Metalle in der Muttermilch

Strichcode im Milchzahn

Anthroplog:innen und Paläontholog:innen können an den Zähnen ablesen, wie lange ein Mensch gestillt wurde. Fast wie ein Barcode zeigen die gespeicherten Metalle Calcium, Barium, Strontium und Zink die Stilldauer an. Als Bestandteile der Muttermilch lagern sie sich auf der postpartalen Seite der Neontal-Linie der Zähne ab. Zwei davon sind unerlässlich für den Aufbau der Zähne. Ein drittes eignet sich besonders gut zum Nachweis des Stillens. Birgit Heimbach
  • Anthroplog:innen und Paläontholog:innen können an den Zähnen ablesen, wie lange ein Mensch gestillt wurde. Fast wie ein Barcode zeigen die gespeicherten Metalle Calcium, Barium, Strontium und Zink die Stilldauer an.

  • Eine feine, dunkle Linie in den Zähnen markiert bei jedem Menschen den Zeitpunkt der Geburt: die Neonatal-Linie (NNL). Sie zeigt im Zahnschmelz (Enamel) und im Dentin der Milchzähne und der ersten bleibenden Molaren deutlich den Übergang vom pränatalen zum postnatalen Zahnwachstum, den Übergang von pränataler zu postnataler Existenz. Nachdem die Milchzähne ausgefallen sind, zeigt diese Linie in den vier ersten bleibenden Molaren, den 6er-Molaren, sogar zeitlebens den Zeitpunkt unserer Geburt an, sehr genau auf den Tag. Fehlt sie, ist dies für Forensiker:innen ein zuverlässiger Biomarker dafür, dass das Kind bereits intrauterin verstorben ist (Witz, 2014). Wie eine biologische Geburtsurkunde zeigt diese Linie, wie viele Tage ein Kind die Geburt überlebt hat (Janardhana et al., 2011). Sie ermöglicht eine zuverlässige Schätzung des Alters von Menschen und anderen Primaten.

    Die Linie markiert ebenfalls deutlich den Wechsel von pränataler zu postnataler Ernährung. Mineralien aus der Muttermilch – Calcium, Strontium, Barium und Zink – werden dann nämlich direkt hinter der NNL in einer bestimmten Konzentration eingelagert und können genau bestimmt werden. Mineralien in den Zähnen bleiben dort über den Tod hinaus, auch Fossilierungsprozesse überstehen sie. Das ermöglicht Prähistoriker:innen und Anthropolog:innen an gefundenen Zähnen eine genaue Rekonstruktion der Stillgeschichte bei unseren Vorfahren oder Hominiden (Menschenaffen). Und es ermöglicht neue Studien zur Entwicklung der menschlichen Lebensgeschichte, zur Ernährungsontogenese bei wildlebenden Primaten und zur Untersuchung der menschlichen Gesundheit.

     

    Bau der Milchzähne

     

    Die 20 Milchzähne werden ab der sechsten, die ersten bleibenden Zähne ab der 20. Schwangerschaftswoche angelegt und wachsen im gesamten Säuglingsalter weiter. Ameloblasten bilden den Zahnschmelz (Amelogenese), Odontoblasten das primäre Dentin (Odontogenese). Nach jeder sezernierenden Phase folgt eine mineralisierende Phase. Calcium verbindet sich mit Phosphor und Sauerstoff zu dem aus Prismen gebauten kristallartigen Ca-Phosphat-Mineral (Hydroxylapatit), das den Zähnen ihr weißes Aussehen verleiht. Fluoride machen die Kristallstruktur durch Fluorid noch stabiler, verringern die Säurelöslichkeit, auch andere Elemente werden eingelagert.

    Calcium (Ca) ist mit 1–1,5 kg der am stärksten vertretene Mineralstoff im Körper. Es ist daher ein Mengen- oder Makroelement (ab 50 mg pro Kilogramm Körpergewicht). Zu 90 % befindet es sich in Zähnen und Knochen. In den Zähnen ist es im Dentin zu 70 % und im besonders weißen Zahnschmelz (Enamel) sogar zu 97 % enthalten, der dadurch härter als Stahl ist. Zum Ende des zweiten Trimesters verdoppelt sich bei den Schwangeren die intestinale Absorption von Calcium von rund 30–40 % auf bis zu 75 %. So kann das Hormon Calcitonin, das den Calcium-Haushalt reguliert, für den Aufbau von Vorräten im Skelett sorgen, was den Calcium- und Fluorid-Transport zum Fetus über die Plazenta erleichtert (Castiblanco-Rubio, 2022).

