Wunschkinderproduktion in der Ukraine

Die gemietete Gebär-Mutter

Die Reproduktionsmedizin eröffnet Menschen, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können, eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich diesen Traum zu erfüllen – auch die der Leihmutterschaft. Doch was passiert, wenn der Frauenkörper und das Kind zur Ware werden – ist das moralisch haltbar? Und was passiert mit den geborenen Kindern, wie finden sie ihren Weg zu ihren »Auftraggeber:innen«? – Während die deutsche Ampelregierung über eine Legalisierung nachsinnt, stand Leihmutterschaft in der Ukraine noch vor dem Krieg politisch auf dem Prüfstand. Gerade dort ist der Markt um die Leihmutterschaft seit Jahren etabliert – mit schlimmen Auswirkungen auf die Beteiligten, die im Krieg um das Überleben kämpfen müssen. Melanie M. Klimmer
  • Unter Kriegsbedingungen können nun zwischen der Geburt und der Abholung der Wunschkinder Tage und Wochen verstreichen, weil die Anreise ins Kriegsgebiet für die Bestelleltern gefährlich und kompliziert ist.

  • Das Geschäft mit der sogenannten »assistierten Reproduktion« in der Ukraine war bereits vor Beginn des Krieges Ende Februar 2022 am internationalen Markt etabliert. Dutzende Vermittlungsagenturen für Leihmutterschaft und rund 50 mit ihnen kooperierende Fertilitätskliniken boten zu relativ günstigen All-inclusive-Konditionen die Dienste von Leihmüttern an. Auf diesem Weg kamen in der Ukraine jährlich bis zu 2.000 Kinder für Wunscheltern auf die Welt (Deutschle, 2022).

    Ungeachtet der Umstände, unter denen Leihmütter und die in ihnen heranwachsenden Feten – für ausschließlich heterosexuelle Ehepaare aus dem In- und Ausland – nun gebären und unter denen die Neugeborenen abgeholt werden, halten immer noch einige Vermittlungsagenturen dieses Geschäftsmodell in der Ukraine aufrecht, darunter auch BioTexCom, die größte unter ihnen. Nur ein Teil der Agenturen, wie zum Beispiel GestLife mit vielen anderen Standorten weltweit, hat das Angebot in der Ukraine vorübergehend eingestellt.

    Das nach Außen vermittelte Bild, es laufe weiterhin alles planmäßig, und für die Sicherheit der Leihmütter und Neugeborenen sei selbst unter Einsatz bewaffneter Freiwilliger gesorgt, wird lediglich von Berichten getrübt, in denen Leihmütter in speziell eingerichteten Luftschutzbunkern der Reproduktionskliniken gebären, kaum Nahrung oder Medikamente erhalten und unmittelbar nach der Geburt auf die Straße gesetzt werden (Carthaus, 2022).

     

    Hospitäler unter Beschuss

     

    Viele Hospitäler in der Ukraine befinden sich im Ausnahmezustand, so auch die Ochmatdyt-Kinderklinik, das größte Kinderkrankenhaus in Kiew. Zur normalen medizinischen Versorgung, zu der Geburten gehören, kommen seit dem Überfall auf die Ukraine unzählige kriegsversehrte Kinder jeden Alters hinzu. Auch die Hospitäler selbst werden regelmäßig Ziel russischer Angriffe. So dokumentierte die Weltgesundheitsorganisation bis Mitte August 2022 allein in der Ukraine 445 völkerrechtswidrige militärische Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur (WHO, o.D.). Berichte und Fotos von zerstörten Geburtsstationen und den dabei verletzten oder getöteten Schwangeren gingen um die Welt. Dennoch machen sich hunderte, bei Agenturen angestellte Leihmütter in der Ukraine vertragskonform auf zu ihren regelmäßigen Untersuchungen in den Vertragskliniken, die sich hauptsächlich im offenen Kriegsgebiet in Kiew oder Charkiw befinden, um sich untersuchen zu lassen und das Kind dort schließlich gesund zur Welt zu bringen. Für die lebensgefährliche Anreise und den Aufenthalt oft schon Wochen vor der Geburt, müssen Leihmütter ihre eigenen Kinder in der Ungewissheit zu Hause zurücklassen.

