Supervision im Hebammenstudium

Reflexionsräume

Supervision kann Hebammenstudierende dabei unterstützen, Theorie und Praxiserfahrungen zusammenzubringen. Sie können ihren beruflichen Standort und ihre Rolle finden, sich professionalisieren und ihre Kommunikationsfähigkeiten ausbauen. Im Sinne eines lebenslangen Lernens können hier Ressourcen für ein ganzes Arbeitsleben als Hebamme geschaffen werden. Bianca Keller
  • Supervision kann in den praktischen Einsatzzeiten einen Fokus auf die Persönlichkeitsbildung, Sozialund Personal kompetenzen richten.

  • Ein wichtiger Aspekt des Hebammenstudiums sind die praktischen Anteile, die in der Regel in Kliniken und bei freiberuflichen Kolleginnen absolviert werden. Als angehende Hebammen müssen Studierende sich im Praktikum mit ihrer Rolle auseinandersetzen. Dies ist ein Teil des Kompetenzerwerbs. Ein anderer liegt in der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen mit Frauen und Familien, Teams und Vorgesetzten. Dabei ist Reflexion ein Instrument, das hilfreich und lernfördernd ist.

    Supervision bietet diesen Reflexionsraum als Lernmöglichkeit an. Vor allem bei Schwierigkeiten, Widerständen und Irritationen kann sie konstruktiv geeignete und tragfähige Lernschritte begleiten, dabei die Sprachkulturen anderer Professionen zu verstehen helfen und Kommunikationsbarrieren in der Zusammenarbeit im beruflichen Alltag abbauen und Ideen zur Überwindung entwickeln – alles hochaktuelle Themen, denen sich Studierende der Hebammenwissenschaft stellen müssen.

     

    Die eigene Rolle entwickeln

     

    Inhalte der Supervision mit Studierenden der Hebammenwissenschaft könnten sein:

    • Rollenreflexion als Studierende im Praktikum und als angehende Hebammen
    • Reflexion und Kompetenzerwerb bei der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen mit Frauen und Familien, Teams und Vorgesetzten vor allem bei Schwierigkeiten, Widerständen, Irritationen und Entwickeln geeigneter und tragfähiger Lernschritte: dabei die Sprachkulturen anderer Professionen verstehen lernen und Kommunikationsbarrieren in der Zusammenarbeit im beruflichen Alltag abbauen und Ideen zur Überwindung generieren
    • Sprach- und Umgangskulturen in Familien mit und ohne Migrationshintergrund kennenlernen (Entwicklung interkultureller Kompetenz)
    • Problem- und lösungsorientierter Umgang mit Konfliktsituationen im Arbeitsalltag
    • Reflexion persönlicher Muster und Anteile im Umgang mit Herausforderungen in der praktischen Tätigkeit
    • Reflexion biografischer Anteile in der Bedeutung für das aktuelle Handeln im Berufsalltag
    • Unterstützung des Kompetenzerwerbs im Bereich der Selbstfürsorge und im Umgang mit emotionalen Belastungen
    • Auseinandersetzung mit kontinuierlichen Rückmeldungen und Bewertungen innerhalb des Studiums und der Anleitung.

     

     

    Kommunikation und Konfliktfähigkeit

     

    Mit einer wissenschaftlichen Ausbildung wie dem Studium der Hebammenwissenschaft wird es möglich, Handeln zu belegen, Interventionen anhand von Effizienz und Effektivität zu beurteilen und damit schlussendlich professioneller zu arbeiten. Daneben bleibt die Auseinandersetzung auf der emotionalen Ebene ein weiterer Anspruch an die Professionalität – den Rahmen während einer Geburt zu halten, Krisenmomente zu begleiten und zu bewältigen, existenzielle Gefühle zulassen zu können und mit den Gebärenden und ihren Angehörigen angemessen zu kommunizieren. Dies braucht ein hohes Maß an Reflexions-, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit sowie psychischer Stabilität.

    In dieser Neuausrichtung der beruflichen Bildung stellt Supervision eine Möglichkeit dar, die Studierenden auf den Beruf vorzubereiten und die Voraussetzungen des Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmens im Sinne der verbesserten Reflexionsfähigkeit zu erfüllen sowie das Life-Long-Learning anzustoßen, wie es der Bologna-/Lissabon-Prozess vorsieht (vgl. Schulte, 2014; Nehls, 2014).

    Das Hebammenreformgesetz wurde 2019 verabschiedet und wird seit 2020 umgesetzt. Mit dieser Reform wurde eine europäische Forderung eingelöst, durch »einheitliche Mindeststandards bei verschiedenen Berufsausbildungen den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der EU zu gewährleisten« (DHV, 15.11.2019). In der dualen Studienform an einer Hochschule können Interessierte das grundständige Bachelor­studium zur Hebamme absolvieren. Dies führt zu einer Neuausrichtung der Ausbildung in organisatorischem, aber auch inhaltlichem Rahmen.

