Langzeitstudie aus den USA

Erhöhen Entzündungen in der Schwangerschaft das Demenzrisiko der Kinder?

  • Was aus den Kindern einer Familienstudie von 1959 bis 1966 wurde, haben jetzt Forschende aus Boston untersucht.

  • Kinder, die im Bauch der Mutter erhöhten Konzentrationen von entzündlichen Zytokinen ausgesetzt waren, hatten im Grundschulalter schlechtere Ergebnisse in einem Leistungstest und zeigten im mittleren Erwachsenenalter erste kognitive Schwächen, die laut einer Langzeitstudie in Molecular Psychiatry mit Veränderungen in der funktionellen Magnetresonanztomografie einhergingen.

    Bei Frauen machten sich die Defizite erst nach der Menopause bemerkbar, allerdings mit einer deutlichen Verschlechterung. Verschiedene epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Stressoren in der Schwangerschaft lebenslange Folgen für die Kinder haben können.

    Die bekannteste Bestätigung dieser DOHaD-Hypothese (Developmental origins of health and disease) liefern die Folgen des »Hungerwinters« 1944/45 in den Niederlanden unter deutscher Besatzung. Die Kinder der damals schwangeren Frauen litten im späteren Leben häufiger als andere Geburtsjahrgänge an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schizophrenie oder einem Typ-2-Diabetes.

    Als möglicher Pathomechanismus wird eine maternale Immunaktivierung (MIA) diskutiert. Der durch Mangel oder Krankheiten ausgelöste Anstieg der entzündlichen Zytokine wie IL-6 oder TNF-alpha prägt danach die Entwicklung der Kinder nachhaltig. Sie zeigen lebenslang eine erhöhte Neigung zu Entzündungen und chronischen Erkrankungen. Bislang stützt sich die DOHaD-Hypothese vor allem auf tierexperimentelle Studien.

     

    Familiendaten von 1959 bis 1966

     

    Die »New England Family Study« bot US-Forscher:innen jetzt die Gelegenheit, die Zusammenhänge auch beim Menschen zu untersuchen. Die Studie hatte zwischen 1959 und 1966 die Entwicklung von fast 18.000 Kindern in den ersten sieben Lebensjahren untersucht. Damals waren auch Blutproben von den Müttern während der Schwangerschaft archiviert worden.

    Ein Team um Jill Goldstein vom Massachusetts General Hospital in Boston konnte jetzt 204 Teilnehmende der Studie im Alter von 45 bis 55 Jahren untersuchen. Die Forschenden untersuchten die Entzündungsparameter im Blut, führten eine funktionelle Magnetresonanztomografie und verschiedene Gedächtnistests durch. Die Ergebnisse wurden dann mit den Blutuntersuchungen der Mütter während der Schwangerschaft verglichen. Die Forschenden recherchierten außerdem die Ergebnisse eines Tests zu den schulischen Fähigkeiten, den die Teilnehmenden als Kinder im Alter von sieben Jahren absolviert hatten.

     

    Unterschiede zwischen Frauen und Männern

     

    Ergebnis: Bei den Männern von 45 bis 55 Jahren war eine erhöhte Exposition gegenüber mütterlichem TNF-alpha und IL-6 mit einer verminderten Gedächtnisleistung und Störungen in der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) verbunden. Im fMRT kam es bei bestimmten Gedächtnistests zu einer schwächeren Aktivierung von Hirnregionen wie dem präfrontalen Kortex und dem Hippocampus, die für diese Aufgaben benötigt werden. Bei Frauen war dies nicht der Fall.

    Bei ihnen war die MIA erst nach der Menopause mit einer Verschlechterung der Ergebnisse in den Gedächtnistests verbunden. Der Abfall fiel dann allerdings deutlich aus.

    Die Vermittlung der MIA könnte über dauerhaft erhöhte Entzündungsparameter erklärt werden, die die Forschenden bei den Blutuntersuchungen bei Männern und Frauen fanden. Sie fielen umso stärker aus, je mehr IL-6 und TNF-alpha die Teilnehmer vor der Geburt im Bauch der Mutter ausgesetzt waren.

    Eine Assoziation zwischen der MIA und den kognitiven Leistungen war bereits bei den Schultests im Alter von sieben Jahren erkennbar. Die Fähigkeiten in Lesen, Schreiben und Rechnen waren umso geringer, je höher der Entzündungsstress im Uterus war.

    Die Frage, ob die maternale Immunaktivierung für die erhöhte Rate von Demenzerkrankungen von Frauen im Alter mitverantwortlich ist, wie Goldstein vermutet, konnte die Studie nicht klären, weil die Teilnehmenden noch nicht das Alter erreicht haben, in dem Morbus Alzheimer und andere Demenzerkrankungen zunehmen.

    Quelle: Goldstein, J. M., Konishi, K., Aroner, S., Lee, H., Remington, A., Chitnis, T., Buka, S. L., Hornig, M., & Tobet, S. A. (2024). Prenatal immune origins of brain aging differ by sex. Molecular psychiatry, 10.1038/s41380-024-02798-w. Advance online publication. https://doi.org/10.1038/s41380-024-02798-w ∙ aerzteblatt.de, 2.12.2024/DHZ

    Rubrik: Schwangerschaft

    Erscheinungsdatum: 03.12.2024