Grounded-Theory-Studie unter Aboriginals und Hebammen

Ist der »Edinburgh Postnatal Depression Score« geeignet?

  • Aboriginal-Wöchnerinnen profitieren von der standardisierten EPDS zur Feststellung einer postpartalen Depression, wenn die Hebamme den Raum öffnet für vertiefende Gespräche.

  • Der Edinburgh Postnatal Depression Score (EPDS) gilt als standardisiertes, eigenständiges Instrument, mit dem Frauen nach der Geburt selbst das Risiko einer Postpartalen Depression (PPD) einschätzen können. Hebammen wird die Anwendung des EPDS während der Betreuung im Wochenbett empfohlen: Anhand der Evaluation der Ergebnisse des zehnstufigen Fragebogens kann präventiv Unterstützung bei Frauen geleistet werden, die ein erhöhtes Risiko für eine PPD haben.

    Bislang wurde die kulturelle Eignung des EDPS nicht für das Umfeld australischer Ureinwohnerinnen (Aboriginals) untersucht. Anhand einer qualitativen Studie wurde diese nun unter ihnen und deren betreuenden Hebammen im Rahmen einer Grounded-Theory Studie evaluiert. Die betreuenden Hebammen waren keine Aboriginals, betreuten diese aber im Rahmen der Schwangerenvorsorge und Nachsorge. Die Frauen wurden im Rahmen der Schwangerenvorsorge in einem australischen Gesundheitszentrum rekrutiert. Die qualitativen Daten wurden anhand halbstrukturierter Interviews mit 13 Frauen und 10 Hebammen gewonnen.

    Die Frauen äußerten überwiegend positive Ansichten über den EPDS, vor allem in Bezug auf Fragen hinsichtlich der Beziehung zur betreuenden Hebamme. Sie beurteilten die Fragen als gut verständlich, einige hatten lediglich ambivalente Gefühle zu Frage 10: »Ich hatte den Gedanken, mir selbst etwas anzutun«, weil diese Gedanken offensichtlich kulturell nicht thematisiert werden. 

    Die befragten Hebammen äußerten sich hingegen eher skeptisch, da sie den EPDS nicht als standardisiertes, eigenständiges Instrument, sondern als Gesprächseinstieg für umfassendere Gespräche nutzten. So waren Erklärungen beispielsweise zu Frage 6 (»Ich fühlte mich durch verschiedene Umstände überfordert.«) sowie Frage 7 (»Ich war so unglücklich, weil ich nur schlecht schlafen konnte.«) bei verschiedenen Frauen erforderlich, weil sie die Fragen in der Kürze der Formulierung oder inhaltlich nicht richtig verstanden.

    Die befragten Hebammen brachten ihre Überraschung zum Ausdruck, dass die Frauen den EPDS nicht als Zeitverschwendung, sondern sinnvolle Ergänzung der Betreuung empfanden, weil mentale Aspekte thematisiert wurden. Eine Wöchnerin fasst zusammen: »Weil es mir schwerfällt, über schwierige Gedanken zu sprechen, hilft es mir, diese Fragen auf dem Papier zu beantworten, indem ich einfach ankreuzen kann. So ist es einfacher für mich und die Hebamme, darüber ins Gespräch zu kommen.«

    Um die unterschiedlichen Ansichten zwischen Hebammen und Wöchnerinnen besser einordnen zu können, wurden Mikroprozesse im Interview bewertet. Deren Auswertung zeigte, dass eigentlich erst die gezielte Nachfrage der Hebamme und der sich daraus entwickelnde Dialog zwischen Wöchnerin und Hebamme zu einem tieferen Verständnis des Depressionsrisikos geführt hatten. In diesem Zusammenhang schlägt eine Wöchnerin vor: »Vielleicht könnte gefragt werden, wie Frauen mit den verschiedenen Umgebungsfaktoren einen Umgang finden, indem auch die individuellen Familienstrukturen berücksichtigt werden.«

    Die Autor:innen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass eine unkommentierte Anwendung der standardisierten EPDS bei Aboriginals kulturell eher nicht sinnvoll sei, da verschiedene Fragen offensichtlich nicht selbsterklärend für sie wären. Sie empfehlen eine nicht-standardisierte Anwendung des EPDS anhand des 10-stufigen EPDS-Fragebogens, der durch weitere Fragen ergänzt wird und im Dialog mit der Frau beantwortet wird.

    Quelle: Chan, A. W., Reid, C., Skeffington, P., Groman, E. & Marriott, R. 2022. Experiences of using the Edinburgh Postnatal Depression Scale in the context of antenatal care for Aboriginal mothers: Women and midwives' perspectives. Women Birth, 35, 367-377. DOI: https://doi.org/10.1016/j.wombi.2021.09.004 ∙ DHZ

    Rubrik: Wochenbett

    Erscheinungsdatum: 29.08.2022