Vaginale Beckenendlagengeburt

Für und wider

Die wissenschaftliche Evidenz zu Indikationen und Kontraindikationen für den Geburtsmodus bei Beckenendlage ist teilweise schwach. Die Frankfurter Universitätsfrauenklinik hat sich auf die vaginale Beckenendlagengeburt aus aufrechter Gebärposition spezialisiert und kann aus ihren Daten aktuelle Erkenntnisse liefern. Daraus leiten sich klare Empfehlungen für die Beratung der Schwangeren ab. Dr. Lukas Jennewein | Nadja Zander | Lena Agel | Hemma Roswitha Pfeifenberger | Prof. Dr. Dr. h.c. Frank Louwen

Schwangere mit Kind in Beckenendlage benötigen eine professionelle Beratung über den Geburtsmodus. Eine Entscheidung sollte gemeinsam mit dem Team gefällt werden, das die Geburt betreuen soll. Daneben suchen Frauen auf verschiedenen Wegen nach Informationen, die ihnen bei der Entscheidung helfen und dafür sorgen können, positiv, selbstbestimmt und sicher gebären zu können.

Von Hebammen wie ärztlichen Geburtshelfer:innen hören die Frauen bei dem Thema Beckenendlage jedoch oft widersprüchliche und persönlich geprägte Empfehlungen. Eine Auseinandersetzung mit Leitlinien und aktuellen Studien ist eine Voraussetzung, damit weder fälschlicherweise Ängste geschürt noch Risiken verschwiegen werden – dies gilt explizit für beide Optionen: die vaginale Geburt und den Kaiserschnitt.

 

Die Studienlage

 

2001 wurde mit dem »Breech Term Trial« eine große Studie veröffentlicht, die den Kaiserschnitt als die sicherere Option im Vergleich zur vaginalen Geburt bei Beckenendlagen herausstellte (Hannah et al. 2001). Die Ergebnisse wurden jedoch stark kritisiert und berechtigterweise angezweifelt, da beispielsweise Feten mit Behinderungen eingeschlossen waren und das Management der Beckenendlagengeburten nicht einheitlich war (Ross & Hannah 2006; Bin et al. 2016; Daviss et al. 2010; Glezerman 2006).

Bei vaginalen Beckenendlagengeburten wird eine leicht erhöhte Kurzzeitmorbidität berichtet, die sich jedoch nicht in eine Langzeitmorbidität überträgt (Whyte et al. 2004; Hofmeyr et al. 2015). Es gibt zum Beispiel tendenziell schlechtere Apgar-Werte bei Neugeborenen nach vaginaler Geburt aus Beckenendlage verglichen mit Neugeborenen, die per geplanter Sectio zur Welt kamen (Relatives Risiko/RR für einen 5-Minuten-Apgar < 4: 0,11). In der Zwei-Jahres-Follow-Up-Studie konnte jedoch kein Unterschied in der Rate an neurologischer Reifeverzögerung festgestellt werden (RR 1,09 – Hofmeyr et al. 2015). Interpretiert man diese Ergebnisse für die Praxis, haben diese Neugeborenen zwar eine anstrengende Geburt, aber kein erhöhtes Risiko gegenüber Kindern nach einer Schädellagengeburt, lebenseinschränkende Komplikationen zu erleiden.

 

BEL-Geburten an der Uniklinik Frankfurt: Klinische Studie

 

Die Frankfurter Universitätsfrauenklinik hat sich seit vielen Jahren auf die vaginale Beckenendlagengeburt aus aufrechter Gebärposition spezialisiert und konnte daher Untersuchungen an großen Patient:innenkollektiven durchführen. Eingeflossen sind Daten aus über 1.100 vaginal angestrebten und über 700 vaginal vollendeten Beckenendlagengeburten von 2004 bis 2018. Schwangerschaften mit diabetogener Stoffwechsellage (schlecht eingestellter Diabetes) und Geburten vor 37+0 Schwangerschaftswochen oder mit einem erwarteten Geburtsgewicht von unter 2.500 g waren von den Studien ausgeschlossen.

