Freie Wahl zwischen 1:1 und 1:2
Die kontinuierliche Eins-zu-eins-Betreuung beginnt idealerweise schon in der Schwangerschaft und endet mit der Wochenbett- und Stillzeit. In dieser Zeit gehen die Hebamme und die Frau eine professionelle Arbeitsbeziehung ein, in der gegenseitiges Vertrauen wichtig ist. Antje Kehrbach, Hebamme und Diplom-Berufspädagogin an der Hochschule Osnabrück, beschreibt verschiedene Aspekte, die zu einem guten Vertrauensaufbau nützlich und wichtig sind: Raum und Zeit geben, sich gegenseitig kennenlernen, Kontinuität der Betreuung, gute Kommunikation durch Offenheit, zuhören können, Einfühlsamkeit, Ehrlichkeit, physische und psychische Anwesenheit der Hebamme, Einzigartigkeit der Frau anerkennen, Bedürfnisse berücksichtigen, Intimsphäre wahren und Schutz geben (Kehrbach 2010).
Bei der Eins-zu-eins-Betreuung kann die Hebamme diesen Ansprüchen gerecht werden, sofern sich beide Parteien auf die Beziehungsarbeit einlassen. Ohne eine vorangegangene Eins-zu-eins-Betreuung während der Schwangerschaft ist bei der Geburt der Vertrauensaufbau erschwert. Wenn die Frau ihre Hebamme im Vorfeld nicht kennt, kann dies zu erheblichen Kommunikationsproblemen führen. Kommt es noch zusätzlich zu einem Dienstwechsel unter der Geburt, fällt es den Frauen oftmals schwer, erneut Vertrauen aufzubauen. Für die Hebammen ist die Beziehungsarbeit besonders dann erschwert, wenn der Dienstwechsel zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Geburt stattfindet. Betreut die Hebamme mehrere Frauen gleichzeitig, kann sie unter anderem dem Aspekt der Anwesenheit meist nicht gerecht werden (Kehrbach 2010).
Vorteile der Eins-zu-eins-Betreuung
Die Auswirkungen der Eins-zu-eins-Betreuung wurden wissenschaftlich analysiert. Die Ergebnisse zeigen einige positive Effekte auf die Geburtsbegleitung. Es kommt zu weniger Interventionen, vor allem weniger Periduralanästhesien, Geburtseinleitungen und Oxytocingaben (Ricchi et al. 2019). Ebenso wirkt sich die Begleitung auf die Geburtsdauer aus, die sich verkürzt (Jepsen et al. 2018).
Ein positiver Trend zur Senkung der Kaiserschnittrate lässt sich derzeit nur erahnen.
Aufgrund von weniger Interventionen bleiben die Frauen bewegungsfähiger und erleben eine aktivere Geburt (Jepsen et al. 2018). Dies spiegelt sich in einer geringeren Rate an Geburtsverletzungen wider, da die Frauen intuitiv schützende Geburtspositionen einnehmen.
Die Zufriedenheit der Frauen ist deutlich höher (Ricchi et al. 2019). Zufriedenheit ist ein subjektives Empfinden und lässt sich schwer in Zahlen und Statistiken fassen. Bei den Ergebnissen steht immer wieder die Selbstkontrolle im Mittelpunkt, die die Frauen unter der Eins-zu-eins-Betreuung viel stärker empfanden. Das Gefühl, informiert eine Entscheidung zu treffen, ist ein ausschlaggebender Faktor für ein positives Geburtserleben und das wiederum steigert die Zufriedenheit. Beginnt die Eins-zu-eins-Betreuung schon in der Schwangerschaft, kann die Hebamme bereits frühzeitig die Wünsche und Bedürfnisse der Frau erfassen. Diese können dann im Geburtsprozess schneller und effektiver berücksichtigt werden.
Dienst- und Begleit- Beleghebammen
Der vom GKV-Spitzenverband und den Hebammenverbänden geschlossene Hebammenhilfevertrag nach § 134a SGB V hat mehrere Anlagen. In der Anlage 1.1 Hebammen-Vergütungsvereinbarung § 4 sind die unterschiedlichen Leistungen von Dienst- und Begleit-Beleghebammen beschrieben:
Dienst-Beleghebammen arbeiten in einem Dienst- oder Schichtsystem oder im Bereitschaftsdienst des Krankenhauses. Dienst-Beleghebammen können bis zu zwei Frauen gleichzeitig betreuen und abrechnen. Nur in Ausnahmefällen dürfen sie unaufschiebbare Leistungen für maximal eine Stunde für eine weitere Versicherte abrechnen.