     

    Hintergründe für eine Leihmutterschaft

     

    Seit Kriegsausbruch ist es Leihmüttern kaum möglich, aus einem kostspieligen All-inclusive-Programm für besser gestellte, kinderlose Paare auszusteigen oder ins Ausland, zum Beispiel zu den Wunscheltern, zu flüchten. Sie müssen doch in der Vertragsklinik gebären. Die Gründe, warum sich ukrainische Frauen für eine Leihmutterschaft entscheiden, sind in den meisten Fällen ökonomische. So verdienen Frauen, die bei einer Leihmutterschafts-Agentur angestellt sind, viermal mehr als bei einer anderen beruflichen Tätigkeit. Einige Frauen unter ihnen sind alleinerziehend und wählen diese Einkommensquelle als einzig zu vereinbarende neben der Erziehung ihrer eigenen Kinder und zur Erfüllung einer eigenen materiellen Existenz. Die Entscheidung vieler ukrainischer Frauen, Leihmutter zu werden, ist daher weit weniger frei, als vielen Kinderwunsch-Eltern vermittelt wird.

    Viele Frauen sehen in den Leihmutterschaftsprogrammen eine Chance auf ein sicheres Einkommen, von dem sie und ihre Familien über Jahre profitieren können. Am deutlichsten zeigt sich die Situation von Leihmüttern in Indien, wo diese häufig aus Familie und Dorfgemeinschaft ausgeschlossen und gezwungen werden, ihr Zuhause zu verlassen, solange sie ein fremdes Kind austragen (Karandikar, 2014). Dass Frauen Ausgrenzung und Stigmatisierung selbst von nächsten Angehörigen in Kauf nehmen, zeigt doch, dass sie aus Not handeln, um ihre Familien durchzubringen.

     

    Gründe für eine Leihmutterschaft

     

    Angeborene Fehlbildungen und Fehlfunktionen

    z.B. Frauen mit

    • fehlender oder fehlgebildeter Gebärmutter
    • vernarbten Eileitern
    • Hormonstörungen.

    Anamnestische Gründe

    z.B. Frauen

    • mit Endometriose
    • nach Hysterektomie
    • nach einer Krebserkrankung und/oder radiologischen Behandlungen
    • und/oder deren Männer, die starke Medikamente einnehmen müssen

    Biologische Ursachen und Begrenzungen

    • gleichgeschlechtliche Paare, die ein gemeinsames Kind oder mehrere Kinder haben möchten
    • alleinstehende Männer und Frauen, die mit einem Kind eine Familie gründen möchten
    • Frauen nach der Menopause
    • Männer mit zu geringer Anzahl an oder wenig beweglichen Spermien.

    Psychogene Ursachen

    • mehrere erfolglose künstliche Befruchtungen und/oder Fehlgeburten
    • wenn eine Adoption aufgrund des höheren Lebensalters der Wunscheltern nicht mehr möglich ist

    Quelle: Melanie M. Klimmer

     

    Die gläserne Leihmutter

     

    Abbildung 1: Prozess einer Leihmutterschaft in der Ukraine

    Abbildung: © Melanie M. Klimmer

     

    Hat sich eine Ukrainerin entschieden, Leihmutter zu werden, wird sie von der Reproduktionsklinik, mit der ein Vertrag zustande kommen soll, erst einmal auf ihre physische und psychische Eignung hin untersucht. Ukrainische Frauen, die Leihmutter werden möchten und zwischen 18 und 35 Jahren alt sein dürfen, müssen einen gesunden Lebensstil führen und bereits mindestens ein eigenes Kind zur Welt gebracht haben. Vor allem aber müssen sie den Nachweis erbringen, dass sie körperlich und psychisch gesund sind, und dafür zahlreiche Untersuchungen über sich ergehen lassen, darunter Zervix- und Vaginalabstriche, Sonografie der Milchdrüsen, Sonografie des kleinen Beckens, Mammografie oder diverse Blutuntersuchungen.

