Symbolfigur einer bewegten Zeit
Sie war erst 21 Jahre alt, als sie 1928 als Kunststudentin in Karlsruhe das damals sehr bekannte Aufklärungsbuch »Die vollkommene Ehe – eine Studie über ihre Physiologie und Technik« (1926) las. Der niederländische Gynäkologe Theodor van de Velde (1873–1937), Direktor des Gynäkologischen Instituts in Haarlem, hatte es zwei Jahre zuvor geschrieben. Nachdem er physische und psychische Störungen in Ehebeziehungen untersucht hatte, gab er in dem Buch praktische Tipps für eine erfüllte Sexualität. Es löste einen Skandal aus und kam auf Betreiben der katholischen Kirche auf den Index der verbotenen Bücher.
»Geburt« (1931). Ein Offizier hebt aus einer Toten ein Neugeborenes heraus. Der Geburtsort scheint ein Ehebett zu sein. Hanna Nagel könnte angeprangert haben, dass Frauen dem Militär ein Kind zu schenken haben – unerheblich, ob sie dabei sterben könnten.
Fotos: © VG Bild-Kunst/Reproduktion Birgit Heimbach
Angeregt von den Ideen des Gynäkologen fertigte die junge Kunststudentin Hanna Nagel (1907–1975) 1928 die Lithographie »Die unvollkommene Ehe, frei nach van de Velde« an: Während der Ehemann– ein Künstler – sein soeben gezeichnetes, nacktes Traumweib an der Leinwand genießerisch betrachtet und abtastet – und sich so selbstvergessen mit seinen sexuellen Wünschen befasst – , sitzt die Ehefrau hinter seinem Rücken, mit dem Kind auf dem Schoß – der ihr scheinbar einzig vergönnten Erfüllung in der Ehe. Eine bittere Realität, die Nagel, welche sich hier selbst porträtiert, auf sich zukommen sah. Intensiv setzte sie sich mit möglichen Rollenverteilungen auseinander.
Nagel – nachdem sie selbst ein paar selbst bezeichnete »Dummheiten« begangen hatte und froh war, dass sie noch kein Kind hatte – war seit kurzem mit dem Kunststudenten Hans Fischer liiert. 1928 schrieb sie in ihr Tagebuch: »Ich will doch keine Kinder, ich würde mich nie für reif genug halten«, wenig später: »Sehnsucht und Angst vor dem Kind«. Es sollte noch zehn Jahre dauern, bis sie sich tatsächlich traute und ein Kind bekam.
Zerrissenheit
Bis 1932, also vier Jahre lang und bis zum Ende ihres Kunststudiums wurde die Zerrissenheit ihr großes Thema. Sie widmete sich in über 20 Arbeiten der Familienkonstellation Vater, Mutter und Kind samt Künstlerinnendasein und in etwa nochmal so vielen Arbeiten analysierte sie die Beziehung zwischen Eheleuten – teils autobiografisch, teils allgemeingültig. 1929, als sie mit Fischer zum weiteren Kunststudium nach Berlin gewechselt und sich mit ihm im selben Jahr verlobt hatte, entwarf sie von sich die Lithographie »Selbstbildnis«, worauf sie selbst sieben Mal zu sehen ist: sich schön machend für das andere Geschlecht, zeichnend, weinend, als Modell, als Sträfling und als Großbürgerliche, ganz vorne im Bild ein Glas umarmend mit einem Fetus darin – beschützend und gleichzeitig zur Schau stellend. Der Sträflingsanzug deutet die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs an – wobei das für sie nie wirklich in Frage gekommen wäre, berichtete sie mal einer Freundin.
1930 notierte sie: »Ich liebe den Hans, möchte ihn sobald wie möglich heiraten. Aber keine Kinder.« Sie hatte Sorgen, dass eine Mutterschaft ihre Kunst gefährden könne. Ihr verehrter Lehrer Emil Orliks sah die künstlerische Arbeit schon durch die Ehe gefährdet. Entsprechend malte sie 1930 mit Tusche und Feder die Arbeit »Geld (Orlik)«: Ihr Lehrer steht im Vordergrund, ihm fällt das Geld aus den vollen Taschen, während sie selbst mit Mann und Kind im Hintergrund sitzt und deprimiert ein mageres Essen aus kleinen Schüsseln löffelt. Es ist Weihnachtszeit, ein Engel mit Kerze steht verloren am Boden, ein einziger Tannenzweig daneben.
