Gute Geburtshilfe geht anders
Der Deutsche Hebammenverband e.V. (DHV) hat sich in einem Pressestatement zur Empfehlung für eine »Zukunftsfähige flächendeckende geburtshilfliche Versorgung« der Regierungskommission geäußert. Die am 14. November veröffentlichte Empfehlung der Regierungskommission enttäusche in ihrer Eindimensionalität, heißt es in der Stellungnahme. Sie lasse wesentliche Aspekte der Geburtshilfe in Deutschland außer Acht. Weder würden die Stärken der vielfältigen Versorgungslandschaft berücksichtigt, noch die differenzierten Bedürfnisse der Frauen, Kinder und Familien ins Zentrum gestellt.
Andrea Köbke, Beirätin für den Angestelltenbereich im Deutschen Hebammenverband, meint dazu konkret: »Es ist äußerst bedauerlich, dass die Empfehlungen am tatsächlichen Bedarf von Mutter und Kind vorbeigehen. Bei der Erstellung dieser Empfehlungen wurden erneut weder Expert:innen aus der Gynäkologie noch aus dem Hebammenwesen einbezogen. Vorhandene Evidenzen wurden schlicht ignoriert. Eine umfassende und zukunftsfähige Strategie für die geburtshilfliche Versorgung kann nur unter Einbeziehung aller relevanten Berufsgruppen und der Patient:innen entwickelt werden. Sonst ist das Resultat, wie im vorliegenden Papier, eine ausschließlich auf mögliche Risiken fokussierte Geburtshilfe, die bestehende Fehlanreize fortsetzt. Unser Appell an die politisch Verantwortlichen ist: Geburtshilfe ist viel mehr als das, was hier vorgestellt wurde. Sprechen Sie mit den Stakeholdern, wenn Sie praxistaugliche Lösungen wollen!«
Der Deutsche Hebammenverband hebt insbesondere folgende kritische Punkte deutlich hervor:
1. Einseitige Fokussierung auf Risiken und Notfälle
Die Empfehlung betrachte die Geburtshilfe primär aus der Perspektive der Notfallversorgung und pädiatrischen Betreuung. Der bestehenden Fehl- und Überversorgung werde mit diesem Vorschlag nichts entgegengesetzt. Das werde mehr als deutlich, wenn das vorgelegte Papier vorschlägt, die komplette Geburtshilfe in einem flächendeckenden Netz von perinatalmedizinischen Kompetenzverbünden zu organisieren. Dabei werde übersehen, dass Schwangerschaft und Geburt in den meisten Fällen gesunde Lebensphasen darstellten, die nicht zwangsläufig einer hochspezialisierten medizinischen Umgebung bedürften, sondern einer wohnortnahen Versorgung mit guten Verlegungskonzepten.
2. Fehlannahme zur Auswirkung von Zentralisierung
Die Annahme, dass allein die Zentralisierung der Geburtshilfe zu besseren Outcomes führt, sei nicht evidenzbasiert. Die Qualität der geburtshilflichen Versorgung hänge von vielen Faktoren ab, die in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssten. Der Wunsch nach einfachen Antworten auf komplexe Sachverhalte werde der Aufgabe, eine regional passende Geburtshilfe zu garantieren, nicht gerecht. Die Förderung in der Geburtshilfe vornehmlich auf die Einrichtung von perinatalmedizischen Kompetenzverbünden zu konzentrieren werde nicht zu mehr Qualität führen!
3. Fragwürdige Datengrundlage
Die in der Empfehlung verwendeten Daten zur Anzahl der Hebammen in Deutschland und zur Entwicklung der klinisch tätigen Hebammen seien nicht nachvollziehbar. Außerdem ergebe sich die Anzahl der klinisch tätigen Hebammen aus den Arbeitsbedingungen, knappen Budgets und der unzureichenden Personalbemessung der Kliniken – und nicht allein aus der Verfügbarkeit von Hebammen. Grundsätzlich brauche es eine bundesweite solide Datengrundlage, um fundierte Empfehlungen für die Personalplanung auszusprechen. Ebenso würden die in der Empfehlung vorgeschlagenen Mindestmengen von 500 beziehungsweise 600 Geburten pro Jahr nicht plausibel hergeleitet. Sie schienen daher willkürlich ausgewählt und nicht auf Evidenzen zu beruhen. Auch kleinere Häuser oder Geburtshäuser würden eine qualitativ hochwertige Geburtshilfe gewährleisten.
4. Fehlerhafte Annahmen zur Akademisierung
Die Behauptung, dass die Anzahl der Hebammenabsolvent:innen durch die Akademisierung zurückgehe, sei schlichtweg falsch. Im Gegenteil: Der Beruf sei nach wie vor enorm attraktiv. Durch die Akademisierung werde bundesweit eine ungefähr dreifach größere Menge an Hebammen ausgebildet als vorher. Das Problem sei vordringlich die kurze Verweildauer im Beruf, nicht die Ausbildungskapazitäten.
5. Unzureichendes Konzept für die Flächenversorgung
Ein tragfähiges Konzept für die geburtshilfliche Versorgung in der Fläche fehle in der Empfehlung. Schwangere benötigten zuallererst ein wohnortnahes, sowohl ambulantes als auch klinisches Versorgungsnetz 24/7. Dieses essenzielle, niedrigschwellige Angebot solle zugunsten des Ausbaus der Perinatalmedizin abgeschafft werden, was eine massive Verschlechterung der Notfallversorgung für Schwangere und Gebärende in der Fläche zur Folge hätte.
Der Deutsche Hebammenverband stehe jederzeit bereit, seinen Beitrag zu einer ausgewogenen und praxisnahen Neugestaltung der geburtshilflichen Versorgung in Deutschland zu leisten, heißt es abschließend vom DHV.
Quelle: DHV, 15.11.2024 ∙ DHZ