    Ist eine Frau von einem verheirateten, heterosexuellen Paar per Katalog als Leihmutter ausgewählt und angenommen

     

    Abbildung 2: Rechtsstatus von Leihmutterschaft in ausgewählten Staaten.

    Abbildung: © Melanie M. Klimmer

    worden und ist nach den Kriterien der Agenturen geeignet, werden im Rahmen des All-inclusive-Angebots für Wunscheltern auch ihre ärztlichen Befunde, wie Ultraschall- und Laborergebnisse während der gesamten Schwangerschaft regelmäßig an die Bestelleltern übermittelt. Befinden sich die Neugeborenen nach der Geburt noch in Luftschutzbunkern, werden auch von dort fast täglich Foto- und Videoaufnahmen an die beabsichtigten Eltern versendet. Es wird alles dafür getan, dass die genetischen Eltern die Schwangerschaft mitverfolgen und eine »Bindung« zum Kind aufbauen können. Intimität und Schutz, wie sie ein Kind im natürlichen Werdungsprozess normalerweise erleben darf und wie sie Garanten für einen guten Start ins Leben und für die Familiengesundheit als Ganzes darstellen, werden nun vielen weiteren Personen zugänglich und damit öffentlich.

     

     

    Modularisierung natürlicher Vorgänge

     

    Mit den Fortschritten in der Reproduktionsmedizin, dem ersten »Retorten-Baby« 1978 und der ersten Leihmutterschaft in den 1990er Jahren, entwickelte sich die »assistierte Reproduktion« inzwischen weltweit zu einem Milliardengeschäft, das nach Schätzungen von Expert:innen noch weiter zunehmen wird (GMI, 2021). Wo zuvor noch die Kinderwunschmedizin dazu diente, Fruchtbarkeitsstörungen zu behandeln und Wunscheltern ein Familienleben nach dem Muster Vater-Mutter-Kind zu ermöglichen (Beck, 2017), hat sich nicht nur das Familienbild pluralisiert, sondern auch die Definition von Gesundheit und Krankheit in der Gesellschaft grundlegend gewandelt.

    Menschen, denen es durch natürliche Grenzen nicht möglich ist, eine Familie zu gründen, fordern nun aufgrund des vielfältigen Familienbildes und der Chancen, welche die moderne Reproduktionsmedizin ermöglicht, das Recht ein, sich auch als gesunder Mensch medizinischen Behandlungen zu unterziehen und ein Kind zu haben.

     

    Kommerzialisierung intimer Lebensbereiche

     

    Die Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin haben dazu geführt, dass jeder einzelne Prozess des Werdens eines Menschen von der Befruchtung und Empfängnis über die Schwangerschaft und Geburt bis hin zum Aufziehen eines Kindes räumlich, zeitlich und sozial voneinander entkoppelt, dem intimen Lebensbereich enthoben, modularisiert und schließlich »kommodifiziert« (zu einer Ware) werden kann und keine intime Einheit mehr bilden muss (Beck, 2017). Am Entstehen und Werden eines Menschen sind dann mehrere »Mütter« und »Väter« beteiligt, die auf der ganzen Welt verstreut leben, unterschiedlichen nationalen Gesetzgebungen unterliegen und bezahlt werden. Es entstehen »gespaltene Mutter- und Vaterschaften«, indem zwischen genetischer, biologischer und sozialer Mutter- und Vaterschaft und deren Interessen und Wünschen unterschieden wird. Neue soziale Kategorien, wie »schwule Väter« oder »genetische Mütter« entstehen, schaffen aber auch neue soziale Probleme und politischen Handlungsbedarf, weil auch die elterliche Verantwortung entkoppelt wird und ein »Niemandsland elterlicher Verantwortung« entsteht (Beck, 2017).

    Auf der einen Seite stehen die Wunscheltern, die ein Risiko für eine andere Frau, eine andere Familie erzeugen, dafür bezahlen und davon profitieren. Die Leihmutter aber könnte sterben oder eine Fehlgeburt mit Folgen für ihre psychische Gesundheit erleiden. Auf der anderen Seite ist also die Leihmutter mit ihrer Familie, die das Risiko trägt (Beck, 2017) und unter dem besonderen Druck steht, dass alles gut geht. Diese Frau setzt ihre eigene, gesundheitliche und emotionale Lebenskraft für die Erfüllung eines fremden Kinderwunsches ein. Sie nimmt dafür auch Stigmatisierungen in der eigenen Gesellschaft in Kauf, obwohl Leihmutterschaft in vielen Ländern legal ist.

