Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention

Falsches Signal

  • Der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen löste in der Türkei lautstarken Protest aus.

  • Der Austritt der Türkei aus einem internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen vor Gewalt hat große Empörung ausgelöst. Aus Protest gingen in Istanbul Tausende Menschen auf die Straße.

    Die Demonstrantinnen skandierten: »Nehmt die Entscheidung zurück, wendet die Konvention an«. Auch in anderen Landesteilen gab es Kundgebungen. Die Bundesregierung sprach von einem falschen Signal an Europa, aber vor allem an die Frauen in der Türkei. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell äußerte in einer Erklärung völliges Unverständnis für die Entscheidung und forderte Ankara dazu auf, diese rückgängig zu machen. Türkische Oppositionsvertreter warnen vor einem drohenden Kulturkampf.

    Die Bundesregierung sprach von einem falschen Signal an Europa, aber vor allem an die Frauen in der Türkei. Die EU äußerte in einer Erklärung völliges Unverständnis für die Entscheidung und forderte Ankara dazu auf, diese rückgängig zu machen. US-Präsident Joe Biden kritisierte den Rückzug aus dem Pakt als »sehr enttäuschend«. Türkische Oppositionsvertreter warnen vor einem Kulturkampf. Erdogans Büro wies die Vorwürfe zurück und beteuerte, Frauen würden weiter geschützt.

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte in der Nacht zu Samstag per Dekret den Austritt aus der sogenannten Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen verkündet. Juristen kritisieren allerdings, der Präsident könne nicht im Alleingang über den Ausstieg entscheiden. Das internationale Abkommen war 2011 vom Europarat ausgearbeitet worden. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen und dazu einen Rechtsrahmen zu schaffen. Ziel ist eine »echte Gleichstellung von Frauen und Männern«.

    Erdogan selbst hatte die Konvention in Istanbul – dem Ort der finalen Einigung – unterschrieben, damals noch als Ministerpräsident. Später wurde sie in der Türkei entsprechend ratifiziert. Frauenorganisationen kritisieren aber auch, dass Gesetze, die auf Basis der Konvention verabschiedet wurden, von Gerichten nicht konsequent umgesetzt wurden.

    Eines dieser Gesetze trägt die Nummer 6284 und berechtigt Betroffene laut der Organisation »Mor Cati« etwa dazu, Schutz in einem Frauenhaus, temporären Schutz durch Begleitungen, eine einstweilige Verfügung oder finanzielle Unterstützung zu bekommen. Millionen von Frauen, Kindern und LGBT-Menschen, also Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern, würden diese lebensrettenden Maßnahmen nun entzogen, so der Anwalt Veysel Ok.

    Der Jurist und Abgeordnete der oppositionellen Deva-Partei Mustafa Yeneroglu kritisierte, dass Erdogan den Austritt per Dekret verkündete, obwohl er das Parlament hätte befragen müssen. Mit dem Dekret wähle der Präsident den Weg kalkulierter gesellschaftlicher Spaltung, sagte der in Deutschland aufgewachsene Yeneroglu. Yeneroglu wertet das Vorgehen als »Machtdemonstration«, mit der Erdogan seine religiös-konservative Machtbasis auf sich einschwören wolle, und als »die Vorbereitung eines Kulturkampfes«. Viele Menschen im Land seien der Überzeugung, dass die Istanbul-Konvention die Lebensweise homosexueller Menschen fördere – und sähen das als Bedrohung »traditioneller Werte«, so Yeneroglu.

    Erdogans Kommunikationsdirektion erklärte am 20. März, die Istanbul-Konvention sei von Menschen vereinnahmt worden, »die versuchten, Homosexualität zu normalisieren – was unvereinbar mit den sozialen und familiären Werten der Türkei ist.« Der Austritt aus der Konvention bedeute keineswegs, dass die Türkei den Schutz von Frauen aufs Spiel setze. Die rechtlichen Mechanismen dazu bestünden weiterhin.

    Der Europarat bedauerte den Austritt. Damit würden die Türkei und türkische Frauen ein »wichtiges Instrument« verlieren, hieß es in einer am Sonntag in Straßburg veröffentlichten Erklärung. Zugleich appellierte der Europarat an die Regierung in Ankara, das internationale System zum Schutz von Frauen nicht zu schwächen. In einer vom Weißen Haus in Washington verbreiteten Mitteilung hieß es: »Dies ist ein entmutigender Rückschritt für die internationale Bewegung, die Gewalt gegen Frauen weltweit zu beenden.«

    EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärte, Frauen verdienten einen starken Rechtsrahmen, um sie zu schützen. Das Auswärtige Amt zweifelte zudem die Ernsthaftigkeit eines »Aktionsplan für Menschenrechte« an, den Erdogan Anfang März vorgestellt hatte. Der Präsident hatte darin auch angekündigt, Frauen besser vor Gewalt zu schützen.

    Quelle: dpa, 21.3.2021 Die Zeit, 21.3.2021DHZ

    Rubrik: Politik & Gesellschaft

    Erscheinungsdatum: 22.03.2021