    Der Zahnschmelz des Feten wächst schichtweise nach oben, das Dentin Richtung Zahnwurzel, so dass sich die jeweils neuen Schmelz- und Dentinzellen immer weiter von der Schmelz-Dentin-Grenze, der inneren Wachstumsachse, entfernen. Zwischen den Sekretionsphasen gibt es Ruhephasen. Dadurch lassen sich feine Wachstumsrillen erkennen, vergleichbar mit den Jahresringen bei Bäumen. Im Schmelz heißen sie Retziusstreifen, im Dentin Owen- oder Ebner-Wachstumslinien. Diese für immer bestehenden Schichten führen zu großer Belastbarkeit.

     

    Die Neonatal-Linie unter dem Lichtmikroskop

     

    Die erstmals 1933 beschriebene NNL verläuft fast parallel auf beiden Seiten der Schmelz-Dentin-Grenze. Ihr dunkler Grauwert verweist auf einen geringeren Mineralgehalt im Vergleich zu den angrenzenden Bereichen vor und nach der Geburt – dabei ist der pränatale Schmelz regelmäßiger und stärker mit Calcium angereichert als der postnatale (Eli et al., 1989).

    Zudem hat die NNL ein höheres organisches und Wasser-Volumen und ihre Schmelzprismen sind anders ausgerichtet. Im Schmelz ist sie der erste Retziusstreifen und deutlicher zu sehen als im Dentin (Janardhanan, 2011). Sie spiegelt die vorübergehende Lage der sekretorischen (sezernierenden) Zellfront während des Geburtsprozesses wider. Sie ist bei jedem Milchzahntyp etwas anders, bei Mädchen dicker als bei Jungen.

    Oralpatholog:innen in Finnland maßen die Geburtslinie unter dem Durchlicht-Mikroskop an 54 feinen Schnitten von Zähnen. Als mittlere Dicke wurde 17,42 μm ermittelt (Hurnanen, 2017). Die genaue Lage variiert je nach Schwangerschaftsdauer. Eine breite NLL fanden sie bei wenig stressvollen Geburten. Eine längere Geburtsdauer sei hochsignifikant mit einer schmaleren NNL verbunden (Hurnanen, 2017). Bei Frühgeborenen und Kindern, die einen Sauerstoffmangel hatten und reanimiert werden mussten, sowie bei Kindern adipöser Mütter ist die Linie besonders schmal (Hassett et al., 2020).

    Der dahinterstehende Prozess im Körper: Der Geburtsstress verursacht einen hypokalzämischen Stress (zu wenig Calcium). Besonders bei Sauerstoffmangel kann es zu einer Erhöhung des Serumkalzitonins kommen, wodurch die Calciumabgabe in Zähne und Knochen stoppt. Die Kombination aus niedrigen Serum-Ca-Spiegeln und einem niedrigen pH-Wert im Blut beeinträchtigt die zelluläre Aktivität der empfindlichen Ameloblasten und Odontoblasten (Dean et al., 2019; Austin, 2022). Es kommt zur Veränderung der Dimension, der Richtung und des Mineralisierungsgrads der Schmelzprismen. Je nach Stresslevel verlangsamt sich oder stoppt die Matrixsekretion und die NNL fällt entsprechend schmal aus (Witzel, 2014). Ein operativer geburtshilflicher Eingriff kann den Stress auf die Ameloblasten verstärken (Kierdorf et al., 2020).

    Eine sehr schmale NNL gilt inzwischen als verlässlicher Marker für starken geburtsbedingten Stress und/oder negative Einflüsse während der Gestationszeit. Bereits 1985 wurden Zusammenhänge zwischen einer Hirnschädigung und besonders schmaler NNL gezogen (Eli et al., 1989). Auch spätere schwere Erkrankungen können als Stresslinien im Dentinsichtbar werden. Und bei Frauen können sich die sehr anstrengenden Geburten ihrer Kinder in dieser Form verewigen. Dentin ist lebendes Gewebe und ständig bilden die Odontoblasten sekundäres Dentin.

