Verringert die PDA das Risiko schwerer postnataler Komplikationen?
In Großbritannien lag das Risiko einer schweren postnatalen Komplikation im Jahr 2009 bei 0,9 % und im Jahr 2018 mit 1,7 % fast doppelt so hoch. Im Fokus einer bevölkerungsbasierten Studie wurde in diesem Zusammenhang kürzlich untersucht, ob und welchen Einfluss eine Periduralanästhesie (PDA) während der Geburt darauf nimmt. Dabei wurde der Fokus auf die Auswirkungen einer PDA im Hinblick auf das Auftreten schwerer mütterlicher Komplikationen nach der Geburt untersucht.
Die Studie
Evaluiert wurden Daten von Frauen, die zwischen 2007 und 2019 in einem schottischen NHS-Krankenhaus zwischen 24+0 bis 42+6 Schwangerschaftswochen vaginal oder durch einen ungeplanten Kaiserschnitt geboren hatten (n=567.216). Das Auftreten einer schweren mütterlichen Komplikation wird anhand mindestens einer auftretenden Komplikation (von 21 Kriterien des amerikanischen Center for Disease Control and Prevention) beziehungsweise einer Aufnahme auf die Intensivstation definiert. Komplikationen umfassten beispielsweise einen mütterlichen Herzinfarkt, eine Eklampsie oder eine Hysterektomie (CDC 2024).
Gut ein Fünftel aller Frauen (22,0 %) erhielt eine PDA unter der Geburt (n=125.024). 78 % der Frauen bekam keine PDA (n=416.365). Das Auftreten von mindestens einer schweren mütterliche Komplikation nach der Geburt betraf insgesamt 2.412 Frauen (4,3 pro 1.000 Geburten).
Die Evaluation zeigte eine Reduktion des relativen Risikos der Frauen mit einer PDA während der Geburt für das Auftreten einer schweren mütterliche Komplikation nach der Geburt (bereinigtes relatives Risiko 0,65, 95%-KI 0,50 bis 0,85). Zudem war das Risiko eines kombinierten Auftretens einer schweren mütterlichen Komplikation nach der Geburt und einer Aufnahme auf eine Intensivstation bei Gebärenden mit einer PDA sub partu geringer.
Bei Gebärenden mit medizinischer Indikation für eine PDA sowie Gebärenden, deren Kind als Frühgeburt zur Welt kam, wurde eine stärkere Reduktion des Risikos beobachtet als bei Gebärenden ohne medizinische Indikation.
Die Autor:innen berechneten aus ihren Daten eine 35-prozentige Reduktion des Auftretens einer schweren mütterlichen Komplikation nach der Geburt, wenn Frauen während der Geburt eine PDA erhielten. Daraus resümieren sie, dass ein erweiterter Zugang zur PDA allen Frauen während der Geburt angeboten werden sollte, vor allem bei der Geburt eines Kindes vor der 37+0 Schwangerschaftswoche. Dies begründen sie damit, dass die Gesundheit von Müttern verbessert werden könnte.
Kommentierung der Studie
Das Auftreten schwerer mütterlicher Komplikation nach der Geburt sollte vermieden werden. Es ist begrüßenswert, dass eine Studie mit dem Fokus durchgeführt wird, dieses Ziel zu erreichen. Um die Studie einordnen zu können, können jedoch verschiedene ergänzende Aspekte zur Studie bedacht werden.
Liste schwerer mütterlicher Morbidität umfasst sehr verschiedene Krankheitsbilder
So umfasst die Liste zur Definition schwerer mütterlicher Morbidität bei genauer Betrachtung folgende 21 schwere mütterliche Komplikationen (CDC, 2024):
- Akuter Herzinfarkt
- Aneurysma
- Akutes Nierenversagen
- Akute Atemnot
- Fruchtwasserembolie
- Herzstillstand
- Veränderte Herzfrequenz
- Disseminierte intravaskuläre Koagulation
- Bluttransfusion
- Eklampsie
- Herzstillstand während einer operativen Maßnahme
- Zerebrovaskuläre Probleme
- Pulmonale Ödeme
- Schwere Probleme während der Anästhesie
- Sepsis
- Schock
- Komplikationen in Zusammenhang mit einer Sichelzellanämie
- Thrombose
- Hysterektomie
- Vorübergehende Tracheotomie
- Künstliche Beatmung.