 

2017 wurde im Rahmen einer Studie an 750 Beckenendlagengeburten erstmals gezeigt, dass eine aufrechte Geburtsposition der Mutter bei einem reifen Kind über 37+0 Schwangerschaftswochen die Interventionsraten verringert, weniger mütterliche Geburtsverletzungen verursacht und das fetale Outcome verbessert (Louwen et al. 2017). Es gab im Vergleich weniger Interventionen und Manipulation am Kind: In aufrechter Geburtsposition kam es in 43,7 % Fällen zu Interventionen, in Rückenlage dagegen in 95 %, Odds Ratio/OR 0,45. Es gab auch weniger kindliche Geburtsverletzungen. 5 % Neonaten, geboren aus Rückenlage mit Geburtsverletzung, stehen 0,9 % Neonaten, geboren aus aufrechter Position mit Geburtsverletzungen gegenüber (OR 0,08). Kindliche Geburtsverletzungen waren Humerusfrakturen (2 Fälle), Plexuslähmungen (1 Fall) und Schnittverletzung der Haut (2 Fälle, sekundäre Sectiones) (Louwen et al. 2017).

Gebärende erlitten Dammrisse mit Sphinkterbeteiligung (III°, IV°) nicht signifikant, aber tendenziell seltener, wenn sie in aufrechter Position ihr Kind zur Welt brachten. Hochgradige Dammverletzungen in aufrechter Position gab es in 4 aus 229 vaginalen Geburten (1,75 %), in Rückenlage in 2 aus 40 Fällen (5 %), OR 0,34 % (Louwen et al. 2017).

Für den Nutzen einer Episiotomie gibt es bislang keine Daten für die Beckenendlagengeburt. Episiotomien werden in der Frankfurter Uniklinik ausschließlich dann durchgeführt, wenn eindeutige Anzeichen für fetalen Stress bestehen (beispielsweise prolongierte beziehungsweise terminale Bradykardie) und gleichzeitig der Damm ein relevantes Geburtshindernis darstellt. In einer aktuelleren Studie des Frankfurter Beckenendlagenkollektivs sind insgesamt 20 Episiotomien in 722 vaginal vollendeten Beckenendlagengeburten (2,8 %) beschrieben (Jennewein et al. 2020).

 

Vaginale Geburt aus Beckenendlage: Ungünstige Kriterien

 

Leitlinien und Lehrmeinungen nennen am häufigsten folgende Kriterien, die sie als ungünstig für eine vaginale Geburt aus BEL sehen:

  • Nackenhyperextension im Ultraschall
  • hohes fetales Geburtsgewicht (je nach Leitlinie > 3.800 g oder > 4.000 g)
  • fetale Wachstumsretardierung (Wachstum unter der 10. Perzentile)
  • Fußlage
  • Erstgebärende
  • Zustand nach Sectio
  • Überschreitung des errechneten Geburtstermines beziehungs­weise Geburtseinleitung.

 

2020 kam die Kaiserschnittleitlinie auf S3-Niveau in Zusammenarbeit mit Hebammen, Ärzt:innen der Geburtshilfe, Anästhesist:innen, Physiotherapeut:innen, Psycholog:innen und PatientInnenvertreter:innen heraus (DGGG et al. 2020). Auch hier stellt die Beckenendlage als solche keine Indikation zur Sectio bei Schwangeren über der 37+0 Schwangerschaftswoche dar.

Die Risiken eines geplanten Kaiserschnitts sind bekannt (DGGG et al. 2020; Mylonas & Friese 2015). Bei Kindern mit elektivem Kaiserschnitt ist eine höhere fetale Mortalität dokumentiert, das Relative Risiko liegt bei 2,4 (MacDorman 2008), ebenso sind höhere Raten an Kinderklinik-Aufnahmen nach der Geburt festzustellen (RR 2,2 – Geller et al. 2010). Langzeitstudien zeigen bei Kindern, die per geplantem Kaiserschnitt geboren werden, höhere Raten an Übergewicht und Adipositas (OR 1,26–1,33) (Li et al. 2013; Darmasseelane et al. 2014), Asthma in der Kindheit (OR 1,16 – Huang et al. 2015) und Diabetes Typ I (OR 1,35 – Black et al. 2015).

 

Empfehlungen der Leitlinien

 

In den nationalen Leitlinien gibt es verschiedene Empfehlungen, abhängig von der Leitlinie (DGGG 2020; Kotaska et al. 2009; Impey & Murphy 2017; Tsakiridis et al. 2019). Ein zentrales Element sind Hinweise zum Beratungsgespräch, die Ein- und Ausschlusskriterien festlegen. Gerade hier gibt es noch wenige wissenschaftliche Daten. Die vaginale Beckenendlagengeburt wird mittlerweile in allen geltenden Leitlinien als sichere Option gesehen. Nationale Leitlinien beinhalten zur Beckenendlagengeburt generelle Empfehlungen. Die Betreuung durch ein in Beckenendlagengeburten erfahrenes Team und die Geburt in einer Geburtsklinik mit Kinderklinik wird empfohlen.

