Einfluss der Hebamme auf die Episiotomierate
Nach einer Episiotomie bei einer vaginalen Geburt können Frauen kurz- und langfristige Probleme entwickeln: Schmerzen, Unwohlsein oder eine verzögerte Erholung nach der Geburt. Obwohl die einzige evidenzbasierte Indikation für die Durchführung einer Episiotomie derzeit die fetale Indikation umfasst, wird die Durchführung einer Episiotomie selbst kontrovers diskutiert: Befürworter:innen argumentieren mit der vorausschauenden Vermeidung schwerer Rissverletzungen dritten oder vierten Grades. Dem gegenüber steht das Argument, dass die Episiotomie selbst einen Risikofaktor darstellt, der zu einer schweren Rissverletzung mit Beteiligung des Afterschließmuskels führen kann.
Unter Berücksichtigung dieser kontroversen grundlegenden Ansichten wurden individuelle Faktoren klinisch arbeitender Hebammen in den Niederlanden untersucht, die unter gleichen Arbeitsbedingungen tätig waren: Was hat zu Variationen in der Episiotomierate beigetragen?
Eine retrospektive Kohortenstudie unter 27 Hebammen wurde in einem niederländischen Krankenhaus (Amsterdam) im Jahr 2016 durchgeführt (n=1.302 Geburten). Individuelle Faktoren jeder Hebamme wurden mit Hilfe eines Fragebogens erhoben. Diese Daten wurden in Bezug zur tatsächlich durchgeführten Episiotomierate jeder Hebamme gesetzt und evaluiert.
Die durchschnittliche Episiotomierate unter allen Geburten betrug 12,7 % und lag bei den einzelnen Hebammen zwischen 3,2 % bis 30,8 %. Der Großteil der Episiotomien wurde mit 67,5 % aufgrund fetaler Indikation durchgeführt. Am häufigsten wurde eine Episiotomie bei Erstgebärenden durchgeführt: 19,4 % aller Erstgebärenden hatten im Vergleich zu 7,1 % aller Zweitgebärenden und 1,3 % aller Dritt- oder höhergradiger Mehrgebärender eine Episiotomie. Die Ergebnisse zeigten besonders bei erstgebärenden Frauen eine große Spannbreite in Bezug auf die begleitende Hebamme: Die Episiotomierate betrug zwischen 7,9 % und 47,8 %. Keine signifikanten Unterschiede wurden hinsichtlich des Auftretens von Dammrissen dritten oder vierten Grades festgestellt. Insgesamt hatten 424 Gebärende (32,5 %) ein intaktes Perineum. Hierbei existierte eine Spannweite von 21,4 % bis 49,4 % unter den Hebammen.
Der Evaluation des Fragebogens zeigte, dass ein Großteil der Hebammen das Studium in Amsterdam/Groningen absolviert hatte und mehr als die Hälfte aller Hebammen sich im Masterstudium befanden oder dies bereits abgeschlossen hatten. Es bestanden große Unterschiede in der Berufserfahrung, die zwischen 0 und 27 Jahren lag. Die Mehrheit der Hebammen (69,6 %) unterschätzte die Anzahl der eigenen durchgeführte Episiotomien, denn fast alle Hebammen schätzten diese auf weniger als 10 %. Je länger der Berufsabschluss zurück lag, desto höher war die Wahrscheinlichkeit für die Durchführung einer Episiotomie. Bei Hebammen mit einem Bachelorabschluss aus Rotterdam lag die Episiotomierate niedriger als bei Hebammen, die in Amsterdam/Groningen studiert hatten.
Die Autorinnen resümieren, dass individuelle Faktoren klinisch arbeitender Hebammen die Episiotomierate beeinflussen. Einflussreiche Faktoren waren die Dauer des zurückliegenden Berufsabschlusses sowie der Studienort an dem der Bachelor-Abschluss erworben wurde. Sie geben zu bedenken, dass eine kontinuierliche Schulung der aktuellen Evidenzlage unter klinisch arbeitender Hebammen dazu beitragen könnte, die Anzahl überflüssiger Episiotomien zu reduzieren: Der Fokus könne darauf gerichtet werden, dass als einzige evidenzbasierte Indikation kindlicher Stress unter der Geburt die Durchführung einer Episiotomie begründe.
Simmelink, R. et al. (2023). The influence of the attending midwife on the occurrence of episiotomy: A retrospective cohort study. Midwifery, 125. doi: https://doi.org/10.1016/j.midw.2023.103773 ∙ Beate Ramsayer/DHZ