Schwangere früher auf Diabetes testen?
Ein Gestationsdiabetes (GDM) kann für Mutter und Kind zu schweren Komplikationen führen. Im Umkehrschluss gilt: Wird ein Gestationsdiabetes rechtzeitig erkannt, können negative langfristige Folgen vermieden werden. Wann jedoch ist der Zeitpunkt des »rechtzeitigen Erkennens«?
Derzeit wird in Deutschland zwischen der 24+0 bis 28+0 Schwangerschaftswoche ein Screening durchgeführt und ein diagnostizierter Gestationsdiabetes bei Bedarf behandelt. Die Mutterschaftsrichtlinien sehen keine Diagnostik während der Frühschwangerschaft vor, daher werden anfallende Kosten hierfür nicht von den Krankenkassen übernommen. Da Stoffwechselveränderungen jedoch häufig schon vor der 14. Schwangerschaftswoche nachgewiesen werden können, enthält die im Januar 2024 veröffentlichte S2e-Leitlinie zur Ersttrimester Diagnostik (AWMF, 2024) Empfehlungen zur Durchführung der Gestationsdiabetes-Diagnostik im ersten Trimenon zwischen der 11. bis 14. Schwangerschaftswoche.
Screening und Behandlung werden zunehmend kontrovers diskutiert: So zeigte eine im New England of Medicine veröffentlichte Studie (TOBOGM-Studie), dass eine Diagnostik vor der 20. Schwangerschaftswoche sowie ein frühzeitiges Eingreifen bei einem diagnostizierten Gestationsdiabetes ungünstige Outcome-Parameter verhindern konnte (Simmons et al., 2023). Ungünstige Folgeentwicklungen während der Schwangerschaft können so vermieden werden.
Eine dreiteilige Lancet-Serie zum Themenkomplex Gestationsdiabetes wurde nun im Juni 2024 veröffentlicht. Sie enthält drei richtungsweisende Publikationen zur Pathophysiologie des Gestationsdiabetes (Hivert et al., 2024), zur Epidemiologie und Management des Gestationsdiabetes (Sweeting et al., 2024) sowie einem »Call to action« (Simmons et al., 2024).
Es scheint, dass der Themenkomplex Gestationsdiabetes derzeit aus verschiedenen Perspektiven von international tätigen Forscher:innen kritisch reflektiert wird. Daraus stellt sich die Frage, ob derzeitig gängige Handlungsschemata auch für die Umsetzung in Deutschland neu gedacht werden müssen.
Da die S3-Leitlinie zum Gestationsdiabetes derzeit überarbeitet wird, bleibt abzuwarten, wie die aktuelle und kontrovers diskutierte Datenlage zukünftig interpretiert wird: Welche Empfehlungen werden also zukünftig für die Diagnostik und Behandlung in Deutschland ausgesprochen?
Quellen:
AWMF (2024). Ersttrimester Diagnostik und Therapie 11-13+6 Schwangerschaftswochen. S2e-Leitlinie. Registriernummer 085-002.
Hivert, M. F., Backman, H., Benhalima, K., Catalano, P., Desoye, G., Immanuel, J., McKinlay, C. J. D., Meek, C. L., Nolan, C. J., Ram, U., Sweeting, A., Simmons, D., & Jawerbaum, A. (2024). Pathophysiology from preconception, during pregnancy, and beyond. Lancet (London, England), 404(10448), 158–174. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(24)00827-4
Simmons, D., Gupta, Y., Hernandez, T. L., Levitt, N., van Poppel, M., Yang, X., Zarowsky, C., Backman, H., Feghali, M., & Nielsen, K. K. (2024). Call to action for a life course approach. Lancet (London, England), 404(10448), 193–214. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(24)00826-2
Simmons, D., Immanuel, J., Hague, W. M., Teede, H., Nolan, C. J., Peek, M. J., Flack, J. R., McLean, M., Wong, V., Hibbert, E., Kautzky-Willer, A., Harreiter, J., Backman, H., Gianatti, E., Sweeting, A., Mohan, V., Enticott, J., Cheung, N. W., & TOBOGM Research Group (2023). Treatment of Gestational Diabetes Mellitus Diagnosed Early in Pregnancy. The New England journal of medicine, 388(23), 2132–2144. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2214956
Sweeting, A., W. Hannah, H. Backman, P. Catalano, M. Feghali, W. H. Herman, M. F. Hivert, J. Immanuel, C. Meek, M. L. Oppermann, C. J. Nolan, U. Ram, M. I. Schmidt, D. Simmons, T. Chivese and K. Benhalima (2024). Epidemiology and management of gestational diabetes. Lancet 404(10448): 175-192. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)00825-0/abstract
Beate Ramsayer/DHZ