 

Aktuelle Studienergebnisse

 

Zu allen genannten ungünstigen Faktoren für eine vaginale Beckenendlagengeburt gibt es nur wenige Untersuchungen. Einige Ergebnisse aus dem Frankfurter Studienkollektiv können wie folgt zusammengefasst werden:

 

Nackenhyperextension im Ultraschall

 

Dies kommt kaum vor. Es gibt keine Studien, die eine negative Auswirkung der Kopfhaltung des Kindes im Uterus auf den Geburtsverlauf nachweisen.

 

Hohes fetales Geburtsgewicht

 

Bei einem hohen kindlichen Geburtsgewicht verhält es sich in Beckenendlage ähnlich wie bei der Schädellage. Die Wahrscheinlichkeit ist erhöht, dass aufgrund eines fetomaternalen Missverhältnisses bei hohem Geburtsgewicht ein Kaiserschnitt durchgeführt werden muss. Bei einem Kindsgewicht von über 3.800 g wird in den Frankfurter Studien von einer Seciorate von 45 % im Vergleich zu 28,8 % bei Geburten von Kindern zwischen 2.500 g und 3.800 g berichtet (Jennewein et al. 2020).

Hochgradige Geburtsverletzungen bei den Gebärenden waren nicht signifikant unterschiedlich: 1,6 % gab es bei Müttern mit Kindern unter 3.800 g, 4,4 % bei denen mit Kindern über 3.800 g. Die Rate an Frühmorbidität, gemessen mit einem kombinierten Score (siehe Kasten) aus Apgar, Intensiv-Verlegung, kindlichen Geburtsverletzungen und Intubationsnotwendigkeit, war nicht signifikant unterschiedlich mit 2,5 % (< 3.800 g) und 3,3 % (≥ 3.800 g). Ein erhöhtes Morbiditätsrisiko für Mutter und Kind ist also nicht zu erwarten, wenn eine vaginale Geburt angestrebt wird und das Schätzgewicht über 3.800 g liegt (Jennewein et al. 2020).

 

Fußlage

 

Fußlagen sind selten und kommen vermehrt bei Mehrgebärenden vor. Die Auswirkung der Geburtsposition ist noch wenig untersucht. Wichtig ist, dass zur Beurteilung des Geburtsfortschrittes das kindliche Becken als maßgeblich angesehen werden sollte.

 

Erstgebärende und Pelvimetrie

 

Nulliparität ist kein Ausschlusskriterium für eine vaginal angestrebte Beckenendlagengeburt. In einer Studie des Frankfurter Beckenendlagenkollektivs konnte kein erhöhtes Morbiditätsrisiko für Mutter oder Kind gefunden werden. In der Studienkohorte von 647 Erstgebärenden wurde eine kindliche Morbiditätsrate von 1,8 % und eine Rate an Sphinkterverletzungen von 1,4 % berichtet. Diese Werte unterschieden sich nicht signifikant von denen der Mehrgebärenden-Kohorte: In 399 Geburten wurde hier eine kindliche Morbiditätsrate von 0,6% und eine Rate an Sphinkterverletzungen von 0,7 % dokumentiert (Kielland-Kaisen et al. 2019). Wie bei Schädellagen ist die Rate an sekundären Kaiserschnitten mit 17,04% deutlich niedriger bei Mehrgebärenden als bei erstgebärenden Frauen (40,7 %). (Kielland-Kaisen et al. 2019)

Zur Beratung über den Geburtsmodus kann eine Pelvimetrie durchgeführt werden, das ist eine Untersuchung der Beckenmaße mittels MRT und/oder digital-vaginaler Untersuchung. Die Conjugata vera obstetrica (CVO) korreliert mit der Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen vaginalen Geburt (Klemt et al. 2019). Bei einem geringen Intertubar-Abstand, wenn zwischen den Tubae ischiadicae und den Sitzbeinhöckern weniger als 11 cm liegen, wurde keine erfolgreiche vaginale Geburt in der Studie dokumentiert (Klemt et al. 2019). Aufgrund der Theorie, dass ein enger knöcherner Beckenausgang mit einem Intertubar-Abstand unter 11 cm die überaus seltene Komplikation des Geburtsstillstandes bei geborenem Kindskörper begünstigen könnte, wird von einer vaginal angestrebten Geburt in diesem Falle abgeraten.

