Höhere Sauerstoffkonzentration für sehr früh geborene Kinder?

Die Forschenden einer australischen Metaanlayse haben die Vermutung, dass höhere anfängliche Sauerstoffkonzentrationen bei sehr kleinen Frühgeborenen die unabhängige Atmung besser in Schwung bringen könnten.
Eine in JAMA Pediatrics veröffentlichte Metaanalyse von 12 Studien legt nahe, dass sehr früh geborene Babys, die nach der Geburt Unterstützung beim Atmen benötigen, möglicherweise sehr viel höhere Start-Sauerstoffkonzentrationen erhalten sollten als bislang üblich. Damit würde sich das Sterberisiko um 50 % reduzieren lassen, berichten die Autor:innen.
Aktuell werden für Frühgeborene initiale Sauerstoffkonzentrationen empfohlen, die kaum über dem Sauerstoffgehalt der normalen Raumluft liegen. Die Leitlinie des European Resuscitation Council (ERC) zur Versorgung und Reanimation von Neugeborenen von 2021 sieht zum Beispiel für Frühgeborene ab Schwangerschaftswoche 28+0 bis 31+6 eine Sauerstoff-Startkonzentration von 21-30 % vor. Für Frühgeborene unter 28+0 Schwangerschaftswochen wird eine Sauerstoff-Startkonzentration von 30 % empfohlen.
Signifikant höhere Überlebenschancen
Studienleiter James Sotiropoulos vom Clinical Trials Centre der University of Sydney und seine Kolleg:innen analysierten individuelle Patient:innendaten von 1.055 Frühgeborenen (< 32 Wochen), die nach der Geburt verschiedene Sauerstoffkonzentrationen erhalten hatten – niedrige (ca. 30 %), mittlere (ca. 50-65 %) oder hohe (ca. 90 %).
Babys, die initial hohe Sauerstoffkonzentrationen (≥90 %) erhielten, hatten signifikant höhere Überlebenschancen als diejenigen mit niedrigen (≤30 %) (OR 0,45; 95-%-Kredibilitätsintervall [KrI] 0,23-0,86) und mittleren Konzentrationen (50-65 %) (OR 0,34; 95-%-KrI 0,11-0,99).
Neben der Gesamtmortalität untersuchten die Forschenden auch den Effekt auf mit Frühgeburtlichkeit einhergehende Morbiditäten – bronchopulmonale Dysplasie, schwere intraventrikuläre Blutungen und Frühgeborenen-Retinopathie. Eindeutige Schlüsse zu diesen Endpunkten waren auf Basis der analysierten Daten aber nicht möglich.
Die Forschenden haben die Vermutung, dass höhere anfängliche Sauerstoffkonzentrationen die unabhängige Atmung in Schwung bringen, aber es seien weitere Untersuchungen erforderlich, um die Mechanismen zu klären, die diesem Effekt zugrunde liegen.
Hyperoxie verhindern - ein Balanceakt
Sie weisen auch darauf hin, dass die hohen Sauerstoffkonzentrationen nur kurz gegeben werden dürften, um eine Hyperoxie zu vermeiden. Entscheidend sei, welche Sauerstoffkonzentration das Baby in den ersten zehn Lebensminuten erhalte. Dabei müssten die Vitalzeichen überwacht und die Sauerstoffversorgung kontinuierlich angepasst werden, um eine Über- oder Unterversorgung zu vermeiden. »Wenn wir sicherstellen, dass Frühgeborene von Anfang an die richtige Behandlung erhalten, verhelfen wir ihnen damit zu einem Start in ein gesundes Leben. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, einzugreifen, als direkt nach der Geburt«, sagt Sotiropoulos.
In der Vergangenheit erhielten alle Frühgeborenen 100-prozentigen Sauerstoff. Aber nachdem Studien gezeigt hatten, dass hohe Sauerstoffkonzentrationen über einen längeren Zeitraum zu Hyperoxie und in der Folge Organschäden führen können, wurden die Empfehlungen 2010 geändert: Seither erhalten Frühgeborene anfänglich deutlich niedrigere Sauerstoffkonzentrationen. Allerdings, so die Forschenden um Sotiropoulos, basierten diese Veränderungen hauptsächlich auf Evidenz bei reif geborenen Babys. Diese hätten voll entwickelte Lungen und seien oft weniger krank als Frühgeborene. Dennoch sollten die neuen Erkenntnisse nicht dazu führen, dass die Gefahren einer Hyperoxie unterschätzt würden, betonen sie.
Ihr Fazit: Es gebe aktuell noch zu wenig schlüssige Evidenz, wie man bei der Atemunterstützung von Frühgeborenen am besten vorgehen sollte. Die Ergebnisse seien zwar vielversprechend und potenziell praxisverändernd, aber sie müssten in weiteren, größeren Studien bestätigt werden.
Quelle: Sotiropoulos, J. X., Oei, J. L., Schmölzer, G. M., Libesman, S., Hunter, K. E., Williams, J. G., Webster, A. C., Vento, M., Kapadia, V., Rabi, Y., Dekker, J., Vermeulen, M. J., Sundaram, V., Kumar, P., Kaban, R. K., Rohsiswatmo, R., Saugstad, O. D., & Seidler, A. L. (2024). Initial Oxygen Concentration for the Resuscitation of Infants Born at Less Than 32 Weeks' Gestation: A Systematic Review and Individual Participant Data Network Meta-Analysis. JAMA pediatrics, https://doi.org/10.1001/jamapediatrics.2024.1848 ∙ aerzteblatt.de, 15.7.2024 ∙ DHZ