Bis heute aktuell
1930 entsteht »Nachts allein«: Sie löffelt nun allein ihre Suppe aus, ein Säugling schläft im Vordergrund in einem Bettchen,
Hanna Nagel, »Der Paragraph«, 1931, Städtische Galerie Karlsruhe: Mit rund zwölf Bildern zum Thema Schwangerschaft und ihren ungewollten Folgen beteiligte sich Hanna Nagel als jüngste Künstlerin 1931 an der internationalen Ausstellung »Frauen in Not« in Berlin.
Foto: © VG Bild-Kunst/Reproduktion: Birgit Heimbach
daneben ein unfertiges Bild. Es ist ein sich wiederholendes Motiv: das konkurrierende Gegenüber von Malerei und Kindern, von denen mal nur eins, mal ganz viele in einem Bettchen zu sehen sind. Sie ist zerrissen zwischen ihren künftigen Rollen als Mutter und Künstlerin – am Zeichentisch mit unfertigem Bild, davor sieben Säuglinge aufgereiht in einem Meer von weißen Kissen (1931). »Sitzende Frau mit Kindern«, oder »Die Glückliche« (1931): eine Mutter, ihr Kind auf ihrem Schoß liebkosend, mit dem Entwurf eines Kunstwerkes, das an ihrem Bett lehnt. Auf einer Arbeit steht klar: »Die Frage: Kunst – Kind – Mann (Mutter und Kind II)«. Noch größer als die Angst vor einem Ehedesaster war ihre Angst, die Kunst zu verlieren.
Mitunter ist auch der Vater dabei. Man fixiert sich gegenseitig, mal ist das Kind auf ihrem Arm und mal beim Vater – ein Testen verschiedener Rollen. »Furcht vor Verlust« heißt eine Zeichnung mit lauter imaginären Babys vor der Künstlerin, während Fischer mit skelettierter Hand nach einem Fisch greift, der Geldmünzen ausspuckt.
Der Fisch war für sie ein wichtiges Symbol, nicht nur stellvertretend für den Nachnamen ihres Lebenspartners: »Neben dem, was Angst macht, zeichne ich das, was Angst hat, zum Beispiel viele Fische. Das war immer mein Thema: der Fisch mit dem aufgesperrten Maul als Inbegriff der Angst, als Ausdruck des Immateriellen, dem es nie gelingt, den Mond zu erreichen.« Der Fisch war für sie wie das bedrohte, ausgesetzte Leben oder das verborgene stumme Sein in der Tiefe der eigenen Seele. Der schicksalhafte Satz »Denn ich bin dein Tod und dein Leben« steht wiederholt auf einer Zeitungsnotiz als eigenständiges Element neben dieser Szene.
In anderen Werken geht es darum, dass sie sich als Eheleute gegenseitig ausbeuten (könnten): Er steckt einmal ihr Herzensgeld ein, das aus einer Wunde in ihrer Brust austritt, aber sie trinkt auf einem anderen Bild auch von seinem Blut, was aus einer Seitenwunde in ihre Tasse tropft. Die Bilder sind so verschiedenartig, dass man aus ihnen nicht immer direkt auf das Verhältnis in ihrer Partnerschaft schließen kann. Mitunter missverstand man diese grafischen Arbeiten als Psychogramme einer gestörten Persönlichkeit und einer ebensolchen Zweierbeziehung.
Es geht jedoch nicht nur um Autobiografisches, sondern um Möglichkeiten und Ängste. Dabei fungierten die beiden wie Schauspieler. Aber zu spüren ist doch, dass sie eigentlich nur sich selbst vertraute, Männer sind eher nicht zu gebrauchen, so der Tenor. So zeigt im Zyklus Mann und Frau das Bild «Der Held, o. J.«, wie sich der Mann mit den Kindern hinter der Frau versteckt, die alle Pfeile mit ihrem Körper abfängt.
Und in »Mühevolle Ehe« zeigt sie sich einen Karren ziehend, darin zwei Babys und zu verkaufende Bilder, der Mann läutet nur lahm die Glocke. Im Stil der Neuen Sachlichkeit hat sie sich wie kaum eine andere in der Zeit mit dem Verhältnis der Geschlechter auseinandergesetzt. Ja, so die Tochter, ihre Mutter war immer fleißig und robust. Trotzdem bekam sie auf einem Bild von 1930 von Fischer nur einen Heiligenschein aus einfacher Pappe hinter den Kopf gehalten, was einer Entwertung und Herabsetzung gleichkommt und auch auf Geldknappheit hindeutet.
