Grundlagenforschung rund um Schwangerschaft und Geburt

Verändert sich das Gehirn?

  • Während Schwangerschaft, Geburt und in der Zeit danach finden eine Vielzahl verschiedener hormoneller und körperlicher Veränderungen statt. Welche Auswirkungen haben diese auf das mütterliche Gehirn?

  • Eine kalifornische Hirnforscherin der University of California begleitete ihre eigene Schwangerschaft in ganz besonderer Weise: Sie ließ die Veränderungen ihres Gehirns vom Zeitpunkt vor der Empfängnis bis über zwei Jahre nach der Geburt, über das Ende der Stillzeit hinaus anhand 26 Hirnscans dokumentieren. Millimetergenau ließ sie verschiedene Schichten ihrer Nervenzellen vermessen. Ergänzend wurden Hormonkonzentrationen anhand serologischer Untersuchungen gemessen. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience publiziert.

     

    Veränderte Hormonkonzentrationen

     

    Es zeigten sich umfassende Veränderungen der Hormonkonzentrationen und neuroanatomische Veränderungen. Auffallend waren Veränderungen der Estradiol- und Progesteronkonzentration sowie Veränderungen der grauen und weißen Hirnsubstanz.

    Die Serumhormonkonzentrationen stiegen im Verlauf der Schwangerschaft deutlich an und fielen nach der Geburt steil ab. So betrug die Estradiolkonzentration drei Wochen vor der Konzeption 3,42 Piktogramm pro Milliliter (pg/ml), drei Wochen vor der Geburt 12,4 pg/ml und drei Monate nach der Geburt 11,5 pg/ml. Die Progesteronkonzentration betrug drei Wochen vor der Konzeption 0,84 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) stieg auf 1,03 ng/ml drei Wochen vor der Geburt an und fiel auf 0,04 ng/ml drei Monate nach der Geburt ab.

     

    Neuroanatomische Veränderungen

     

    Es zeigten sich umfassende neuroanatomische Veränderungen: So nahmen das Volumen der grauen Hirnsubstanz wie auch des totalen Hirnvolumens linear während der Schwangerschaft ab. Gleichzeitig kam es zur Zunahme globaler mikrostruktureller Vorgänge der weißen Hirnsubstanz während des ersten und zweiten Trimenons, die sich während der Postpartalzeit wieder auf das ursprüngliche Niveau zurückbildeten.

    Ergänzend wurden erhöhte Mengen cerebrospinaler Flüssigkeiten sowie Ventrikelveränderungen im zweiten und dritten Trimenon beobachtet, die nach der Geburt stark absanken. Das limbische System nahm an Masse zu.

     

    Veränderungen der grauen Hirnsubstanz

     

    Die stärksten Veränderungen der grauen Hirnsubstanz wurden im Salienz-Netzwerk beobachtet. In diesem Hirnbereich gelangen Reize in die bewusste Wahrnehmung und Entscheidungen werden getroffen, ob auf Reize reagiert wird oder ob diese ignoriert werden. Zudem wird die Wichtigkeit emotionaler Sinnesreize bewertet. Angenommen wird, dass diese Veränderungen durch die hormonellen Schwankungen verursacht werden.

     

    Mögliche Wirkung

     

    Das Forscher:innen-Team wertet die anatomischen Veränderungen im Gehirn während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett als Zeichen, dass sich die Nervennetzwerke neu organisieren. Da in der grauen Hirnsubstanz die Zellkörper der Nervenzellen liegen, könnte eine Abnahme der grauen Hirnsubstanz eine Erklärung dafür bieten, dass insgesamt weniger aktive Nervenzellen vorhanden sind. Jedoch müssen diese verbleibenden Strukturen nicht schlechter funktionieren, sondern können eventuell auch ausgeglichen werden.

    Das Forscher:innen-Team weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die weiße Substanz des Gehirns zunahm, während parallel die graue Hirnsubstanz abnahm, und sich hier die Nervenzellfortsätze finden, welche die Nervenzellen untereinander verknüpfen.

    Sie vermuten, dass die neuroanatomischen Veränderungen Hinweise auf ein verändertes mütterliches Verhalten geben, welches die Beziehung und Bindung zum Kind fördert. Die Zunahme des limbischen Systems bestärkt diese Annahme, da hier die Wahrnehmung von Gefühlen und Mutterliebe verankert sind.

    Weitere Forschung wird empfohlen, um die Veränderungen mütterlicher Hirnstrukturen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett noch umfassender zu verstehen.

    Quelle: Pritschet, L., Taylor, C. M., Cossio, D., Santander, T., Grotzinger, H., Faskowitz, J., Handwerker, D. A., Layher, E., Chrastil, E. R., & Jacobs, E. G. (2024). Neuroanatomical changes observed over the course of a human pregnancy. bioRxiv : the preprint server for biology, 2023.12.14.571688. https://doi.org/10.1101/2023.12.14.571688 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

    Rubrik: Schwangerschaft

    Erscheinungsdatum: 26.09.2024