Begleit-Beleghebammen hingegen arbeiten in keinem Schicht- oder Bereitschaftsdienst, sondern begleiten die ihr bekannte Schwangere zur geplanten Geburt im Krankenhaus. Während dieser Eins-zu-eins-Betreuung können sie keine weiteren Leistungen für andere Versicherte abrechnen.
Wie in der Anlage 1.1 der Hebammen-Vergütungsvereinbarung beschrieben, haben Dienst-Beleghebammen und Begleit-Beleghebammen einen unterschiedlichen Betreuungsschlüssel. Dies ist möglicherweise damit zu erklären, dass ein Kreißsaal sich für eines der beiden Belegsysteme entscheidet. So gibt es in einem Kreißsaal mit festangestellten Hebammen oft zusätzlich die Begleit-Beleghebammen für die Möglichkeit der Eins-zu-eins-Betreuung. Entscheidet sich ein Kreißsaal für das Dienst-Belegsystem, so ist das Team darauf angewiesen, einen Schlüssel von eins zu zwei Frauen zu haben, damit es rentabel für die Geburtsabteilung ist. Sonst braucht es mehr Hebammen, um höhere Geburtenzahlen zu erlangen.
Ein weiterer Unterschied ist, dass sich Frauen für eine Begleit-Beleghebamme anmelden müssen, da diese auf Rufbereitschaft arbeitet. Die Rufbereitschaft wird mit einer Pauschale bezahlt, die teilweise von den Krankenkassen erstattet wird. Wohingegen Dienst-Beleghebammen im Kreißsaal anwesend sind und die Gebärenden im Vorfeld nicht unbedingt kennenlernen.
Beispiel Eckernförde
Das Eckernförder Beleghebammenteam besteht aus 15 Kolleginnen und befindet sich seit 2019 in einer neugegründeten Partnerschaft. Das Leistungsspektrum der Hebammen umfasst Schwangerenvorsorge, Hilfe bei Beschwerden, Wochenbettbetreuung, Hilfe bei Ernährung des Kindes und Kurse. Alle Kolleginnen arbeiten sowohl als Begleit-Beleghebammen, wie auch als Dienst-Beleghebammen im Kreißsaal. Seit 2019 begleiten außerdem einige Kolleginnen außerklinisch geplante Hausgeburten. Zusatzqualifikationen wie Aromatherapie, Homöopathie, Akupunktur, Lasertherapie, Taping und Stillberatung (IBCLC) kommen individuell hinzu.
Der Eckernförder Kreißsaal arbeitet sowohl im Dienst-Belegsystem (eins zu zwei), als auch im Begleit-Belegsystem (eins zu eins). Alle 15 Hebammen sind selbstständig und begleiten eigene Gebärende als Begleit-Beleghebammen. Schwangere haben ebenso die Möglichkeit, sich für das Dienst-Belegsystem zu entscheiden. Gründe dafür können sein, dass ihnen lediglich die Art der Betreuung wichtig ist und nicht, welche Hebamme die Geburt begleitet, sie nicht rechtzeitig eine Begleit-Beleghebamme gefunden haben oder es ihnen finanziell nicht möglich ist, die Rufbereitschaftspauschale zu bezahlen. So wird die Frau von der gerade diensthabenden Hebamme betreut. Dies bedeutet, dass die Hebammen zusätzlich zu ihren Begleit-Beleggeburten eine gewisse Anzahl an Rufdiensten als Dienst-Beleghebamme im Monat leisten müssen, um die Frauen ohne feste Hebamme begleiten zu können.
Die Mischung der beiden Belegsysteme im Kreißsaal ermöglicht jeder Gebärenden die Eins-zu-eins-Betreuung. Zudem ist sie für den Kreißsaal notwendig, um die gewünschten Geburtenzahlen im Jahr erreichen zu können. Jede Hebamme kann für sich entscheiden, wie viele Begleit-Beleggeburten sie im Monat betreuen möchte, und Frauen, die keine Hebamme mehr bekommen haben, können trotzdem im Eckernförder Kreißsaal gebären. Das System ist in Schleswig-Holstein einmalig.
Die Frau entscheidet, ob die Hebammen eins zu eins oder eins zu zwei arbeiten. Möchte die Frau eine feste Hebamme wählen und bezahlt die Rufbereitschaftspauschale, dann bekommt sie die Eins-zu-eins-Betreuung. Ist der Frau die persönliche Hebamme nicht wichtig, so geht sie in den Dienst. Im Dienst dürfen die Hebammen zwei Frauen gleichzeitig betreuen.