Sie war eine feministische Pionierin, die sich mit typischen Fragen von Frauen und Müttern befasste. Wer trägt die Hauptlast des Broterwerbs in einer Familie, wer trägt die Verantwortung, wie kann man sich trotz Kindern selbst verwirklichen? Es sind Themen, die heute noch aktuell sind, so die Kuratorin Dr. Inge Herold der Kunsthalle Mannheim. Die Blätter waren zum großen Teil bis zum Tod von Nagel im Jahr 1975 gänzlich unbekannt. Sie hatte sie über die Jahrzehnte keinem gezeigt. Es sind alles Arbeiten auf Papier, Zeichnungen und Druckgrafik, ähnlich denen von Käthe Kollwitz. Nur zwei Ölgemälde gibt es (eines ist in Mannheim ausgestellt).
Frauen in Not
»Ohne Titel« (Sitzende Frau mit Kindern), 1931. Zerrissen zwischen ihren Wünschen, Mutter und Künstlerin zu werden, zeichnete sie wiederholend das konkurrierende Gegenüber von Gemälden und Kindern, von denen mal nur eins, mal ganz viele in einem Bettchen zu sehen sind.
Foto: © VG Bild-Kunst/Reproduktion: Birgit Heimbach
Rund zwölf dieser Bilder um Schwangerschaft und ihre ungewollten Folgen waren schon mal ausgestellt: 1931 in der internationalen Ausstellung »Frauen in Not« in Berlin, die am 9. Oktober im »Haus der der Juryfreien« eröffnet wurde. 94 Künstler:innen machten bei der Ausstellung mit, darunter Pablo Picasso (1881–1973) und Marc Chagall (1887–1985), außerdem 21 Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz (1867–1945), die die Eröffnungsrede hielt, und Alice Lex-Nerlinger (1893–1975). Von dieser stammt das bekannte Gemälde von 1931, auf dem Frauen ein riesiges Kreuz mit dem darauf geschriebenen Paragraphen umstoßen. Nagel, die in dem Jahr geboren wurde, in dem die junge Künstlerin Paula Modersohn-Becker im Wochenbett starb, war mit 24 Jahren die jüngste ausgestellte Künstlerin.
Sie thematisierte drastisch die Angst vor Empfängnis, einem Abbruch und seinen Folgen, sei es Gefängnis oder Tod. Auch das Ausgeliefertsein an die meist männlichen Entscheidungsträger sowie Vergewaltigung und Gewalt durch Männer wird von ihr porträtiert. Beklemmend ist die Federzeichnung »Paragraf 218«: Im Zentrum befindet sich eine hochschwangere, wohlsituierte Frau mit Perlenkette und großem Ring am Finger. Sie starrt unglücklich geradeaus, während eine als medizinische Fachkraft gekleidete Frau mit der Physiognomie Nagels mit schwarzen Handschuhen und süffisant grinsend deren Bauch befummelt. Am Arm trägt sie eine Binde mit der Nummer des besagten Paragrafen. Ein Arzt am Schreibtisch, dargestellt durch Fischer, notiert ungerührt alles schriftlich. Dieses Werk hing in einem Raum, in dem es um den Paragrafen 218 ging – für Minderjährige war der Zutritt gesperrt.
Paragraph 218
1929 hatte die Weltwirtschaftskrise eine nicht gekannte Massenarbeitslosigkeit ausgelöst. Es kam zu massiven Streiks, Demonstrationen und Hungerkrawallen. Besonders arme Frauen des Proletariats mit ihren vielen Kindern litten unter der Armut. Angesichts der Verelendung vieler Menschen während der Inflation unterstützten neben vielen Intellektuellen auch Künstler:innen die politischen Forderungen nach Geburtenregelung. Bereits 1923 schuf Käthe Kollwitz, die mit einem Armenarzt verheiratet war, die Zeichnung »Nieder mit dem Abtreibungsparagraphen.« Es zeigt eine erschöpfte Frau mit hängenden Schultern und tief liegenden Augen, einen Säugling im Arm, das nächste Kind schon im Bauch. Es wurde später von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) als Plakat herausgegeben und war auch in dem 1927 erschienenen Buch »Volk in Not! Das Unheil des Paragraphen« von Carl Credé (1878–1952) abgebildet, für das sie 16 Illustrationen kreierte. Der Arzt, Schriftsteller und Sozialethiker war 1926 wegen verbotener Schwangerschaftsabbrüche zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden, von denen er elf Monate absaß.
