Stillen nach Narkose?

Bei einer Narkose werden multiple Arzneistoffe angewendet, die teilweise in die Muttermilch übergehen. Können sie dem Säugling beim Stillen schaden? Wie lange darf die Mutter nach einer Narkose nicht stillen und wie können Hebammen sie beraten? Matthias Bastigkeit
  • Wenn Stillende eine Vollnarkose bekommen, können die eingesetzten Medikamente über die Muttermilch zum Säugling gelangen. Was gilt es zu beachten?

  • Während der ersten Lebenswoche ihres Kindes nehmen 95 % aller Stillenden mindestens einmal ein Medikament ein. 17 bis 25 % nehmen in den ersten vier Monate postpartum Medikamente ein und 5 bis 10 % sogar während der gesamten Stillzeit (Heck 2017).

    Eine Herausforderung ist sicherlich eine Narkose im Rahmen eines operativen Eingriffs, da mehrere Pharmaka eingesetzt werden. Grundsätzlich sind die Säulen einer Narkose Sedierung mit Benzodiazepinen, häufig eine Muskelrelaxierung und die Gabe von Hypnotika wie beispielsweise Propofol. Zur Analgesie kommen Opiate oder Esketamin zum Einsatz. All dies sind hochpotente Pharmaka.

    Nachdem eine junge Mutter mit einer Intubationsnarkose operiert wurde, stellt sich die Frage, ab wann sie wieder stillen darf. Der Ratschlag ist ganz einfach: Wenn die Mutter das Kind nach der Narkose sicher halten kann, darf sie stillen. An dieser Stelle könnte der Artikel beendet sein. Es sind aber Hintergrundinformationen notwendig, um die Sachverhalte nachvollziehen zu können.

     

    Abstillen ist nicht nötig

     

    Häufig wird Stillenden geraten, nach einer Operation oder einer Schmerztherapie abzustillen. Die Protokolle der Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) beschäftigen sich mit Schmerztherapie und Anästhesie der stillenden Mutter (ABM 2017). Sie gelten weltweit als Standard für medizinisch sinnvolle, angemessene Vorgehensweisen bei stillenden Frauen und Stillkindern. Die Empfehlungen haben sich auch in der aktuellen Version des Protokolls nicht geändert: Reifgeborene, gesunde Neugeborene oder ältere Stillkinder kann die Mutter nach einer Allgemeinanästhesie stillen, sobald sie wieder wach und stabil ist. Auch der kurzzeitige Einsatz von Opioiden bei einer stillenden Mutter gilt als sicher und erfordert keine Einschränkungen.

    Das Protokoll beschreibt, dass zur gebräuchlichen PDA unter der Geburt bislang keine abschließende wissenschaftliche Bewertung über die Auswirkungen auf das Stillen möglich ist. Studien hierzu sind häufig von niederer Qualität, kommen zu unterschiedlichen und widersprüchlichen Ergebnissen und hängen zudem von den gegebenen Dosen an Opioiden und anderen Medikamenten ab. Auch die Auswirkungen auf das Neugeborene sind unklar. Einige Studien geben Hinweise auf eine verringerte Aktivität beim Suchen und Saugen, andere Studien können das nicht bestätigen.

    Die ABM weist darauf hin, dass eine PDA vermutlich kaum oder keine Auswirkungen auf den Stillerfolg einer Mutter hat, die entschlossen ist zu stillen und gute fachliche Unterstützung erhält. Für eine weniger gut informierte Mutter in ungünstigem Setting kann die PDA jedoch ein Risiko darstellen. Daher empfiehlt die ABM, Müttern, die mit Hilfe einer PDA geboren haben, besonders intensive Unterstützung anzubieten und zu berücksichtigen, dass diese Mütter häufig hohe Flüssigkeitsmengen i.v. während der Geburt erhalten haben.

     

    Standardmedikament Propofol

     

    Eines der Standardnarkotika mit guter Steuerbarkeit und Verträglichkeit ist Propofol. Es wird in der Roten Liste für Stillende als kontraindiziert eingestuft, beziehungsweise sollen sie mit dem Stillen 24 Stunden pausieren. Im Beipackzettel ist zu lesen: 24 Stunden Stillpause, Milch verwerfen. Im Standardwerk von Schaefer und Spielmann (Schaefer et al. 2012) steht dagegen, eine Stillpause sei nicht erforderlich.