     

    Calcium: Supplementierung für die Zähne?

     

     

     

    Milchzähne sind weiß wie Eis am Schmelz­punkt. Zwei silbrige Metalle tragen dazu bei: Calcium und Zink. Reaktions­freudig geben sie ihre zwei Außen­elektronen an Sauerstoff ab und lagern sich mit ihm als Kristalle im Zahnschmelz und Dentin ab. Das machen auch die zwei nicht essenziellen Metalle Barium und Strontium. Vor allem Barium markiert (grüne Zonen) die Zeit der Laktation: Aus der Muttermilch stammend lagert es sich im Schmelz hinter der Neonatal-Linie (jeweils dunkle Linie) in Richtung Zahnkrone, im Dentin in Richtung Zahnwurzel ab. Dabei zeigt sich die Laktation oft als Plateau. Und weil sie so schnell mit Sauerstoff reagieren, findet man alle vier auch in Feuerwerkskörpern: Calcium verbrennt nach dem Schmelzpunkt orange- rot, Barium grün, Strontium rot, Zink gelb.

    Illustration: © Birgit Heimbach

     

    Nach der Geburt kehrt die mütterliche Calcium-Aufnahme aus der Nahrung auf den Ausgangswert zurück, doch werden die Ca-Skelettspeicher stark mobilisiert – für die Muttermilch, die doppelt so viel Ca enthält wie das Nabelschnurblut. In den ersten fünf Tagen steigt die Gesamtcalciumkonzentration stark an, danach folgt ein allmählicher Rückgang von gebundenem Calcium für die Dauer der Laktation. Die Menge an ionisiertem Calcium bleibt allerdings relativ stabil (Dror & Allen, 2018). Orai1, eine Untereinheit des speichergesteuerten Ca(2+)-Kanals, regelt in den Alveolen den Ca(2+)-Transport in die Milch und den Milchausstoß (Davi et al., 2015).

    Säuglinge nehmen Calcium aus der Muttermilch vor der Reifung ihres Magen-Darm-Trakts passiv auf, was durch andere Stoffe in der Milch verstärkt wird (Smith, 2021). Trotzdem ist in der postnatalen Zahnsubstanz weniger Calcium enthalten als pränatal.

    Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung benötigen Schwangere oder Stillende nicht mehr Calcium als vorher: 1.000 mg pro Tag. Nur wenn sie unter 19 Jahre sind, sollten sie 1.200 mg pro Tag zu sich nehmen – wie alle Gleichaltrigen (https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/calcium/?L=0).

    In einer aktuellen Studie zeigten sich nach einer Ca-Supplementierung in der Schwangerschaft nicht ganz sichere Vorteile für die Zahngesundheit der Kinder: Möglicherweise käme es später zu weniger Kariesbefall, aber es gab keine nennenswerten Vorteile für die Knochendichte (Tihtonen, 2022).

    Das Calcium aus der Muttermilch lagert sich dauerhaft im postnatalen Bereich des Zahnes an und kennzeichnet die Länge des Stillens. Die anschließende Ernährung beinhaltet nämlich weniger Calcium, was sich ebenfalls deutlich in den Zähnen zeigt. Und hatte die Muttermilch zuvor den idealen pH-Wert, sind die Zähne nun auch mal einem pH-Wert von 5,5 ausgesetzt, ein Bereich, in dem die Demineralisation beginnt. Allerdings enthält Muttermilch nur 0,005 mg pro Liter Fluorid, weshalb geraten wird, dies bei Säuglingen zu substituieren

     

    Zink: Gehalt sinkt schnell in Muttermilch

     

    Zink (Zn) ist für die Skelett- und Zahnbildung sowie eine Reihe von Stoffwechselprozessen unerlässlich (Dean et al., 2019). Es konkurriert mit Calcium um Positionen an der Oberfläche des Apatitkristalls und hat eine ähnliche Rolle wie Fluorid, allerdings etwas weniger stark (Lynch, 2011). Die perinatalen Anreicherungsmuster in den Milchzähnen und ersten bleibenden Molaren markieren sehr deutlich den Beginn des Stillens, was mit dem etwa elffachen Anstieg von Zn im Kolostrum im Vergleich zu Nabelschnur-Seren und seinem aktiven Transport in der Milchdrüse zusammenhängt (Smith, 2022).

