Paracetamol in der Schwangerschaft

Forderung nach Rezeptpflicht

  • Rezeptfrei heißt nicht ungefährlich: Forscher warnen erneut vor den Risiken der Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft.

  • Mit etwa 50 Millionen verkauften Packungen ist Paracetamol eines der beliebtesten Schmerzmittel in Deutschland. Dass das Medikament bei zu hohen Dosen zu Leberversagen führen kann oder das Risiko für Magengeschwüre, Herzinfarkt und Schlaganfall erhöht, ist bekannt. Deshalb wurden vor fünf Jahren die Packungen verkleinert.

    Nun allerdings warnen Forscher im "European Journal of Pain" erneut vor den Folgen eines zu sorglosen Umgangs mit dem rezeptfreien Schmerzmittel. Studienautor Kay Brune, Pharmakologe an der Universität Erlangen-Nürnberg, hält die Selbstverständlichkeit, mit der das Schmerzmittel genommen wird, für höchst bedenklich. Seit Jahren setzt Brune sich dafür ein, Paracetamol rezeptpflichtig zu machen.

    In der aktuellen Übersichtsarbeit gehen Brune und Kollegen der Frage nach, welche Nebenwirkungen Paracetamol in den empfohlenen Mengen von höchstens vier Gramm am Tag hat. Dies ist in der Fachwelt heftig umstritten, besonders vor dem Hintergrund, dass das Analgetikum als einziges während der gesamten Schwangerschaft eingenommen werden darf und als Zäpfchen für Kinder unter sechs Kilogramm und unter drei Monaten zugelassen ist.

    Für ihre Analyse haben Brune und seine Kollegen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) die neuere Forschung über Paracetamol zusammengetragen.

    Eine große statistische Erhebung aus diesem Jahr mit 64.322 dänischen Müttern und ihren zwischen 1996 und 2002 geborenen Kindern zeigt: Frauen, die in der Schwangerschaft regelmäßig Paracetamol einnahmen, haben häufiger Kinder, die verhaltensauffällig sind oder an ADHS leiden. Etwa die Hälfe der Mütter gab an, während der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen zu haben. Ihre Kinder hatten ein rund 37 Prozent höheres Risiko, die Diagnose ADS oder ADHS zu erhalten, als Kinder, deren Mütter kein Paracetamol während der Schwangerschaft eingenommen hatten. Gleichermaßen war ihr Risiko erhöht, später ADHS-Medikamente verschrieben zu bekommen. Insgesamt wurde bei rund 1.330 Kindern ADHS oder ADS diagnostiziert. Dass die Medikamenten-Einnahme für dieses höhere Risiko verantwortlich ist, kann die Studie allerdings nicht belegen.

    Eine norwegische Studie mit 48.631 Kindern kam 2013 zu ähnlichen Ergebnissen: Neben verstärkter Hyperaktivität stellten die Forscher bei den Kindern eine schlechtere gesamtmotorische Entwicklung und ein gestörtes Kommunikationsverhalten fest, wenn ihre Mütter länger Paracetamol genommen hatten. In dieser Studie wurden zudem Geschwister miteinander verglichen sowie die Einnahme von Ibuprofen während der Schwangerschaft abgefragt. Einen Zusammenhang zwischen diesem Schmerzmittel und späteren Auffälligkeiten der Kinder stellten die Forscher nicht fest.

    Warum die Wissenschaft erst jetzt auf die möglichen Nebenwirkungen von Paracetamol aufmerksam wird, erklären Brune und seine Kollegen mit neuen Nachweismethoden und computergestützten Verfahren, die es erlaubten, riesige Datenmengen auszuwerten. "Die Gewissheit, mit der die Medizin noch heute Paracetamol als gut verträglich und harmlos betrachtet, ist wissenschaftlich nicht unterfüttert", kritisiert Brune.

    Offenbar wird auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorsichtiger. Während die beim Bundesgesundheitsministerium angesiedelte Behörde sich in einem Bulletin 2012 vor allem darauf beschränkte, vor Überdosierungen zu warnen und das Medikament ansonsten als weitgehend sicher eingestuft hat, weist sie seit Februar dieses Jahres darauf hin, dass Paracetamol selten zu schweren Hautreaktionen führt.

    "Das BfArM empfiehlt, Paracetamol grundsätzlich nur in der niedrigsten wirksamen Dosierung und über den kürzesten erforderlichen Zeitraum anzuwenden", soSprecher Maik Pommer. "In der Schwangerschaft sollte Paracetamol nur bei dringender Notwendigkeit angewendet werden."

    (Liew, Z. et al.: Acetaminophen Use During Pregnancy, Behavioral Problems, and Hyperkinetic Disorders. JAMA Pediatr. ;168(4):313-320. doi:10.1001/jamapediatrics.2013.4914/2014; spiegel.de, 22.10.2014)

     

    Rubrik: Schwangerschaft

    Erscheinungsdatum: 26.10.2014