    Das Beratungszentrum Embryotox der Charité-Universitätsmedizin Berlin führt aus: »Es liegen publizierte Untersuchungen zu 12 Mutter-Kind-Paaren vor. Propofol geht nur in sehr geringen Mengen in die Muttermilch über. Bisher wurden keine Symptome bei gestillten Kindern nach mütterlicher Narkose mit Propofol berichtet.« (embryotox.de, o.D.). Empfehlung: Die Mutter darf stillen, sobald sie nach einer Narkose mit Propofol in der Lage ist, ihr Kind selbstständig anzulegen. Dies gilt für alle Narkosen, insbesondere nach Kaiserschnitt. Die pharmakokinetischen Daten und die klinische Erfahrung begründen keine zusätzliche Stillpause (embryotox.de, o.D.)

    Propofol und andere Narkotika wirken nicht analgetisch. Auch wenn sich die Frau in Narkose befindet, steigert ein Schmerzreiz den Pegel an Stresshormonen. Deshalb ist eine wichtige Säule bei einer Narkose immer auch ein potentes Analgetikum. Entweder ein Opioid oder Esketamin.

     

    Opioide nur unter Beobachtung

     

    Im Körper von Neugeborenen verweilen viele Opioide deutlich länger als bei Erwachsenen, etwa Fentanyl, Alfentanil oder Pethidin (Embryotox). Das Protokoll der ABM geht auf eine systemische Opioidgabe unter der Geburt ein und empfiehlt, diesen Mutter-Kind-Paaren aufgrund möglicher Auswirkungen auf das Kind besondere Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen mehr Zeit für den Haut-zu-Haut-Kontakt zu ermöglichen.

    Das Protokoll geht auch auf die Anästhesie während einer Sectio ein: Eine Anästhesie mithilfe einer PDA sei gegenüber einer Vollnarkose vom Gesichtspunkt der Stillförderung wünschenswert, sofern dies medizinisch möglich und vertretbar ist. Bei Anästhesie mit einer PDA sollte die Mutter möglichst sofort im Operationssaal mit dem Kind in Haut-zu-Haut-Kontakt gebracht werden, bei einer Vollnarkose, sobald die Mutter wach und in der Lage ist, ihr Kind selbst zu halten (Martin et al. 2018). Besonders wenn eine stillende Mutter Opioide bekommt, für die keine Daten zum Übergang in die Muttermilch vorliegen, sollte das Kind auf Zeichen von Atemdepression, Sedierung und herabgesetzter Aufmerksamkeit beobachtet werden.

    Bei stillenden Müttern können intravenöse Einzeldosen von Fentanyl, transdermale Fentanylpflaster oder epidural appliziertes Fentanyl sicher angewendet werden. Fast alle Opioide können eine Atemdepression bei Mutter und Kind auslösen. Eine Ausnahme bilden Buprenorphin und Nalbuphin. Auch in sehr hohen Dosen wirken sich diese Opioide nicht negativ auf das Atemzentrum aus.

    Die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) hat bereits 2017 vor dem Einsatz des Opioids Tramadol bei Stillenden gewarnt. Die AutorInnengruppe um Mike Kinsella hält den Einsatz für vertretbar, wenn der gestillte Säugling danach auf Zeichen einer vermehrten Schläfrigkeit untersucht wird. Eine Kontraindikation besteht bei Codein, das im Körper in Morphin umgewandelt wird. Die FDA und die europäische Arzneimittelagentur EMA betrachten Codein in der Stillzeit deshalb als kontraindiziert (Kinsella et al. 2020).

     

    Stichwort Fettlöslichkeit

     

    Die Arzneistoffkonzentration im mütterlichen Plasma hängt von der Bioverfügbarkeit, der Resorptionsquote, den Eigenschaften des Wirkstoffs und seiner Abbauprodukte ab. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Plasmaeiweißbindung (PPB). Je stärker ein Wirkstoff an die Plasmaeiweiße gebunden ist, desto geringer ist der Anteil des freien Arzneistoffs. Nur der freie, nicht an Proteine gebundene Anteil kann in die Muttermilch übergehen. Je größer die Plasma-Eiweißbindung, desto sicherer ist der Arzneistoff für den gestillten Säugling. Aber: Je größer die Plasma-Eiweißbindung, desto größer ist die Gefahr für Arzneimittelwechselwirkungen. Das Arzneimittel mit der größeren PPB verdrängt das mit der geringeren aus dem Transportprotein und steigert seine freie und wirksame Menge im Plasma.

