Millionen Afrikaner:innen ohne legale Identität
Dass ein Baby keine Geburtsurkunde erhält, ist in Deutschland nahezu undenkbar. In vielen Ländern Afrikas ist es jedoch gang und gäbe: Nur jedes zweite Kind unter fünf Jahren ist nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef in Afrika südlich der Sahara offiziell registriert. Das hat schwerwiegende Folgen für Bildung, Gesundheitsfürsorge, Beschäftigungsaussichten und Menschenrechte.
Am schlimmsten betroffen sind Äthiopien und Somalia: Hier haben laut Unicef nur 3 % aller Kinder unter fünf Jahren eine Geburtsurkunde. In Sambia sind lediglich 14 % registriert, während in Tansania, Angola und im Tschad nur etwa jedes vierte Baby eine Geburtsurkunde besitzt. In Uganda und im Südsudan besitzt nur etwa jedes dritte Kind das wichtige Dokument.
»Eine Geburtsurkunde gibt einem Kind eine legale Existenz, einen offiziellen Namen, eine Nationalität, eine Lebensgrundlage. Ohne Geburtenregistrierung ist es von Beginn des Lebens an benachteiligt«, so Amandine Bollinger, die Leiterin für Kinderschutz von Unicef in Angola.
Wer keinen Ausweis hat, kommt in keiner Statistik vor. Djanina Baptista, die leitende Gynäkologin des Cajueiro Krankenhauses in Angolas Hauptstadt Luanda, bringt die Konsequenzen auf den Punkt: »Ein Kind, das nicht registriert ist, ist ein nicht existierendes Kind. Es ist nicht im System.« Ihre Belegschaft bemühe sich, werdende Mütter über die Wichtigkeit von Geburtsurkunden aufzuklären, sagt Baptista, aber in einem überfüllten Krankenhaus mit überlastetem Personal sei das nur begrenzt möglich.
Doch selbst wenn Eltern über die Wichtigkeit einer Geburtsurkunde informiert werden, stehen viele vor großen bürokratischen Hürden. »Es ist ein Teufelskreis. Wenn Babys bei der Geburt nicht registriert werden, sind ihre Chancen, das später im Leben nachzuholen, minimal«, meint Bollinger.
Millionen Menschen ohne Geburtsurkunde in Afrika, das verursacht Armut und macht Perspektiven zunichte – Gründe, die die irreguläre Migration Richtung Europa antreiben. Doch selbst die, die es nach Europa schaffen, stehen wieder vor der gleichen Hürde: Ohne Ausweisdokumente können sie ihre Identität nicht nachweisen. »Damit sind ihre Chancen auf einen Asylantrag geringer. Oder sie fühlen sich gezwungen, eine falsche oder gefälschte Identität annehmen zu müssen«, erklärt Bollinger.
In der deutschen Debatte wird irregulären Migrant:innen oft unterstellt, dass sie ihre Pässe absichtlich auf der Flucht wegwerfen. Tatsächlich ist es so, dass viele gar keine Ausweisdokumente besitzen.
Quelle: dpa, 5.7.2024 · DHZ