     

    Gesundheitsrisiken durch Krieg

     

    Bereits im Vorfeld einer Leihmutterschwangerschaft bestehen gesundheitliche Risiken. Nur etwa jeder dritte Embryonentransfer ist erfolgreich. Die Leihmutter muss sich Hormonbehandlungen unterziehen, damit sich der pränatal selektierte und in vitro kultivierte Embryo in ihrer Gebärmutterschleimhaut einnisten kann. Dieser Vorgang muss so lange in der Reproduktionsklinik wiederholt werden, bis der Schwangerschaftstest positiv ausfällt. Psyche und Körper der Leihmutter müssen sich auf jede physisch, hormonell und körperlich sehr anspruchsvolle Schwangerschaft neu einstellen und sich anschließend wieder normalisieren. Ein glücklicher Verlauf und Ausgang der Schwangerschaft ist nie planbar.

    Leihmütter nehmen erhebliche gesundheitliche Risiken auf sich, selbst wenn sie gesund und gut untersucht in die Schwangerschaft gehen. Wie bei jeder anderen Schwangerschaft auch können sie perinatale Komplikationen erleiden, wie Uterusrupturen, Hämorrhagie, Uterusatonie und andere Komplikationen, die sie für eine andere Frau tragen. Hinzu kommt, dass Schwangerschaften unter Einflüssen des Krieges, der Flucht, ökonomischer und sozialer Unsicherheit mit Mehrbelastungen für die Leihmutter und den Fetus einhergehen und das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen sich erhöht. Immer wieder erleiden Ersatzmütter Fehl- oder Totgeburten.

     

    Unterschied zur natürlichen Schwangerschaft?

     

    Eine Forscher:innengruppe um die Wissenschaftlerin Viveca Söderström-Anttila an der Fertilitätsklinik der Väestöliitto Clinic in Helsinki, Finnland, will in einer aufwendigen Literaturstudie festgestellt haben, dass es keinen relevanten Unterschied zwischen natürlichen und Leihmutterschwangerschaften gibt und sich die Kinder, die daraus hervorgehen, normal entwickeln (Söderström-Anttila, 2016). Die Art der Fragestellungen, die Perspektiven, die sie eröffnen und das wissenschaftliche Umfeld, in der eine Studie entsteht, bestimmen stets die Forschungsergebnisse. So klammert die Studie entscheidende Punkte aus: die psychische Entwicklung der Wunschkinder über das zehnte Lebensjahr hinaus, obwohl gerade während der Pubertät die eigentliche Identitätsentwicklung stattfindet, die Bedingungen unter denen Leihmütter die Kinder hergeben, wie sie nach der Geburt und nach Komplikationen betreut werden und welchen Einfluss das auf ihre langfristige, seelische Gesundheit nimmt. Dennoch kommt die Literaturstudie vorschnell zu dem Schluss, dass es keine Bedenken braucht, wenn Frauen als »Gebärdienstleisterinnen« den Traum anderer von einem Kind erfüllen.

    Hinter jeder bezifferten Prozentzahl an Sectiones caesareae und Hysterektomien, die bei Leihmüttern vorgenommen werden und die nicht anders sein mögen als bei einer Schwangerschaft auf natürlichem Weg, hinter jeder dokumentierten Fehlgeburt stehen Schicksale. Keine Leihmutter wird es je kaltlassen, wenn es zu Komplikationen kommt. Sie muss die körperlichen und emotionalen Konsequenzen tragen, was umso schwerer fällt, wenn die Bestelleltern sich danach von ihr abwenden und/oder unmittelbar nach Abgabe des Kindes den weiteren Kontakt abbrechen.