    Bei einer Plasmaeiweißbindung über 85 % kann eine Gefährdung wegen des Übertritts in die Muttermilch vernachlässigt werden. Je lipophiler ein Wirkstoff oder seine Metaboliten sind, umso leichter diffundieren sie in die Muttermilch. Zur Prämedikation ist etwa das Benzodiazepin Midazolam besser geeignet als Diazepam. Es wirkt kürzer und ist weniger fettlöslich.

    Die Wasser- und Fettlöslichkeit sind in der Fachinformation ersichtlich. Um diese aufzurufen, ist ein Passwort von DocCheck nötig. Hebammen können es gratis beantragen unter > www.doccheck.de, wenn sie ihre Hebammenurkunde einreichen.

    Auch wenn die Medikamente zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer Narkose sehr potent sind, sind in vielen Fällen die Ängste vor dem Stillen nach einer Operation unbegründet. Hebammen können den Frauen beratend und unterstützend zur Seite stehen.

     

    Empfehlungen zum Stillen nach Narkose

     

    Die «Guideline on anaesthesia and sedation in breastfeeding women 2020« der Association of Anaesthetics gibt konkrete Hinweise für Stillende nach einer Narkose:

    • Frauen sollten ermutigt werden, nach der Operation wie gewohnt zu stillen.
    • Es besteht keine Notwendigkeit, die Muttermilch nach der Anästhesie abzupumpen und zu verwerfen.
    • Anästhetika und nicht-opioide Analgetika gehen nur in sehr geringen Mengen in die Muttermilch über. Für fast alle Medikamente, die perioperativ eingesetzt werden, gibt es keine Hinweise auf Auswirkungen auf den gestillten Säugling.
    • Medikamente wie Opioide und Benzodiazepine sollten mit Vorsicht angewendet werden, insbesondere nach Mehrfachdosierungen und bei Säuglingen im Alter bis zu sechs Wochen.
    • In dieser Situation sollte der Säugling auf Anzeichen von abnormer Schläfrigkeit und Atemdepression beobachtet werden, besonders wenn die Frau ebenfalls Anzeichen von Sedierung zeigt.
    • Codein sollten stillende Frauen nicht nehmen, da bei einigen Säuglingen eine übermäßige Sedierung befürchtet wird.
    • Alle Frauen mit einem Säugling unter zwei Jahren sollten vor einer Operation gefragt werden, ob sie stillen.
    • Opioid-sparende Techniken sind für stillende Frauen vorzuziehen. Lokale und regionale Anästhesie haben in dieser Hinsicht Vorteile und beeinträchtigen am wenigsten ihre Fähigkeit, sich um den Säugling zu kümmern.
    • Wenn möglich, ist eine Tageschirurgie vorzuziehen, um eine Störung des normalen Tagesablaufs zu vermeiden. Eine Frau, die sich einer Tageschirurgie unterzieht, sollte in den ersten 24 Stunden einen verantwortungsbewussten Erwachsenen bei sich haben. Sie sollte vorsichtig sein mit dem Co-Sleeping, da sie möglicherweise nicht so ansprechbar ist wie sonst.
    • Stillende Frauen sollten Zugang zu Stillunterstützung nach der Operation haben.
    • Es sollten PatientInnenbroschüren und zusätzliche Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die Informationen über die Verträglichkeit von Anästhetika und Analgetika während der Stillzeit sowie Hinweise zur Stillunterstützung in der perioperativen Zeit enthalten (Mitchell et al. 2020).

    Quelle: Association of Anaesthetics 2021: Anaesthesia and sedation in breastfeeding women 2020. Doi: https://doi.org/10.1111/anae.15179

    Rubrik: Ausgabe 06/2021

    Erscheinungsdatum: 27.05.2021

    Literatur

    Embryotox: embryotox.de, o.D. http://www.embryotox.de

    Dalal PG, Bosak J, Berlin C: Safety of the breast-feeding infant after maternal anesthesia. Paediatr Anaesth 2014. 359–71. Doi: https://doi.org/10.1111/pan.12331

    Heck A: Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit – so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsspital Zürich 2017. https://www.pukzh.ch/default/assets/File/Vortrag%20Heck.pdf

    Kinsella SM et al.: Guideline on anaesthesia and sedation in breastfeeding women 2020. Wiley online library 2020. Doi: https://doi.org/10.1111/anae.15179

    Martin E, Vickers B, Landau R, Reece-Stremtan S: ABM: Clinical Protocol #28, Peripartum Analgesia and Anesthesia for the Breastfeeding Mother. Breastfeed Med 2018. Apr; 13(3):164–171. doi: 10.1089/bfm.2018.29087.ejm. Epub 2018 Mar 29. PMID: 29595994

    »