     

    Chancen der Ausbildungsreform

     

    In der Reform der Hebammenausbildung liegt eine Chance, die schwierige Ausgangslage von Hebammen und von den Frauen und Familien, die sie in der Schwangerschaft, bei und nach der Geburt begleiten, zu verändern. Erste positive Veränderungen wurden beim Rückblick nach einem Jahr Akademisierung in der Pressemitteilung des Deutschen Hebammenverbands (DHV) am 18. Januar 2021 gezogen: Die Attraktivität des Berufes habe zugenommen (vgl. DHV, 2021).

    Doch die weiterhin mangelnde Versorgung mit Hebammen in Deutschland macht einen Wandel auf verschiedenen Ebenen unerlässlich. So gaben 51 % der befragten Mütter an, Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Hebamme gehabt zu haben (vgl. Sozialministerium Baden-Württemberg, 2018).

    Von den freiberuflichen Hebammen arbeiten immer weniger in der häuslichen Geburtshilfe, da die Prämien der Versicherungen um ein Vielfaches gestiegen sind. Dabei wird zwar ein Teil refinanziert, der Eigenanteil der einzelnen Hebammen steigt aber weiter. Die Umstellung einiger geburtshilflicher Abteilungen auf ein Belegsystem birgt ebenfalls Tücken in der Finanzierung und der Arbeitsbelastung.

    Bei den angestellten Hebammen sind die Arbeitssituationen angespannt: 1991 gab es noch 1.196 Kliniken in ganz Deutschland, in denen Kinder zur Welt kommen konnten, 2017 waren es nur noch 672 (DHZ, 2019). Und auch aktuell sind einige geburtshilfliche Stationen und Kreißsäle von Schließung bedroht, da der Fachkräftemangel hier nicht Halt macht.

    Hebammen bleiben im Schnitt nur vier bis sieben Jahre im Beruf – obwohl die meisten aussagen, dass es der Traumberuf war und an der originären Arbeit nichts auszusetzen wäre, wohl aber an den Rahmenbedingungen. Die Pandemie hat seit 2020 ihr Übriges dazu getan, die Bedingungen zu erschweren. Auch die Gesellschaft und damit die werdenden Eltern verändern sich und darauf müssen Hebammen zukünftig gut vorbereitet werden.

    Im Februar 2020 wurde ein Positionspapier des DHV »Keine Gewalt in der Geburtshilfe« veröffentlicht (vgl. DHV, 2020), in dem unter anderem auf strukturelle Bedingungen von Gewalt eingegangen wird. Hebammen sind als Akteur:innen in diesen Strukturen aktiv und werden belastet. Wie ergeht es den Hebammen und vor allem den Hebammenstudierenden, wenn sie solche Situationen miterleben und auch mittragen sollen? Welche Reflexionsräume werden ihnen real zur Verfügung gestellt?

     

    Neue Anforderungen

     

    Einer der zentralen Unterschiede der bisherigen Ausbildung und des Studiums sind die Anforderungen, die im Deutschen beziehungsweise Europäischen Qualifikationsrahmen verankert sind.

    In einem wissenschaftlich ausgerichteten Studium wachsen die Erwartungen an Abstraktionsvermögen und Reflexionsfähigkeit. Kompetenz zur Bewältigung komplexer Situationen ist erforderlich. Zudem wird ein Studium die Selbstständigkeit der Studierenden vermehrt herausfordern, wenn die praktischen Einsatzorte nicht mehr so eng mit den theoretischen Ausbildungsstellen verzahnt und vernetzt sind.

    Der Theorie-Praxis-Transfer ist im dualen Studium schon in hohem Maße berücksichtigt, da diese Form des Wissenserwerbs eine höhere Vernetzung im Sinne des situierten Lernens vorweist (vgl. Schulte, 2014). Zudem gewinnt aber der Kompetenzbereich der persönlichen Entwicklung an der Schnittstelle Theorie und Praxis an Bedeutung, der auch aufgrund der fortschreitenden Herausforderungen der gesellschaftlichen Veränderungen notwendiger wird.

    Hier sind die höhere Selbstorganisation und das Einarbeiten in unterschiedliche Praxisfelder bei möglicherweise unterschiedlichen Trägern zu nennen – und dies unter prekären Stellensituationen. Bei all diesen Aufgaben und Herausforderungen kann ein bewertungsfreier Rahmen sehr hilfreich sein, wie ihn die Supervision anbietet.

    Daneben vermittelt Supervision aber möglicherweise auch Teilkompetenzen, die im Referentenentwurf der Studien- und Prüfungsverordnung gefordert sind, wie zum Beispiel reflektieren und erfassen komplexer Systeme (vgl. Kompetenzbereich V und VI, HebStPrV vom 08.01.2020) oder die Personen- und Situationsorientierte Kommunikation (vgl. Kompetenzbereich IV, HebStPrV vom 08.01.2020) in Form von Modelllernen (vgl. Steinhardt, 2009:5).