     

    Erste Bindungstraumata

     

    Die Entstehung einer Bindung zwischen Mutter und Kind sowie vom Vater zur Mutter hin zum Kind wird durch viele Aspekte beeinflusst: von physiologischen Faktoren wie Hormonen, dem Austausch der Botenstoffe, dem gemeinsamen Blutkreislauf, dem Herzschlag und der Stimme der Mutter, die der Fetus von Anbeginn hört (die Ohren bilden sich als Erstes aus), über soziale Faktoren, wie Einbindung oder Nicht-Einbindung der Mutter in einer Familie, psychischen Faktoren, wie geteilte Freude und geteiltes Leid, bis hin zu Umweltfaktoren wie dem Miterleben des Krieges und der wirtschaftlichen und materiellen Unsicherheit der Menschen in der Ukraine.

    Bereits mit Ausbruch der Corona-Pandemie gab es Berichte aus der Ukraine, dass Neugeborene aus diversen Leihmutterschaftsprogrammen nicht abgeholt werden konnten. Unter Kriegsbedingungen können nun zwischen der Geburt und der Abholung der Wunschkinder durch die Bestelleltern Tage und Wochen verstreichen, weil die Anreise ins Kriegsgebiet für diese gefährlich und kompliziert ist. Auch die Ausreise kann sich hinziehen, bis die notwendigen Dokumente für das Kind erstellt sind. Die deutsche Botschaft in Kiew und andere für die Anerkennung des Wunschkindes in der neuen Heimat relevante Behörden können derzeit weniger konstant arbeiten – Unsicherheitsfaktoren, welche die ersten Lebenswochen des Kindes mitprägen.

    Die in der Zeit bis zur Abholung meist von Nannys betreuten Neugeborenen erleben währenddessen bereits die ersten Bindungsabbrüche in ihrem Leben durch die Trennung von der Leihmutter, mit der sie Unsicherheiten und Ängste geteilt haben, und dann von der Nanny, die sie mitunter im Bunker betreut hat. Die »bestellten« Wunschkinder sollen sich im Anschluss an diese ersten existenziellen Erfahrungen in einer kulturell, sozial und ökonomisch völlig anderen (Kriegs-)Umgebung dann in einer völlig neuen Familie und einem neuen Umfeld einfinden, Anpassungsleistungen erbringen, sich wohlfühlen und den Wunscheltern Freude bereiten.

    Die postpartale Trennung hinterlässt auch bei Leihmüttern Spuren, gerade wenn sie um das Leben des Fetus gebangt, alles für sein Überleben getan, ihre eigene Gesundheit und ihre eigenen Kinder dafür zurückgestellt haben und die Bestelleltern dann, nach der Entbindung, den Kontakt zur Leihmutter unterbinden.

     

    Ausblick

     

    Die für die perinatale Versorgung so wichtige Zusammenarbeit von Gynäkolog:innen, Kinderärzt:innen, Hebammen und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger:innen, um die Mütter-, Kinder- und die Familiengesundheit zu stärken, entfällt bei einer Leihmutterschaft weitestgehend. Offen bleibt, wie Leihmütter nach der Geburt eines Wunschkindes physisch und psychisch aufgefangen werden. Frauen, die keinen Kontakt mehr zum Kind haben dürfen, das sie geboren haben, leiden stärker und anhaltender an den Folgen einer Trennung, wie Gespräche mit Leihmüttern zeigen.

    Bislang gibt es keinen geeigneten Rechtsrahmen in der Ukraine und damit keinen ausreichenden Schutz von Leihmüttern im Falle einer willkürlichen Auslegung von Verträgen durch Agenturen, Kliniken und Bestelleltern. Es gibt keine Garantien für eine materielle Entschädigung bei Vertragsverletzungen und auch keine Kontrollen (Klymchuk, 2018). So liegt es im Ermessen von Agenturen und Vertragskliniken zu entscheiden, ob es sich bereits um eine Vertragsverletzung mit finanziellen Abstrichen für die Leihmutter handelt, wenn sie aus Sicherheitsgründen nicht zu jeder Untersuchung in die Klinik kommt oder sie während der Schwangerschaft bei den Wunscheltern im Ausland lebt.