    Allerdings nimmt Zink im Laufe der Laktation schnell ab (Dean et al., 2019), was es für die Erforschung des Stillverhaltens weniger nützlich macht. Es wird vermutet, dass Zink der erste limitierende Nährstoff in der Muttermilch ist. Der Gehalt sinkt um etwa 4 mg pro Tag in den ersten Tagen nach der Geburt auf nur etwa 0,7 mg pro Tag bis zum sechsten Monat.

    Die durchschnittliche fraktionierte Absorption von Zink aus der Muttermilch liegt nur bei etwa 50 %. Häufig nehmen Säuglinge unter sechs Monaten aus der Muttermilch weniger als die empfohlene Menge Zink auf. Es zeigte sich aber, dass sich der Gehalt in der Muttermilch nicht durch Einnahme zinkhaltiger Nahrungsergänzungsmittel beeinflussen lässt (Aumeistere et al., 2018; Geddes, 2021). Stillende sollten laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung jedenfalls täglich 11 mg Zink aufnehmen, Schwangere im zweiten und dritten Trimester 9 mg. Ansonsten gilt für Frauen 7 mg.

    Zink ist ein silbern-grau glänzendes Übergangsmetall, das silbrig glänzende Calcium ein Erdalkalimetall. Noch zwei solcher Erdalkalimetalle findet man in den Zähnen: Strontium (Sr) und Barium (Ba), beide etwas dunkler glänzend. Als ebenfalls »Knochen und Zähne suchende« Elemente teilen sie mehrere chemische Eigenschaften: Sie geben reaktionsfreudig ihre beiden Außenelektronen an Sauerstoff ab, mit dem sie sich sogleich verbinden, wobei zweifach positiv geladene Ionen entstehen. Sie können die Calcium-Ionen (Ca2) bei zellulären Transportprozessen ersetzen und sich im Hydroxylapatit-Mineral der Zähne ebenso einlagern (Smith, 2021). Wie Zink können die drei Elemente Calcium, Strontium und Barium mit einigen Molekülen dieselben Komplexe bilden, wie man 2018 erstaunt feststellte (Whu, 2018). Alle vier haben zudem einen für Metalle niedrigen Schmelzpunkt, brennen schnell und farbig.

     

    Strontium und Barium: nicht essenzielle Metalle

     

    Strontium und Barium sind überhaupt nicht wichtig für die Zahnbildung – aber interessant, um die Dauer des Stillens zu beurteilen. Als nicht essenzielle Spurenelemente können sie in sehr hoher Konzentration sogar giftig sein.

    Die Muttermilch ist reich an Barium sowie arm an Strontium. Nach der Stillzeit, bei der folgenden Ernährung mit Körnern, Gemüse, Fleisch oder tierischer Milch, steigt die Ablagerung in den Zähnen von Strontium, Barium dagegen fällt ab. Die Entwicklungsmuster von Sr/Ca sind oft weniger gut definiert als bei Ba/Ca (Smith, 2022).

    Barium stellte sich als besonders günstig zur Bestimmung der Stillzeit heraus, betonte ein Team von Wissenschaftler:innen 2021 um Dr. Christine Austin, Juniorprofessorin von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, sowie Prof. Dr. Tanya M Smith vom Australian Research Centre for Human Evolution (ARCHE) in Brisbane. Sie publizieren schon seit 2013 zu den Einlagerungen in den Zähnen.

    Im Mutterleib sind die im Kiefer angelegten Zähne noch nahezu frei von Barium, weil es die Plazenta schlecht passiert, erklären sie. Die durchschnittlichen Bariumkonzentrationen im Nabelschnurblut stellen nur ein Viertel der mütterlichen Blutwerte dar. Im Kolostrum ist es dann im Vergleich zum Nabelschnurblut um den Faktor sieben erhöht.

