Kinder-Standardantibiotika vielfach nicht mehr wirksam
Die Antibiotika, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Behandlung von lebensbedrohlichen Infektionen im Neugeborenen- und Kindesalter empfohlen werden, haben in vielen Ländern ihre Wirksamkeit verloren. Besonders dramatisch ist die Situation in Südostasien und im Pazifikraum, wie eine Publikation in Lancet Regional Health - Southeast Asia zeigt: Der unkritische Einsatz von Antibiotika, die in vielen Ländern rezeptfrei erhältlich sind, habe die Ausbreitung von multiresistenten Bakterien gefördert. Den Preis zahlten Neugeborene und Kleinkinder, die an lebensgefährlichen Erkrankungen wie einer Sepsis oder einer Meningitis erkrankten. Hier entscheide häufig die richtige Wahl des Antibiotikums über Leben und Tod. Die Ärzt:innen müssten die Behandlung sofort beginnen, ohne Kenntnis der Resistenzanalyse im Antibiogramm.
Die WHO empfiehlt derzeit als Erstlinientherapie bei neonataler Sepsis ein Aminopenicillin oder Gentamicin. Bei einer neonatalen Meningitis und pädiatrischer Sepsis wird zu einem Cephalosporin der 3. Generation (Ceftriaxon und Cefotaxim) geraten.
Diese Antibiotika sind auch die Zweitlinientherapie bei der neonatalen Sepsis. Viele Ärzt:innen entscheiden sich jedoch mittlerweile sofort für ein Carbapenem wie Meropenem. Die WHO stuft sie als »Watch«-Antibiotika ein, die nur eingesetzt werden sollten, wenn bei schweren Infektionen eine Resistenz gegenüber der Erst- und Zweitlinientherapie vermutet wird.
Die Ergebnisse, die Phoebe Williams vom Sydney Infectious Diseases Institute vorstellt, unterstützen diese Strategie für die WHO-Regionen Südostasien und Pazifik. Die Forscher:innen haben das »Weighted Incidence Syndromic Combination Antibiogram« entwickelt.
Es leitet aus der Analyse der Antibiogramme in einer Region, die heute in den elektronischen Krankenakten gespeichert sind, die vermutliche Abdeckung (»Coverage«) der verschiedenen Antibiotika für die einzelnen Infektionskrankheiten ab. Die Analyse der Antibiogramme von 6.648 Isolaten aus elf Ländern, die die Forscher:innen aus 86 Publikationen zusammengetragen haben, ergeben folgendes Bild: Die »Coverage« von Aminopenicillin bei neonataler Sepsis/Meningitis beträgt nur noch 26 % (95 %-Konfidenzintervall: 16 %–49 %). Bei Gentamicin war sie mit 45 % (29–62 %) etwas höher. Die beiden Erstlinientherapien der WHO könnten damit aber bei mehr als der Hälfte der beiden Erkrankungen wirkungslos sein.
Die »Coverage« von Cephalosporinen der 3. Generation betrug bei neonataler Sepsis/Meningitis nur 29 % (16–49 %), bei pädiatrischer Sepsis 51 % (38–64 %) und bei pädiatrischer Meningitis 65 % (51–77 %). Auch hier müssen die Ärzt:innen in Südostasien und im Pazifikraum damit rechnen, dass diese Initialbehandlung unwirksam ist (und die Kinder bei Eintreffen des Antibiogramms bereits verstorben sind).
Die höchste »Coverage« erzielten Carbapeneme: Bei neonataler Sepsis/Meningitis betrug sie 81 % (65–90 %), bei der pädiatrischen Sepsis 83 % (72–90 %) und bei der pädiatrischen Meningitis 79 % (62–91 %).
Williams findet die Ergebnisse alarmierend. Antibiotikaresistenzen würden schneller zunehmen, als vielen bewusst sei, schreibt sie. Es würden dringend neue Lösungen benötigt, um invasive multiresistente Infektionen und jedes Jahr den unnötigen Tod Tausender Kinder zu stoppen.
Quelle: Williams, P. C. M., et al. (2023). Coverage gaps in empiric antibiotic regimens used to treat serious bacterial infections in neonates and children in Southeast Asia and the Pacific. The Lancet Regional Health - Southeast Asia, https://doi.org/10.1016/j.lansea.2023.100291 · aerzteblatt.de, 1.11.23 · DHZ