    Zurück bleibt ein großer Graubereich: Was passiert, wenn beabsichtigte Eltern das bestellte Kind ablehnen, weil sich die Umstände geändert haben, sich das Paar vielleicht getrennt hat oder ein Elternteil gestorben ist und sich der andere die Erziehung allein nicht zutraut? Was, wenn es unter der Geburt Komplikationen gibt und das Kind Schaden nimmt oder die Leihmutter selbst unter der Geburt stirbt? Was wird dann aus ihrer Familie? Und wie weit dürfen die Ansprüche der Bestelleltern gehen? Dürfen sie eine Sectio caesarea fordern, nur weil sie die Leihmutter bezahlt haben (Deutschle, 2022) und zum Beispiel einen bestimmten Geburtstermin wünschen?

     

    Die rechtliche Dimension

     

    Die Vermittlung von Leihmüttern ist in Deutschland nach dem Adoptionsvermittlungsgesetz § 13d (AdVermG) und dem Bürgerlichen Gesetzbuch § 1591 (BGB) verboten. Ärzt:innen, Hebammen oder Vermittlungsagenturen machen sich nach deutschem Recht strafbar, sobald sie Wunscheltern und Leihmütter vermitteln (§1 Abs.1 Nr.7 ESchG). Gegenüber Leihmüttern und beabsichtigten Eltern lässt das Gesetz ein kleines Schlupfloch, indem es ihnen ermöglicht, sich auf privatem Wege zu finden (§ 14b Abs. 3 AdVermG). Eine Ordnungswidrigkeit nach § 14 b Abs. 3 AdVermiG und § 1 Abs. 3 Nr. 2 ESchG begehen sie dann, wenn eine dauerhafte und grobe Vernachlässigung sowie eine Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht gegen Entlohnung vorliegt (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c sowie Abs. 3 AdVermG). Eventuelle Ansprüche und Forderungen hinsichtlich einer Abgabe oder Annahme des Kindes sind nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, da es sich dann um eine »Ware Kind« handeln würde.

    Da die Justiz nur innerhalb der jeweiligen nationalen Gesetze agieren kann und sich die Vermittlungsagenturen für Leihmütter und Fertilitätskliniken an die Systemlücken optimal anpassen, gelingt es kaum, gegen Missbrauch und Menschenhandel vorzugehen. Kommt zum Beispiel ein Kind mit Fehlbildungen oder Trisomie 21 zur Welt und die Bestelleltern lehnen es ab, das Neugeborene abzuholen, können durch Rechtsstreit und die Adoption durch Dritte Jahre ins Land gehen, in denen das Kind kein Zuhause findet, wie der Fall »Bridget« aus den USA zeigte (Neshitov, 2022).

    Die rechtliche Mutterschaft

    Es wird nur diejenige Frau vor dem deutschen Gesetz als rechtmäßige Mutter eines Kindes anerkannt, die dieses zur Welt gebracht hat; entsprechend ist nach deutschem Recht auch eine Leihmutter, die ein Kind für eine andere Frau ausgetragen hat, dessen rechtmäßige Mutter (§ 1591 BGB). Dahinter liegt der Grundgedanke, dass die Frau, die das Kind austrägt, während Schwangerschaft und Geburt eine körperliche und psychosoziale Bindung und Beziehung zu ihm aufbaut (s. Bindungsanalyse nach Hidas & Raffai). Eine »gespaltene Mutterschaft« ist in Deutschland nicht vorgesehen. In der Ukraine ist auch die genetische Elternschaft, zum Beispiel die der Wunscheltern, rechtlich anerkannt und gebilligt. Eine deutsche Wunschmutter kann ein Kind, das in der Ukraine von einer Ersatzmutter geboren wurde, daher nur auf dem Weg der Adoption nach Deutschland holen, insofern es für das Wohl des Kindes »erforderlich« ist und davon ausgegangen werden kann, dass ein Eltern-Kind-Verhältnis entstehen wird (§ 1741 Abs. 1 Satz 2 BGB).