 

Zustand nach Sectio

 

Ein Kaiserschnitt in der Vorschwangerschaft ist in Schädellagengeburten keine Indikation zur erneuten Sectio. Das geringe Risiko der Uterusruptur sollte intensiv während der Geburt überwacht werden (DGGG 2020). Hier scheint nach aktuellem Kenntnisstand kein Unterschied in der Empfehlung zur Beckenendlagengeburt im Status nach Sectio sinnvoll zu sein (Paul et al. 2019).

 

Überschreitung des errechneten Geburtstermins

 

Geburtseinleitung und Terminüberschreitung sind bei Beckenendlagengeburten nicht problematischer als bei Schädellagengeburten. Es gibt keine Nachweise für eine erhöhte kindliche oder mütterliche Morbidität, sollte der errechnete Geburtstermin überschritten werden und zusätzlich eine Beckenendlage vorliegen (Möllmann et al. 2019).

 

Sonderfall Zwillingsgeburt mit führendem Kind in Beckenendlage

 

Zur vaginalen Zwillingsgeburt mit führendem Kind in Beckenendlage gibt es kaum Untersuchungen mit genug Patient:innen, um eine evidenzbasierte Aussage treffen zu können. In der Frankfurter Uniklinik werden Patient:innen entsprechend beraten. Zur Beratung werden die oben erläuterten Daten der Beckenendlagengeburt mit Besonderheiten der Zwillingsgeburt herangezogen. Eine Zwillingsschwangerschaft mit führendem Kind in Beckenendlage – unabhängig von der Lage des zweiten Zwillings – ist aber prinzipiell erst einmal keine alleinstehende Indikation zum Kaiserschnitt.

 

Rate an Frühmorbidität: Kombinierter Score

 

Der Score vereinheitlicht die kindliche Morbidität. Ein Kind zählt hier als Morbiditätsfall, wenn eines der folgenden Kriterien zutrifft:

  • 5-Minuten-Apgar unter 4
  • mehr als 24 h Intubation
  • Neointensiv-Aufenthalt über 4 Tage
  • Geburtsverletzung (zum Beispiel Humerusfraktur)
  • Versterben innerhalb eines Monats nach der Geburt.

 

 

Zusammenfassung

 

Eine umfassende, neutrale und evidenzbasierte Beratung zum Geburtsmodus bei Schwangeren mit Kind in Beckenendlage ist essenziell. Hierzu gehört auch die Einordnung individueller Faktoren wie Parität, Schätzgewicht des Kindes oder Terminüberschreitung auf den Verlauf der Geburt und das Risiko für Mutter und Kind. Es ist ratsam, dass Geburtshelfer:innen Beratungen anbieten, die Erfahrung sowohl mit der vaginalen Beckenendlagengeburt als auch in der Durchführung des Kaiserschnitts haben.

Viele oft zitierte Ausschlusskriterien für eine vaginale Beckenendlagengeburt haben keine wissenschaftlich fundierte Grundlage. Vor- und Nachteile einer vaginalen Geburt sowie eines geplanten Kaiserschnitts sollten anhand aktueller Studienergebnisse, aber mit dem Fokus auf die persönlichen Bedürfnisse der ratsuchenden Schwangeren besprochen werden.

Rubrik: Ausgabe 08/2021

Erscheinungsdatum: 29.07.2021

Literatur

Bin YS, Roberts CL, Ford JB, Nicholl MC: Outcomes of breech birth by mode of delivery: a population linkage study. Aust New Zeal J Obstet Gynaecol. 2016. 56(5):453–9

Black M, Bhattacharya S, Philip S, Norman JE, McLernon DJ: Planned Cesarean Delivery at Term and Adverse Outcomes in Childhood Health. JAMA 2015. Dec 1;314(21):2271. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26624826

Darmasseelane K, Hyde MJ, Santhakumaran S, Gale C, Modi N: Mode of Delivery and Offspring Body Mass Index, Overweight and Obesity in Adult Life: A Systematic Review and Meta-Analysis. Dewan A, editor. PLoS One 2014. Feb 26;9(2):e87896. https://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0087896

Daviss B-A, Johnson KC, Lalonde AB: Evolving evidence since the term breech trial: Canadian response, European dissent, and potential solutions. J Obstet Gynaecol Can 2010. Mar;32(3):217–24. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20500965

DGGG, OEGGG, SGGG, AWMF: Sectio caesarea. 2020 https://www.awmf.org/leit...

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