     

    Supervision im Studium: Zielsetzungen und Inhalte

     

    Supervision in psychosozialen Arbeitsfeldern dient zur Qualitätsentwicklung der beruflichen Arbeit und zur Erweiterung der Reflexions- und Kommunikationskompetenz (Ebbecke-Nohlen, 2009:12). Außerdem ist sie ein Instrument, das Selbstfürsorge fördern und Möglichkeiten der Psychohygiene anregen kann (vgl. Seiffert-Petersheim, 2019; Belardi, 2015, Heidenreich & Günter, 2010). Sie kann Orientierung und Verantwortungsübernahme sowie das Setzen von Grenzen fördern (vgl. Jahn, 2019).

    In den sozialen Studienfächern wie Soziale Arbeit, Pädagogik der Kindheit oder auch der Berufspädagogik im Gesundheitswesen beziehungsweise der Pflegepädagogik ist es längst üblich, dass Studierende während der Praktika begleitend Supervision absolvieren.

    Supervision kann insbesondere innerhalb der praktischen Einsatzzeiten einen Raum darstellen, der ergänzend zum Transfer von Theorie und Praxis einen Fokus der Persönlichkeitsbildung und der Ausbildung der Sozial- und Personalkompetenzen mit aufnimmt (siehe Kasten). Vorteil der Implementierung der Supervision in das Studium ist, dass die Studierenden die positiven Effekte während des Studiums für sich nutzen können und das Instrument für die weitere berufliche Tätigkeit kennenlernen (vgl. Heidenreich & Günter, 2010, Seiffert-Petersheim, 2019).

    Die Ausbildungssupervision während der Praxisanteile könnte eine Qualitätsentwicklung im Studium und der beruflichen Praxis ermöglichen. Wichtig erscheint dabei – vergleichbar der Supervision im Allgemeinen, einen kontinuierlichen Lernraum anzubieten und Supervision nicht nur anlassbezogen beispielsweise bei Konflikten einzusetzen. Um diesen Sprech- und Reflexionsraum sicherstellen zu können, bedarf es organisatorischer Rahmenbedingungen: kleine Gruppen und keine Prüfungsleistungen, die zu absolvieren sind, das heißt ein bewertungsfreier Raum kann entstehen, der – natürlich unter Schweigepflicht der Supervisor:in und der Teilnehmer:innen – gewahrt wird.

    Erste positive Berichte aus der Altenhilfe und der Kinder- und Jugendarbeit liegen vor (Janssen, 2019; eigene Beobachtungen). Die Beteiligten konnten Benefits benennen in der gegenseitigen Unterstützung der Ressourcen und Stärken, im Entwickeln einer wertschätzenden Haltung untereinander – und es lässt sich hypothetisch vorwegnehmen, dass dies auch gegenüber anderen möglich sein wird. Eine Steigerung der Lebensqualität und des Selbstwertgefühls können ebenfalls beobachtet werden (vgl. Janssen, 2019).

     

    Ausblick

     

    Zwischenlösungen könnten ein erster Schritt sein: Reflexionszeiten, in denen in einem geschützten Rahmen Themen reflektiert und Instrumente wie kollegiale Beratung oder geleitete Reflexionen eingeführt und geübt werden.

    Meist wirft Supervision die Frage nach der Finanzierung auf – besonders im Hochschulbereich sind die Ressourcen oftmals knapp, aber auch unter Hebammen sind die finanziellen Mittel begrenzt.

    In Form von Lehraufträgen könnte ein Teil der Kosten im Bereich der hochschulischen Ausbildung übernommen werden. Auch ein Eigenanteil der Hebammenstudierenden wäre denkbar, da sie als bezahlte Kräfte über ein Ausbildungsgehalt verfügen. Oder dass eine Verhandlung mit den Trägern der praktischen Ausbildung erfolgt. Sicher bedeutet dies (persönliche) Investitionen – der positive Effekt wiegt aber schwerer. Investieren in die eigene Gesunderhaltung und die Qualität der eigenen Arbeit ist dauerhaft als hohes Gut zu betrachten, wenn Hebammen langfristig in ihrem Beruf arbeiten wollen und sollen.

    Rubrik: Ausgabe 08/2022

    Erscheinungsdatum: 26.07.2022

    Literatur

    Belardi, N. (2015). Supervision für helfende Berufe, 3. völlig überarbeitete Auflage, Freiburg.

    Deutscher Hebammenverband (2020). Pressemitteilung vom 24.11.2020. www.deutscherhebammenverband.de

    Deutscher Hebammenverband. (2019). Pressemitteilung vom 15.11.2019. www.deutscherhebammenverband.de

    Deutscher Hebammenverband. (2019). Pressemitteilung vom 21.3.2019. www.deutscherhebammenverband.de

    Ebbecke-Nohlen, A. (2009). Einführung in die systemische Supervision, Heidelberg.

    Hebammengesetz. (2020).: https://www.gesetze-im-internet.de/hebg_2020/

    Heidenreich, T., Günter, B. (2010). Konzept für die Durchführung der Supervision im Rahmen des praktischen Studiensemesters. Hochschule Esslingen, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Esslingen.

    Jahn, R. (2019). Mehr Effizienz im Mittelstand durch Betriebliches Gesundheitsmanagement und Supervision. PT-Magazin. Leipzig, 4.12.2019.

    Janssen, B. (2019). Warum wir uns mehr um die kümmern müssen, die...

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