    Die rechtliche Vaterschaft

    Bei einer verheirateten Leihmutter ist der Ehemann Vater des Kindes. Der genetische Vater kann jedoch sein Recht einklagen. Ist die Leihmutter unverheiratet, kann sie einer beabsichtigten Vaterschaft zustimmen (§ 1595 Abs. 1 BGB), während dieser die Vaterschaft lediglich anerkennen muss (§ 1592 Nr. 2 und § 1594 ff. BGB).

     

    Nach ukrainischem Recht sind Leihmütter zwar ihrer elterlichen Pflicht nach der Geburt entbunden. Doch was ist, wenn das Kind nicht gleich abgeholt werden kann, es Verzögerungen gibt – kann sie ihre moralische Pflicht, ihre emotionale Bindung zum Kind einfach so abstellen oder bleibt sie wirksam bestehen? Werden Fragen und ein Vakuum in ihrem Leben zurückbleiben, an dem sie länger tragen wird?

    Leihmutterschaft zu legalisieren kann nur vordergründig problemlösend sein; hintergründig wird es viele neue Probleme schaffen, nicht zuletzt deshalb, weil Wunscheltern nach Kriterien des günstigeren Angebots auf dem Weltmarkt entscheiden werden. Internationale Regelungen existieren nicht, um Menschenhandel zu unterbinden. Der Frauenkörper wird zum Kapital gemacht zulasten der einzelnen Frau, die das Leid, das Risiko und die Konsequenzen erträgt, um im Kapitalismus überleben zu können. Während sich die Ampelregierung zum Ziel gesetzt hat, Leihmutterschaft in Deutschland zu legalisieren und damit einen neuen »Beruf« zu schaffen, findet in der Ukraine und vielen anderen Teilen der Welt bereits ein Umdenken und eine Umkehrung dieses Prozesses statt. Noch vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine war eine stärkere Reglementierung oder sogar ein Verbot von Leihmutterschaft zum Schutz von Leihmüttern und Wunschkindern im Gespräch und Diskussionsthema in der ukrainischen Politik.

     

    Glossar

     

    Altruistische Leihmutterschaft (zumeist intra-familial): Die Ersatzmutter erhält für die ihr aufgrund der Schwangerschaft für ein Familienmitglied entstandenen Kosten eine finanzielle Entschädigung.

    Kommerzielle Leihmutterschaft (außerfamilial): Die Leihmutter oder »gebärdienstleistende Frau« erhält eine monetäre Vergütung dafür, dass sie für eine alleinstehende Person oder ein fremdes Paar mit Kinderwunsch, die sogenannten Bestelleltern oder beabsichtigten Eltern, ein oder mehrere Kinder austrägt.

    Traditionelle Leihmutterschaft: Die Leihmutter stellt ihre eigenen Eizellen zur Verfügung.

    Gestationsleihmutterschaft (von lat. gestare = tragen): Das Wunschkind ist das genetische Kind des Paares.

    Rubrik: Ausgabe 11/2022

    Erscheinungsdatum: 27.10.2022

    Literatur

    Beck, U. (2017). Die Metamorphose der Welt. Suhrkamp.

    Blanco S. (2018). The dark side of Ukraine’s surrogacy boom. El País, Oct 01. https://english.elpais.com/elpais/2018/09/27/inenglish/1538051520_476218.html

    Berdnyk, M. (2020). Leihmütter. Ich bin nicht Mutter Teresa: Warum eine Ukrainerin zur Leihmutter wurde. Deutsche Welle.

    Carthaus, A. (2022). Krieg in der Ukraine. Ukrainische Leihmütter zwischen den Fronten. Deutsche Welle, https://www.dw.com/de/ukrainische-leihm%C3%BCtter-zwischen-den-fronten/a-61263581

    Deutschle, D. (2022). Ein Baby aus Kiew – Geboren im Krieg. hr-Fernsehen, 14.7.2022, 21.45 Uhr.

    Global Market Insights. (2021). Surrogacy Market Size. https://www.gminsights.com/industry-analysis/surrogacy-market

    Bagcchi, S. et al. (2014). Mothers who turn to surrogacy to support their families face ostracism, study shows. BMJ, 348:g3257. doi: https://doi.org/10.1136/bmj.g3257

    Klymchuk, O. (2018). Reproduktionsmedizin. Ukraine: Das...

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