Mikrobiom-Forschung

Mikroorganismen besiedeln Menschen erst mit der Geburt

  • Nach aktueller wissenschaftlicher Auffassung wird ein Kind erst mit der Geburt von menschlichen Mikroorganismen besiedelt.

  • Seit einigen Jahren streiten Forscher:innen darüber, wann unser Körper von Viren, Bakterien und anderen Mikroorganismen besiedelt wird. Während lange Zeit galt, dass dies erst im Verlauf der Geburt erfolgt, berichteten jüngere Studien, dass schon Fruchtwasser- und Plazentaproben solche Mikroorganismen enthielten. Das würde nahelegen, dass bereits Feten ein sogenanntes Mikrobiom haben. Ein internationales Forscher:innenteam widerspricht dem nun deutlich.

    Lange Zeit galt es als belegt, dass das ungeborene Kind sowie die Gebärmutter, in der es heranwächst, einschließlich der Plazenta und des Fruchtwassers bei einer gesunden Schwangerschaft steril sind. Seit 2010 berichteten jedoch mehrere Forschungsteams, Bakterien in Proben der Plazenta und des Fruchtwassers gefunden zu haben, und schlossen daraus auf das Vorhandensein eines fetalen Mikrobioms. Das wiederum würde bedeuten, dass die gängige Vorstellung über die Entwicklung des Immunsystems beim Ungeborenen völlig neu interpretiert werden müsste.

    Der These vom fetalen Mikrobiom widerspricht nun ein Konsortium von 46 Expert:innen aus Reproduktionsbiologie, Mikrobiom-Wissenschaft und Immunologie. Die Forscher:innen unter Leitung von Jens Walter vom University College Cork überprüften die Analysen der diskutierten Studien aus ihren jeweiligen Fachperspektiven und kamen einstimmig zu dem Schluss, dass der Nachweis von Mikrobiomen bei Ungeborenen auf Verunreinigungen von Proben zurückzuführen sei.

    Wie Studienleiter Walter in einem Namensbeitrag ergänzt, würde ein fetales Mikrobiom den Kenntnissen der menschlichen Biologie widersprechen: »Wir wissen zum Beispiel, dass die Plazenta voller anatomischer und immunologischer Barrieren ist, die verhindern, dass Mikroben in sie eindringen und sie besiedeln.« Tatsächlich können nur sehr wenige Mikroorganismen die Plazenta durchdringen und dann zu einer Infektion des Fetus führen, darunter das Herpesvirus, das die Zytomegalie-Infektion auslöst, Röteln- und Windpockenviren sowie Listerien.

    Die Autor:innen hoffen nun, dass ihr Konsens eine Orientierungshilfe für die künftige Forschung darstellt. Das Wissen, dass sich der Fetus in einer sterilen Umgebung befinde, bestätige, dass die Besiedlung mit Bakterien während der Geburt und in der frühen postnatalen Phase stattfinde – dies wurde auch von jüngsten Studien noch einmal belegt, denen zufolge Neugeborene die ersten Mikroben während des Geburtsvorgangs und weitere durch die Muttermilch erhielten.

    Nach wie vor sei es wichtig herauszufinden, wie sich das Immunsystem des Fetus entwickelt. Mit dem publizierten Konsens sollte sich der Forschungsschwerpunkt indes weg von lebenden Mikroben hin zu den Zellbestandteilen von Mikroben und den von ihnen produzierten Chemikalien, so genannten Metaboliten verlagern, sagt Walter: »Es hat sich gezeigt, dass solche Verbindungen die Plazenta durchdringen und das Immunsystem des Fetus auf das Leben in einer keimbelasteten Welt vorbereiten.«

    Quelle: Kennedy, K.M., de Goffau, M.C., Perez-Muñoz, M.E. et al. (2023). Questioning the fetal microbiome illustrates pitfalls of low-biomass microbial studies. Nature 613, 639–649 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-022-05546-8 · dpa, 30.1.23 · DHZ

    Rubrik: Schwangerschaft

    Erscheinungsdatum: 01.02.2023