen. Die Prävalenz der Trisomie 21 in der 16. Schwangerschaftswoche für eine Frau im Alter von 20 Jahren beträgt 1 von 1.177 Frauen. Bei einem positiven Test auf Trisomie 21 liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Testergebnis richtig-positiv ist, bei nur 48 %. Ist das Testergebnis negativ, ist es mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99 % tatsächlich korrekt. „Beim NIPT hat insbesondere der positiv-prädiktive Wert eine wesentliche Bedeutung, weil er die Aussage vermittelt, dass ein positiver NIPT keine sichere Diagnose ist“, erklärt Koch. Je nach Risiko der Frau weise ein erheblicher Teil der Kinder trotz positivem Ergebnis doch keine Trisomie auf. Zur Abklärung seien daher weitere Untersuchungen nötig.
Weit weniger aussagekräftig sind positive Ergebnisse des Bluttests für Trisomie 18 und 13. Während Spezifität und Sensitivität unabhängig vom Alter bei 99,87 % beziehungsweise 96,3 % liegen, zeigt der PPV auch hier weit niedrigere Werte. Für eine 20 Jahre alte schwangere Frau liegt die Prävalenz, ein Kind mit Trisomie 18 zu bekommen, bei 1 zu 4.584. Bei einem positiven Test auf Trisomie 18 liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Testergebnis richtig-positiv ist bei 14 % (PPV), für Trisomie 13 sogar nur bei 6 %. Für eine Frau im Alter von 40 Jahren steigt der PPV auf 69 % – fast jedes dritte Kind ist demnach bei Geburt trotz positivem Ergebnis doch nicht krank. Im Falle eines auffälligen Ultraschalls sei weiterhin die invasive Abklärung mittels Fruchtwasserentnahme (Amniozentese) indiziert, sofern die Schwangere das Recht auf Wissen wahrnehmen möchte.
Weichert plädiert daher dafür, neben den „oft irreführenden Werten für Spezifität und Sensitivität“ auch den prädiktiven Wert zu vermitteln. Dieser prävalenzabhängige Vorhersagewert sei nicht nur im Falle eines NIPT aussagekräftiger für ÄrztInnen und Patientinnen. Zudem ist er der Ansicht, dass ausschließlich ExpertInnen die komplexen Ergebnisse des NIPT vermitteln sollten. Eine gute Aufklärung über das tatsächliche Risiko und die Aussagekraft statischer Risikowerte sei essenziell, um Kurzschlussreaktionen wie etwa einen Schwangerschaftsabbruch zu vermeiden.
Lesen Sie dazu in Kürze mehr in der DHZ.
Quelle: aerzteblatt.de, 29.1.2020 ∙ DHZ