Diese 21 schweren mütterlichen Komplikationen umfassen sehr unterschiedliche Bereiche und Krankheitsbilder. Es stellt sich die Frage, ob der Grundgedanke der Studie überhaupt sinnvoll ist. Ist eine zusammenfassende Betrachtung dieser 21 Krankheitsbilder möglich? Wie kann das Auftreten eines Herzinfarkts mit der Durchführung einer Hysterektomie zusammengefasst werden (beides zählt ja zu den schweren mütterlichen Komplikationen) und dies später in Zusammenhang zu einer während der Geburt durchgeführten PDA gestellt werden?
Der numerische Unterschied ist gering
Betrachtet man die Daten genauer, fällt auf: Insgesamt sind 2.412 Frauen (4,3 pro 1.000 Geburten) von schweren mütterlichen Komplikationen nach der Geburt betroffen. Dies zeigt: Insgesamt treten diese schweren mütterlichen Notfälle mit 0,43 % aller Geburten recht selten auf. Schaut man noch genauer, zeigt die Verteilung auf die beiden Gruppen der Frauen mit beziehungsweise ohne PDA weiter: 1.885 schwere mütterliche Komplikationen nach der Geburt traten in der Gruppe der Frauen ohne PDA auf (0,43 %) und 527 in der Gruppe der Frauen mit PDA (0,42 %). Prozentual betrachtet beträgt dieser Unterschied zwischen den Gruppen 0,01 %.
Erst die weiteren statistischen Analysen im Bereich dieses minimalen Unterschieds zeigen, dass die PDA in Zusammenhang zu einem geringeren Risiko bezüglich des Auftretens schwerer mütterlicher Komplikationen nach der Geburt steht. Ebenso können die weiteren Ergebnisse eingeordnet werden: Eine PDA sub partu steht in einem geringeren relativen Risiko in Bezug auf die Aufnahme auf eine Intensivstation sowie zu atemwegsassoziierter mütterlicher Morbidität. Doch fehlen Analysen zu den anderen 18 untersuchten Aspekten. Warum werden diese Analysen nicht aufgezeigt? Jede Komplikationen und jedes Krankheitsbild der CDC-Liste tritt für sich sehr selten auf, es bleibt jedoch unklar: Gab es Häufungen verschiedener Komplikationen oder traten manche Komplikationen auch gar nicht auf?
Fallzahlberechnung bei seltenen Ereignissen
Es ist bekannt: Die Fallzahlberechnung in klinischen Studien ist komplex, gerade wenn selten vorkommende Ereignisse evaluiert werden (Röhring, 2010). Bei schwerer postpartaler mütterlicher Morbidität handelt es sich um selten verkommene Ereignisse. Somit sind Ergebnisse kritisch zu betrachten, da bereits kleine Abweichungen große Änderungen im prozentualen Anteil und möglichen Zusammenhängen bewirken können. Es bleibt zu bedenken, dass trotz des zwölfjährigen Untersuchungszeitraums der Datenumfang allein aus Schottland mit n=567.216 Frauen für diese Berechnung sehr selten auftretender schwerer mütterlicher postnataler Morbidität möglicherweise zu gering ist, um verlässliche Aussagen zu erhalten.
Korrelation bedeutet nicht automatisch Kausalität
Bei der Evaluation des Auftretens schwerer Formen postpartaler mütterlicher Morbidität stellt sich die Frage, ob die PDA darauf tatsächlich einen ausschlaggebenden Einfluss hatte oder einen Zufallsbefund darstellt. Hierzu ist darüber nachzudenken, ob tatsächlich alle relevanten ergänzenden klinischen Faktoren berücksichtigt wurden oder ein Zusammenhang hergestellt wurde, der zufällig, jedoch nicht ursächlich existiert. Existieren möglicherweise andere Faktoren, beispielsweise anamnestische Besonderheiten oder unbekannte zugrundeliegende Erkrankungen der Gebärenden, die auf das Auftreten schwerer mütterlicher postnataler Morbidität einen größeren Einfluss als die PDA sub partu haben?
Korrelation bedeutet nicht automatisch Kausalität (Keller, 2013). Dies ist seit langem bekannt und wird gern mit dem Beispiel von Störchen und Geburtenrate erklärt: So wurde untersucht, wie viele Kinder in verschiedenen Regionen geboren wurden und wie hoch die Population der Störche in den jeweiligen Regionen ist. Es zeigte sich: Je mehr Störche, desto mehr Babys. Kann somit ein Zusammenhang zwischen der Storchpopulation und der Geburtenrate hergestellt werden? Oder spielen vielmehr andere Einflussfaktoren, wie beispielsweise die Industrialisierung eine Rolle, die Einfluss auf einen oder beide untersuchten Zielgrößen nimmt?