Die Diskussion erreichte 1931 einen Höhepunkt. Auf der einen Seite standen die Vertreter:innen der Kirche und die Verfechter:innen von Moral und Sitte. Auf der anderen Seite standen die Frauen, die ihr Recht auf Selbstbestimmung einforderten. Sie wurden von der Kommunistischen Partei und Arbeitsverbänden unterstützt. Die Zeitschrift »Der Weg der Frau«, eine feministische und kommunistische Frauenzeitschrift in der Weimarer Republik, die ab Juli 1931 erschien, hatte die Ausstellung »Frauen in Not« initiiert – inspiriert durch die Werke von Credé. Ein paar Jahre später versuchte man das Ansehen lediger Frauen aus politischer Seite zu verbessern, aber nur deshalb, weil auch sie »dem Führer« ein Kind schenken sollten. 1931, als die NS-Frauenschaft (NSF), die Frauenorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), gegründet wurde, schrieb Nagel an den Direktor der Kunsthalle Mannheim, ob er Interesse habe ihre Bilder aus dem Zyklus »Selbstbiographie« auszustellen – mit Erfolg. So gab es bereits im selben Jahr in der Kunsthalle Mannheim eine Ausstellung von ihr.
Geburt
1931, ein Jahr vor der Entstehung von Frida Kahlos (1907–1954) berühmtem Gemälde »Meine Geburt«, fertigte Nagel die
»Viele Kinder«. Nach ihrer Heirat mit Hans Fischer im Jahr 1932 stellte sie mehr mythologisch und surreal das Thema Fruchtbarkeit dar. Im Zyklus »Mutter und Kind« zeichnete sie Madonnen mit zahlreichen Babys, etwa in einem Korb oder in der Schleppe eines Umhangs.
Foto: © VG Bild-Kunst/Reproduktion: Birgit Heimbach
Federzeichnung »Geburt« an. Während auf dem Bild von Kahlo, die nur einen Monat nach Nagel geboren wurde, das Gesicht der Gebärenden mit einem Laken zugedeckt war und damit als tot deklariert wurde, ist bei Nagel der ganze Körper mumiengleich mit Bandagen umwickelt – wie nach einer Einbalsamierung. Die Frau – es ist wie immer Nagel selbst – liegt unbeweglich auf weißem Laken, die Augen geschlossen, ihre sichtbare rechte Hand ist verkrampft, unbeweglich, versteift.
Irene Fischer-Nagel, das einzige Kind Nagels, heute: »Unglaublich, aber sie sah aus wie meine Mutter, als sie gestorben ist. Auch im Tod noch schön.« Aus der Leiche hebt ein Offizier mit reich verzierten Schulterklappen samt Zierschnüren – Parade-Epauletten – das aus der Mutter wie herausschwebende Kind heraus. Es ist Hans Fischer dargestellt, dem Nagel die Rolle des Offiziers zudachte. Der Geburtsort scheint ein Ehebett zu sein. Es könnte eine Hausgeburt gemeint sein. Wie kritisch vorausahnend ist offenbar thematisiert, dass Frauen dem Militär ein Kind zu schenken haben, fast unwichtig, ob die Frau dabei stirbt.
Nachfolge von Kollwitz
Nagels Kunstdozent Emil Orlik, auch wenn er sie wenig charmant als merkwürdiges Mädchen beschrieb, sah in ihr die Nachfolgerin von Kollwitz. Auch Kollwitz, die Nagel unter anderem von der Ausstellung in Berlin kannte, sah in der jungen Frau viele Talente. Im Mai 1932 schrieb sie in ihr Tagebuch: »Es hat mir freilich einen Stoß gegeben, dass diese nicht ein Kind gehabt hat, wie man mir sagte, und dass sie es verloren hat. Auch scheint sie mir erotisch etwas pervers. Aber ihre Arbeiten ziehen mich doch sehr an, sind eigen und gekonnt« (Berger, 2000). Eine merkwürdig formulierte Einschätzung.
Die angedeutete Fehlgeburt ist jedenfalls nirgends bezeugt, so Herold. Irene Fischer-Nagel: »Kollwitz hatte mal meine Mutter besucht, fand jede Arbeit schön, meine Mutter hätte aber lieber auch mal eine weiterführende Kritik gehabt. Sie beschrieb die ältere Künstlerin damals als einfache Frau. Später nahm sie diese Bewertung zurück und meinte, man müsse sein wie sie: bescheiden.«
Kollwitz arbeitete seit der Jahrhundertwende sehr emanzipiert und mutig. 1932 und erneut nach der Machtübernahme Hitlers 1933 mit seiner Ernennung zum Reichskanzler, womit die NS-Zeit begann, unterzeichnete sie einen Aufruf zum Zusammenschluss der Linksparteien, um eine nationalsozialistische Mehrheit zu verhindern – daraufhin wurde sie zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste gezwungen. Ab 1936 hatte Kollwitz Ausstellungsverbot und konnte gegen den Zweiten Weltkrieg, den sie früh aufziehen sah, nicht mehr öffentlich Stellung beziehen. Nagel lernte aus solchen Vorkommnissen und hielt ihre systemkritischen sowie persönlich motivierten unkonformistischen Arbeiten fortan unter Verschluss. Vielleicht war die Auseinandersetzung mit dem Thema für sie nun auch weitgehend gelöst.
