Traumatisierung durch Gesundheitspersonal

Missbrauch hinterlässt Narben

  • Wenn eine Frau ohne medizinische Indikation um eine Sectio bittet, sollte die Hebamme sie danach fragen, ob es einen Anlass in einer früheren negativen Erfahrung gegeben hat.

  • Wenn Frauen sich beispielsweise während der Geburt vom Krankenhauspersonal schlecht behandelt oder zurückgewiesen fühlen, besteht das Risiko, dass sie eine nachhaltige Angst vor zukünftigen Geburten entwickeln und sich für das nächste Mal eine Sectio wünschen.

    Eine Forschungsgruppe um die norwegische Hebamme Mirjam Lukasse von der Oslo and Akershus University (HiOA) hat in verschiedenen Europäischen Ländern 7.200 schwangere Frauen befragt. Dabei wurden die Fragen bewusst offen gehalten, denn das, was die Fachfrauen als Missbrauch bezeichnen würden, muss von den Frauen oder dem Gesundheitspersonal nicht gleichermaßen so empfunden werden.

    „Hast du jemals im Kontakt mit Gesundheitspersonal erlebt, dass dich jemand richtig gedemütigt oder missbraucht oder unter Druck gesetzt hat, dass deine Meinung nicht akzeptiert wurde, so dass du im Nachherein darunter gelitten hast?“ Das ist eine sehr sensible Frage, weil bekannt ist, dass auch Personal nicht immer nur verständnisvoll und nett ist, gerade unter Stress oder bei sehr konträren Ansichten. Die Antworten auf die vielen Fragen differierten von Land zu Land stark. Der Anteil der Frauen die sich vom Gesundheitspersonal in einer Form schlecht behandelt fühlten, lag in Estland bei 30 Prozent, in Dänemark bei 25 Prozent, in Island bei 24 Prozent, in Schweden bei 23 Prozent, in Norwegen bei 15 Prozent und in Belgien bei 14 Prozent. Die Erfahrungen dieser Frauen waren jeweils sehr persönlich, gleich war allen das bleibende Gefühl, nicht genügend versorgt worden zu sein.

    Die Ergebnisse sind bei Erst- und Mehrgebärenden ähnlich. In allen Ländern wurden die gleichen Fragen gestellt, aber die Antworten ergeben kein Bild, warum in Norwegen und Belgien die Frauen es so deutlich weniger schlimm empfinden als in Schweden, Island oder Dänemark. Estland ist für seinen recht rauen Umgangston bekannt und daher verwunderte die ForscherInnen das Ergebnis weniger.

    Die heikelste Frage in der Erhebung war diese: „Hast du irgendwann in deinem Leben erlebt, dass das Gesundheitspersonal dich absichtlich oder zu seinem eigenen Vorteil physisch oder psychisch schlecht behandelt hat?“ In Norwegen wurde diese Frage nur von 0,2 Prozent der Frauen mit Ja beantwortet.

    Lukasse hat diese Frauen nochmals besonders betrachtet und kommt zu dem Schluss, dass es vor allem die sehr verletzlichen Frauen sind, die sich besonders traumatisiert fühlen. Sie haben typischerweise schwere Schicksalsschläge, finanzielle Probleme und einige von ihnen haben bereits früher einen emotionalen, physischen oder sexuellen Missbrauch erlebt.

    Lukasse resümiert: Wenn eine Frau ohne medizinische Indikation um eine Sectio bittet, sollte die Hebamme sie danach fragen, ob es einen Anlass in einer früheren negativen Erfahrung gegeben hat.

    (Lukasse, M. et al.: Prevalence of experienced abuse in healthcare and associated obstetric characteristics in six European countries. Acta Obstet Gynecol Scand 3. mars 2015. DOI: 10.1111/aogs.12593. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25627169/DHZ)

     

    Rubrik: Medizin & Wissenschaft

    Erscheinungsdatum: 09.06.2015