Gebären umfasst mehr
Eine PDA unter der Geburt geht mit verschiedenen Vor- und Nachteilen einher (Anim-Somuah et al., 2018). Ein Cochrane Review (40 Studien, n=11.000 Frauen) zeigt auf: Diese umfassen neben einer effektiven Schmerzlinderung für Gebärende auch ein höheres Risiko eines Hypertonus, Fieber, Harnretention, protrahierter Eröffnungsphase sowie protrahierter Austrittsphase. Ebenso geht mit einer PDA sub partu ein erhöhtes Risiko einer Oxytocinsubstitution einher. Diese Aspekte werden in Zusammenhang zu verschiedenen Formen daraus resultierender oder in Zusammenhang stehenden Interventionskaskaden diskutiert, die in Folge zu schwerer mütterlicher Morbidität beitragen können (Rydahl et al., 2021).
Fazit
Um Zusammenhänge selten auftretender Ereignisse, wie verschiedene Formen postnataler mütterlicher Morbidität und einer PDA sub partu, sicher bewerten zu können, wären weitere Studien mit möglicherweise größeren Fallzahlen wünschenswert. Bei der Bewertung der Ergebnisse sollte jedoch in Betracht gezogen werden, dass eine Korrelation nicht automatisch eine Kausalität bedeutet. Im Hinblick auf eine Empfehlung zum erweiterten Zugang zur Durchführung einer PDA fehlt in der Studie von Kearns et al. (2024) eine kritische Diskussion aller Vor-und Nachteile einer PDA unter Berücksichtigung aller Phasen der Geburt, die alle mit potenziell mütterlicher Morbidität assoziiert sein können.
Die Empfehlung zu einem erweiterten Zugang zur PDA für alle Frauen während der Geburt eines Kindes vor der 37+0 Schwangerschaftswoche mag zunächst plausibel erscheinen, jedoch lässt sich die Begründung hinterfragen, darüber die Gesundheit von Müttern zu verbessern. Eine einseitige Diskussion mütterlicher Morbidität wie auch Gesundheitsförderung allein aus Perspektive der Postpartalzeit erscheint nicht sinnvoll, da Gebären mehr umfasst.
So kann die mütterliche Morbidität sub partu in Zusammenhang zu einer PDA aufgrund möglicherweise resultierender Interventionskaskaden erhöht sein.
Empfehlungen hinsichtlich einer PDA sub partu erfordern die Betrachtung einer komplexen und umfassenden Gesamtsituation, da Gebären ein multifaktorielles Zusammenspiel vielfältiger Faktoren ist. Diese erfordern eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung unter Berücksichtigung aller Phasen der Geburt: Wie kann eine möglicherweise vorhandene geringere mütterliche Morbidität post partum die Durchführung einer PDA begründen, wenn dadurch die mütterliche Morbidität sub partu erhöht wird?
Quellen
Anim-Somuah, M., R. M. Smyth, A. M. Cyna and A. Cuthbert (2018). Epidural versus non-epidural or no analgesia for pain management in labour. Cochrane Database Syst Rev 5(5): CD000331.
CDC. (2024). Identifying Severe Maternal Morbidity (SMM). SMM Indicators and corresponding ICD codes. https://www.cdc.gov/maternal-infant-health/php/severe-maternal-morbidity/icd.html.
Kearns, R. J., Kyzayeva, A., Halliday, L. O. E., Lawlor, D. A., Shaw, M., & Nelson, S. M. (2024). Epidural analgesia during labour and severe maternal morbidity: population based study. BMJ (Clinical research ed.), 385, e077190. https://doi.org/10.1136/bmj-2023-077190
Keller.D. (2013). Von Störchen und Babys: Die partielle Korrelation. https://statistik-und-beratung.de/2013/05/von-storchen-und-babys-die-partielle-korrelation/.
Rydahl, E., Juhl, M., Declercq, E., & Maimburg, R. D. (2021). Disruption of physiological labour; - A population register-based study among nulliparous women at term. Sexual & reproductive healthcare : official journal of the Swedish Association of Midwives, 27, 100571. https://doi.org/10.1016/j.srhc.2020.100571
Röhring, B. d. P., Wachtlin, D.; Kniwecien, R.; Blettner, M. (2010). Übersichtsarbeit: Fallzahlplanung in klinischen Studien. https://www.uni-kiel.de/medinfo/lehre/seminare/methodik/Dtsch %20Arztebl %2013 %20Fallzahlplanung %20in %20klinischen %20Studien.pdf.
Autorin
Dr. Beate Ramsayer/DHZ