    Mit der Muttermilch gelangt es zum Kind und lagert sich unter anderem im Zahnschmelz ab. Barium wird offensichtlich sogar schneller als Calcium aufgenommen. Es ist ein nützlicher Indikator für den Stillbeginn, obwohl die absoluten Ba-Werte in den Zähnen sehr variieren können (Smith, 2021). Die Mehrheit der Höcker der ersten bleibenden Molaren zeigt jedoch deutliche Konzentrationsanstiege vom pränatalen zum postnatalen Zahnschmelz (Austin, 2013).

    »Wir können sehen, wann das Barium im Zahn nach der Geburt auftaucht, und wir sehen, dass es mit der Zeit zunimmt, weil ein Säugling mehr Milch aufnimmt, wenn er größer wird, und dann sieht man, wie es in dieser schönen, umgekehrten U-Form abfällt«, sagt Katie Hinde, Assistenzprofessorin für menschliche Evolutionsbiologie und Laktationsforscherin an der Arizona State University, die mit Austin und Smith gemeinsam publiziert (siehe Link). Damit könne man nun an Fossilien in Museumssammlungen Still- und Entwöhnungsprozesse definieren.

    In Studien zeigte sich, dass die Ba-Werte mit fortschreitender Stillzeit abnahmen, was möglicherweise auf eine Verringerung der Bindungskapazität der Milch infolge abnehmender Proteine und Fette zurückzuführen ist. Es wurde auch ein Alterseffekt festgestellt: Mütter, die älter als 30 Jahre waren, hatten deutlich mehr Ba in ihrer Milch als jüngere Mütter. Schwankungen aller Metalle können zudem eng mit Krankheit und Gewichtsverlust einhergehen (Austin et al., 2016; Smith et al., 2021). Trotz solcher Schwankungen bleibt Barium ein guter Indikator für das Stillen (Smith et al., 2021).

     

    Sauerstoff: Im Mineral der Zähne eingeschlossen

     

    Smith und Austin testen derzeit einen neuen möglichen Stillzeitindikator: Sauerstoff, der ebenfalls über die Muttermilch in die Zähne gelangt und mit den Metallen reagiert.

    Sauerstoff besteht aus drei stabilen Isotopen – zu 99,7 % aus dem stabilen Isotop O-16. In Versuchen wurde zwei Wochen vor und nach der Geburt das Verhältnis von O-16 zu dem Isotop O-18 bestimmt. Das Ergebnis: Ihr Verhältnis (namens Delta-O-18) ist in der neonatalen Linie aufgrund ihres reduzierten Ca-Phosphats verringert. Aber wenn Neugeborene zu atmen beginnen und transkutan Wasser verlieren, steigt das Sauerstoffverhältnis im postnatalen Zahnschmelz. Denn vor allem das leichte Isotop O-16 schwindet mit dem entweichenden Körperwasser. Entscheidende Überlegung in Bezug auf das Stillen: Zu dem Anstieg trägt offenbar entscheidend auch die Zufuhr des schwereren Isotops O-18 durch die Aufnahme von Muttermilch bei. Dort hat es sich nämlich aufgrund der mütterlichen Atmung angereichert.

    In Verbindung mit den Metallen ist Sauerstoff dauerhaft im Bioapatit-Mineral der Zähne eingeschlossen, gibt damit Auskunft über die zu dem jeweiligen Zeitpunkt der Zahnbildung eingeatmeten und mit der Milch getrunkenen Sauerstoff, was sogar in fossilen Funden nachgewiesen werden kann.

    Dieser Ansatz, der im Einklang mit postnatalen Zunahmen von Ba/Ca in den Zähnen steht, wird vermutlich eine nützliche Ergänzung für bioarchäologische Studien und Untersuchungen der öffentlichen Gesundheit werden (Smith, 2021).

     

    Die Paläontologie untersucht Neandertaler

     

    Der Zeitpunkt des Abstillens verrät Paläontolog:innen viel über die Entwicklung und Vermehrung unserer Vorfahren. So beeinträchtigte ein frühes Abstillen möglicherweise die Gesundheit der Kinder. Allerdings erlaubte es den Müttern, schneller wieder schwanger zu werden, was Vorteile für das Wachstum der Population gehabt habe.