Entbehrungsreich
1938 gebar Nagel ihr einziges Kind, ihre Tochter Irene. Kollwitz beglückwünschte sie in einem Brief. Nach all den Ängsten und Vorahnungen, wie für sie eine Mutterschaft sein würde, folgten nun tatsächlich harte, entbehrungsreiche Jahre: Nagel zog mit Kind zur Mutter nach Heidelberg, 1939 wurde Hans zum Kriegsdienst eingezogen.
Nach 1945, als die NS-Zeit mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht vor den Alliierten und ihren Verbündeten endete, gelang es ihr nicht mehr, sich als Künstlerin zu behaupten. Auch die Ehe scheiterte. Der Krieg hatte die Menschen verändert, so die Tochter.
1946 trennte sie sich von Fischer und musste nun allein den Lebensunterhalt für sich, die Tochter und die Mutter bestreiten. Sie fertigte zum Beispiel Buchillustrationen an. Ein weiteres Kind, so wie sie es sich gewünscht hatte, bekommt sie nicht mehr. »So verschieden eine Frau von einem Mann ist, so verschieden sind auch die Äußerungen der Seele. Entsprechend ist Frauenkunst etwas völlig anderes als Männerkunst. Meinen Blättern soll man ansehen, dass sie von einer Frau herrühren«, schrieb sie in den 1960ern. Deprimiert notierte sie, dass es für Frauen nahezu aussichtslos sei, als Künstlerin Erfolg zu haben. Sie starb an einem Hirntumor.
Ihre Tochter Irene Fischer-Nagel, eine gelernte Kinderkrankenschwester und spätere Künstlerin, die ihre Mutter bis zum Schluss pflegte, fand erst nach deren Tod 1975 die autobiografisch geprägten Arbeiten dieser frühen Jahre. Sie waren in einer verschlossenen Kiste und zwei großen Koffern. Zuvor wusste sie nichts von ihnen.
Fischer-Nagel wohnt im Süden von Karlsruhe, in einem Wohngebiet, was in den 1920er Jahren im Bauhausstil an der Alb entstand. In Rastatt, rund 20 Kilometer südwestlich, in einem Neubaugebiet, gibt es nun – genehmigt von der Tochter – eine Hanna-Nagel-Straße. Sie geht passenderweise in die Käthe-Kollwitz-Straße über. Eine große Freude ist dies für Fischer-Nagel, die viel dazu beigetragen hat, dass das künstlerische Lebenswerk ihrer Mutter nun endlich Würdigung erfährt.
Hinweis
Die Ausstellung »Hanna Nagel«
läuft noch bis 3.7. in der Kunsthalle Mannheim > https://www.kuma.art
Literatur
§ 218 – Dokumentation eines 100-jährigen Elends: https://muvs.org/media/pdf/paragraph-218-dokumentation-eines-100jahrigen-elends.pdf
Berger, R. (2000). Liebe. Macht. Kunst. Künstlerpaare im 20. Jahrhundert. Böhlau Verlag.
Fischer-Nagel I., Mugdan, K.(Hsgb) (1977). Hanna Nagel: Ich zeichne weil es mein Leben ist. Braun-Verlag.
Haug, A. (1984). Natur- und Volksheilkunde im Nationalsozialismus. Dr. med. Mabuse (32): 33–73.
Herold I, Holten J (Hrsg.): Hanna Nagel. Ausstellungskatalog. Mannheim 2022.
Hirsch, M. (1927). Die operative Geburtshilfe vor der Frage: vaginal oder abdominal? Zbl. Gynäk. 51 (35): 2215–2221.
Käthe Kollwitz Museum: https://www.kollwitz.de/kaethe-kollwitz-zeitenwenden
Moissl, N. (2005). Aspekte der Geburtshilfe in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1945 am Beispiel der I. Frauenklinik der Universität München. Dissertation.
Osborn, M. (1931). Frauen in Not. Vossische Zeitung, Berlin. https://sammlung-online.berlinischeg...
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