Wollen die Hebammen zum Beispiel nicht dauerrufbereit sein, sondern nur für geplante Dienste, so machen sie mehr Dienste und nehmen weniger Begleit-Belegfrauen an. Andere möchten weniger Dienste machen und mehr Frauen eins zu eins begleiten für eine kontinuierliche Betreuung. Die Hebamme kann also für sich entscheiden, wie viel sie rufbereit sein möchte, und die Frauen entscheiden, was ihnen wichtig ist. Die meisten Frauen wählen die Eins-zu-eins-Betreuung.
Die Abrechnung der Begleit-Beleggeburten erledigt jede Hebamme eigenständig. Die Tätigkeiten als Dienst-Beleghebamme werden im Pool abgerechnet. Das Beleghebammenteam betreut Schwangere aus den Landkreisen Rendsburg-Eckernförde, Schleswig-Flensburg, Nordfriesland und Kiel. Damit können die Kolleginnen vielen Frauen eine kontinuierliche Betreuung von der Schwangerschaft bis ins Wochenbett anbieten.
Ausstattung und Arbeitsweise
Der Kreißsaal mit durchschnittlich 660 Geburten pro Jahr umfasst zwei Gebärzimmer, einen Wannenraum mit der Gebärwanne und ein Wehenzimmer. Alle Räume bieten den Blick auf den Binnensee Windebyer Noor. Direkt neben dem Kreißsaal liegt die Wochenbettstation mit sechs Patientenzimmern, die als Familienzimmer erweitert werden können. Der OP-Bereich für Kaiserschnitte ist ebenfalls im selben Stockwerk des Level-4-Krankenhauses. Bei Bedarf werden die PädiaterInnen aus der Level-2-Klinik Rendsburg informiert. Intensivpflichtige Neugeborene werden zusammen mit der Mutter nach Rendsburg verlegt.
Schwangere, die in Eckernförde gebären möchten, müssen sich vorab in der Klinik vorstellen. Dort erhebt eine Hebamme eine Anamnese, die ärztlicherseits auf Ausschlusskriterien kontrolliert wird, wie zum Beispiel die spontane Beckenendlagengeburt oder ein insulinpflichtiger Gestationsdiabetes. Diese Ausschlusskriterien ergeben sich durch die fehlende Anbindung einer Kinderklinik. Ab der 36+0 Schwangerschaftswoche dürfen die Schwangeren ihre Kinder in Eckernförde gebären und die Rufbereitschaft der Begleit-Beleghebammen für die Frauen beginnt.
Das Team von 15 Hebammen ist unterteilt in Kleingruppen, bestehend aus vier bis fünf Hebammen. Die Kleinteams ergeben sich aus den Wohnorten der Hebammen. Sie sind relevant für die Vertretungsregelung untereinander. So bespricht jedes Kleinteam die freien Wochenenden und Rufbereitschaftsvertretungen. In dem mit den Schwangeren vereinbarten Behandlungs- und Wahlleistungsvertrag werden die möglichen Vertretungshebammen benannt, so dass jede Schwangere weiß, wer sie im Vertretungsfall betreuen könnte.
Für das Dienst-Belegsystem werden 24-Stunden-Dienste geplant, bestehend aus 12 Stunden Vordergrund und 12 Stunden Hintergrund. So ist immer ein Hintergrund für die Diensthebamme geplant, falls sich mehr als zwei Frauen im Kreißsaal befinden oder die Diensthebamme eine Begleit-Beleggeburt betreut. Überschneiden sich eine Begleit-Beleggeburt und eine geplante Hausgeburt, betreut eine Vertretung der Hausgeburtshebamme die Begleit-Belegfrau.
Literatur
Ricchi A, Rossi F, Borgognoni P, Bassi MC, Artioli G, Foa C, Neri I: The midwifery-led care model: a continuity of care model in the birth path. ACTA Biomed for health professionals 2019. 90 (6). 41–52
Jepsen I, Juul S, Foureur MJ, Sørensen EE, Aagaard Nohr E: Labour outcomes in caseload midwifery and standard care: a register-based cohort study. BMC Pregnancy and Childbirth 2018. 18: 481
Kehrbach A: Die Bedeutung der Beziehungsarbeit im Geburtsprozess. In: Deutscher Hebammenverband, Geburtsarbeit. Hebammenwissen zur Unterstützung der physiologieschen Geburt. Stuttgart: Hippokrates 2010. 20–22
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