    Eine Studie, die Stillverhalten bei südafrikanischen Frühhomininen anhand der Verhältnisse von Calcium zu Strontium und zu Barium untersuchte, kam zu dem Ergebnis: Der frühe Homo stillte länger als die Frühhomininen Australopithecus africanus und Paranthropus robustus und hatte daher ein längeres Intervall zwischen den Geburten (Tacail et al., 2019).

    Anhand der Bariumeinlagerungen wurde die Ernährungsumstellung bei einem achtjährig verstorbenen Neandertaler aus dem Mittelpaläolithikum untersucht. Es zeigte sich: Er wurde sieben Monate lang ausschließlich und sieben Monate ergänzend gestillt, dann wurde das Stillen abrupt im Alter von 1,2 Jahren beendet (Austin et al., 2013). Offensichtlich stillten Neandertaler ihre Kinder kürzer als heutige Naturvölker.

    Am Frankfurter Isotope and Element Research Center (FIERCE) am Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität wurden 40.000 bis 70.000 Jahre alte Milchzähne von vier Kindern untersucht, die in Höhlen in Nordostitalien gefunden wurden. Dank feinauflösender Methoden wie der Laserablation (siehe unten) konnte aufgrund der Calcium- und Strontium-Einschlüsse der Zeitpunkt des Abstillens sehr genau datiert werden. Je nach Individuum lag er zwischen 3,8 und 5,3 Monaten. Die Zahnschmelzschichten ähneln jener heutiger Babys in westlichen Kulturen. Ernährung und Entwicklung verliefen erstaunlich ähnlich. Die Forscher:innen sind der Ansicht, dass die Stilldauer nichts mit dem Aussterben der Neandertaler zu tun gehabt habe (Nava et al., 2020).

    Laser-Ablation

     

    Winzige Proben aus dem Zahn

     

    Mit einem sehr feinen Laserstrahl wird auf einzelne Punkte einer feinen Zahnscheibe geschossen, um winzige Proben zu gewinnen (Laser-Ablation). Der Laser verdampft den Zahnschmelz, der Dampf wird aufgefangen und in einem Massenspektrometer die Elementarzusammensetzung analysiert. Die Menge von Elementen kann bestimmt werden.
    »Mit einer Scheibe von einem Tausendstelmillimeter (µ) kann man theoretisch in den Tageswachstumslinien des Zahnschmelzes die tägliche Nahrungsänderung darstellen«, so der Paläontologe Prof. Dr. Ottmar Kullmer vom Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg.

    > www.deutschlandfunk.de/im-zahn-wird-es-gespeichert-100.html

     

     

    Die Primatologie zieht Vergleiche

     

    Der Bariumnachweis verdeutlicht viele Muster der Laktation bei Hominiden. Die Analyse unterschiedlicher Bariummengen im Gebiss von vier Orang-Utans (P. abelii und P. pygmaeus) während der gesamten Säuglingszeit hat beispielsweise ein zyklisches Stillmuster gezeigt, mit denen sie saisonale Schwankungen der Verfügbarkeit von Früchten ausgleichen (Smith, 2021; Badescu, 2022).

    Iulia Badescu PhD, Juniorprofessorin für biologische Anthropologie und Primatologin an der Universität of Montreal, erläuterte auf dem Kongress der International Society for Research in Human Milk and Lactation (ISRHML) im November 2022, dass sich allerdings wie beim Menschen der Milchbildungsaufwand bei vielen Menschenaffen nicht progressiv ändere, sondern während des größten Teils des Säuglingsalters meist auf einem Plateau bleibe. Die Strategie einer sogar mehrjährigen Plateaubildung der Laktation könnte den hominoiden Säuglingen Zeit gegeben haben, die physiologischen und verhaltensmäßigen Fähigkeiten zu erlangen, die für eine unabhängige Nahrungsaufnahme erforderlich sind, und gleichzeitig eine stabile und konsistente Nahrungsgrundlage bieten. Die Plateaulaktation habe es den Weibchen außerdem ermöglicht, ein gleichmäßiges Niveau an Laktationsanstrengungen beizubehalten.

