Größeres ADHS-Risiko für Frühgeborene
Dass ADHS sowohl genetisch bedingt, als auch abhängig von Umweltfaktoren ist, weiß man schon länger. Experten gehen davon aus, dass die Gene zu 70 Prozent für die Entstehung der Störung verantwortlich sind. Dazu kommen Faktoren wie ein junges Alter der Mutter, ein niedriger sozioökonomischer Status, Drogen-, Alkohol- und Zigarettenkonsum in der Schwangerschaft sowie Sauerstoffmangel während der Geburt. „Auch, dass extreme Frühgeburten das Risiko für ADHS erhöhen, weiß man bereits“, so Dr. Minna Suckdorff von der Turku Universität in Finnland. „Wir wollten herausfinden, ob auch späte Frühgeburten oder frühe termingerechte Geburten das Risiko für ADHS erhöhen“. Dafür haben Suckdorff und ihre Kollege die Daten von mehr als 900.000 Finnen, die zwischen 1991 und 2005 geboren wurden, auf ADHS-Diagnosen abgeglichen.
Etwa 10.000 der einbezogenen TeilnehmerInnen hatten bis 2011 eine ADHS-Diagnose erhalten. Ihre Daten wurden mit denen von 38.000 Kontrollpersonen ohne ADHS, gepaart verglichen. Das bedeutet, man hat Personen gleichen Geschlechts mit gleichem Geburtsort und ähnlichem Geburtsdatum einander zugeordnet und dann bezüglich der Geburtswoche und des Geburtsgewichts verglichen. Dabei berücksichtigten die Forscher Umwelteinflüsse wie Alter und psychische Erkrankungen der Eltern und Drogenkonsum der Mutter.
Das Ergebnis: Kinder mit ADHS-Diagnosen wurden durchschnittlich deutlich früher geboren als Kinder der Kontrollgruppe. Je früher ein Baby zur Welt kam, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass es später ADHS entwickelte. Kinder, die in der 38. Schwangerschaftswoche – also zwei Wochen vor dem Geburtstermin – geboren wurden, hatten nur ein leicht erhöhtes Risiko gegenüber Kindern, die pünktlich in der 40. Woche zur Welt kamen. In der 30. Woche geborene Kinder aber hatten bereits ein 3,6-fach, Kinder der 25. Woche ein 5-fach und Kinder der 23. bis24. Woche sogar ein zwölffach erhöhtes Risiko.
Auch das Geburtsgewicht beeinflusste das ADHS-Risiko: Kinder, die bei Geburt weniger wogen als normal, erkrankten ebenfalls mit höherer Wahrscheinlichkeit. Der Einfluss des Geburtsgewichts war jedoch geringer als der der Geburtswoche.
Bei Kindern, die den Schutzraum im mütterlichen Bauch frühzeitig verlassen müssen, ist die Entwicklung des Gehirns noch nicht abgeschlossen, die Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen noch nicht vollständig hergestellt. Die Forscher gehen davon aus, dass das eine Ursache für auffälliges Verhalten und ADHS sein könnten. Sie vermuten aber auch, dass eine Mangelernährung im Mutterleib, die die Hirnentwicklung stört, ein Auslöser sein kann.
(Sucksdorff, M. et al.: Preterm Birth and Poor Fetal Growth as Risk Factors of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. Pediatrics. 2015. doi: 10.1542/peds.2015-1043. netdoktor.de, 16.9.15)