    Im Vergleich zu anderen Primaten habe der Mensch eine Reihe von adaptiven Merkmalen zur kooperativen Fortpflanzung entwickelt, die es den Müttern ermöglicht, mit relativ kurzen Plateau-Laktationsperioden ihre Kinder adäquat zu versorgen. So können Menschenmütter weitere Kinder bekommen und stillen, lange bevor die vorherigen Kinder unabhängig vom Stillen sind, was eine höhere Reproduktionsrate ermöglichte.

    Schwedische Studie

     

    32 Metalle in der Muttermilch

    Die Konzentrationen von 32 Metallen und Elementen in der Muttermilch in der frühen Laktation (14–21 Tage) wurden in einer Zufallsstichprobe von schwedischen Müttern (n = 60) mittels induktiv gekoppelter Plasmamassenspektrometrie (ICPMS) bestimmt.

     

    Die Ergebnisse der Studie belegen eine strenge physiologische Regulierung der Makronährstoffe (Ca, K, Mg , P und S) und mehrerer Mikronährstoffe (Cu, Zn und Fe) in der Muttermilch, was wahrscheinlich den Bedarf des Säuglings widerspiegelt (Björklund et al., 2012).

    Ca und die anderen Mengenelement (Makroelemente) Kalium, Magnesium, Natrium, Phosphor, Schwefel (K, Mg, Na, P, S)
    Insgesamt sind die Konzentrationen der Makroelemente mit Ausnahme von Mg und Na bei den Stillenden sehr ähnlich. Es gab keine Unterschiede bei Probenentnahmen 2002 und 2009.

    Zn und die anderen Spurenelemente (Mikroelemente) Kobalt, Chrom, Kupfer, Eisen, Magnesium, Molybdän, Selen (Co, Cr, Cu, Fe, Mn, Mo, Se)Die Konzentrationen der meisten Mikroelemente variierten stärker als die Makroelemente zwischen den Frauen. Es gab keine Unterschiede bei Probenentnahmen 2002 und 2009.

    Ba, Sr und andere potenziell toxische Elemente Silber, Arsen, Bor, Cadmium, Caesium, Lithium, Blei, Rubidium, Stibium, Uran, Vanadium (Ag, As, B, Cd, Cs, Li, Pb, Rb, Sb, U, V)

    Die interindividuelle Variation der Konzentrationen (Variationskoeffizient, CV) zwischen den Frauen reichte von 0,15 bei Ba bis 1,4 V. 2009 waren die Konzentrationen dieser nicht essenziellen Elemente in der Milch signifikant höher als 2002 (20 μg/L; p < 0,05). Dies gibt Hinweise auf eine höhere Exposition gegenüber Umweltneurotoxika.

     

    Rubrik: Ausgabe 04/2023

    Erscheinungsdatum: 15.02.2024

    Literatur

    Aumeistere, L., Ciproviča, I., Zavadska, D., Bavrins, K., & Borisova, A. (2018). Zinc Content in Breast Milk and Its Association with Maternal Diet. Nutrients, 10(10), 1438. https://doi.org/10.3390/nu10101438

    Austin C., Smith TM, Bradman A,. Hinde K, Joannes-Boyau R., Bishop D., Hare D. J., Doble P, Eskenazi B, Arora M (2013). Barium distributions in teeth reveal early-life dietary transitions in primates. Nat, 498, 216–219.

    Austin C., Smith T.M., Farahani R.M.Z., Hinde K., Carter E.A. , Lee J., Lay P.A., Kennedy B.J., Sarrafpour B., Wright R.J., Wright R.O., Arora M. (2016). Uncovering system-specific stress signatures in primate teeth with multimodal imaging. Sci. Rep., 6, p. 18802, 10.1038/srep18802

    Bădescu I., Watts D..P, Curteanu C,. Desrulle K.J., Sellen D.W. (2022). Effects of infant age and sex, and maternal parity on the interaction of lactation with infant feeding development in chimpanzees. Pols one. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0272139....

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