Verschleppte Anpassung
Das Reichshebammengesetz von 1938 und seine Folgeverordnungen machten die Mitwirkung von Hebammen bei der Umsetzung der nationalsozialistischen Gesundheits- und Bevölkerungspolitik zur Berufspflicht. Staatliche Instanzen und die Hebammenberufsorganisation kontrollierten die Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben (siehe auch DHZ 4/2016, Seite 22 und 46).
Das Reichshebammengesetz regelte den Beruf nach reichseinheitlichen Kriterien und sicherte ihn durch die Hinzuziehungspflicht einer Hebamme zu jeder Geburt. Alle Personen – ÄrztInnen und auch Schwangere – verpflichtete das Hebammengesetz nach § 3, zu jeder Geburt eine Hebamme hinzuzuziehen. Hebammenwissen wurde damit 1938 als Standard für die Geburtshilfe festgelegt.
Gegen den Trend – Freiberuflichkeit abgesichert
Die im Gesetz verankerte Monopolstellung der Hebammen für die normale Geburtshilfe, die starke Abgrenzung zur Krankenpflege sowie die Vereinheitlichung des Hebammenberufs führten zu einer Professionalisierung (Lisner 2006). Insbesondere stärkte das Hebammengesetz die niedergelassenen Hebammen – allerdings nur diejenigen, die im nationalsozialistischen Sinne als „arisch“ betrachtet wurden und als politisch zuverlässig galten.
Daneben sicherte das Gesetz die Existenz der niedergelassenen Hebammen wirtschaftlich ab. Ein staatlich garantiertes Mindesteinkommen sollte die Hausgeburtshilfe fördern, die sowohl von einzelnen nationalsozialistischen Gesundheitspolitikern als auch von der Leiterin der Reichshebammenschaft Nanna Conti gegenüber der Klinikgeburtshilfe favorisiert wurde. Die Absicherung des Hebammenberufes im nationalsozialistischen Deutschland war in Europa einzigartig. Jedoch förderte der NS-Staat im Interesse seiner rassistischen Bevölkerungspolitik mit der Stärkung der Hausgeburten bereits ein Auslaufmodell. Steigende Zahlen von Klinikentbindungen und der Ausbau geburtshilflicher Stationen kennzeichneten bereits die 1930er Jahre. Die Anzahl von Kliniken mit geburtshilflichen Stationen hatte sich im Deutschen Reich zwischen 1930 und 1939 von 315 auf 1.213 Krankenhäuser fast vervierfacht (Lisner 2006).
Die Rate der Klinikentbindungen lag im Jahr 1933 bei 16 Prozent und der Trend zur Klinikgeburt beschleunigte sich bis 1939, als Klinikentbindungen bereits einen Anteil von 39 Prozent erreichten. Jedoch gab es reichsweit beim Geburtsort ein erhebliches Stadt-Land-Gefälle zu verzeichnen. In Groß- und Industriestädten lag die Geburtenrate in der Klinik damals schon weit über diesem Durchschnitt: Im Stadtkreis Wiesbaden fanden beispielsweise bereits 1931 rund 70 Prozent der Geburten in der Klinik statt, in Bremen 63 Prozent, in Berlin 64 Prozent (1932) und in Hamburg 72 Prozent. Hingegen bekamen in ostpreußischen Landbezirken zur gleichen Zeit nur zwei Prozent der Frauen ihre Kinder in der Klinik. In den Städten war der freie Beruf somit schon beim Erlass des Reichshebammengesetzes bedroht, da viele Frauen zur Geburt in die Klinik gingen. In ländlichen Regionen hingegen sicherte die niedergelassene Hebamme weiterhin die Geburtshilfe. So hatte der nationalsozialistische Gesetzgeber den Berufszweig der freien Hebamme durch das Reichshebammengesetz aufgewertet, jedoch entgegen dem sich deutlich abzeichnenden gesellschaftlichen Trend zur Klinikgeburt. In der Bundesrepublik blieb das Reichshebammengesetz in seinen Grundzügen bis 1985 gültig – obwohl der Hebammenberuf in dieser Zeit einen epochalen Wandel erlebte.
Frage der Zuständigkeit
Die Übertragung des reichseinheitlich geregelten Hebammengesetzes von 1938 in die föderalstaatlich organisierte Bundesrepublik warf immer wieder die Frage nach der Zuständigkeit des Bundes oder der Länder für die Berufsgruppe auf. Wer ist zuständig für die Festsetzung der Höhe der Hebammengebühren, für die Höhe und Zahlung des Mindesteinkommens und für die Hebammendienstordnung? In den Ländern gab es beispielsweise bis 1954 uneinheitliche Gebührensätze für die Geburtshilfe sowie für das Mindesteinkommen.
Die Regelungen waren also sehr unterschiedlich. Dem Berufsstatus der Hebammen kam in den Debatten des Berufsverbands in den 1950er und 1960er Jahren jedoch immer wieder eine hohe Bedeutung zu. Dabei überwogen laut Aktenmaterial des Bundesarchivs Koblenz damals die Forderungen nach einer Anstellung im öffentlichen Dienst, auch am Gesundheitsamt.
Die zuständigen Politiker hatten nach Aktenlage keine große Eile bei der Zukunftsgestaltung des Hebammenberufes in den beginnenden 1950er Jahren. Der Trend zur Klinikgeburt hielt an: 1954 kam bereits die Hälfte aller Kinder in der Klinik zur Welt. Auch bestand in der Bundesrepublik kein bevölkerungspolitisch motiviertes staatliches Interesse am Hebammenberuf und aufgrund der Erfahrungen des Nationalsozialsozialismus war Familienpolitik, zu der auch die Wahl des Geburtsortes zählte, eine innerfamiliäre Angelegenheit.
Änderungen des Hebammengesetzes
Eine erste Änderung des Reichshebammengesetzes kam im Jahr 1954. In erster Linie wurden hier die Zuständigkeiten von Bund und Ländern für das Hebammenwesen geklärt und nationalsozialistisches Gedankengut aus dem Berufsgesetz entfernt.
Nun hatten das damals für Gesundheit zuständige Bundesinnen- und das Bundesarbeitsministerium die Höhe der Hebammengebühren einvernehmlich festzusetzen. Insgesamt wurden die Forderungen von niedergelassenen Hebammen auf eine Gebührenerhöhung für ihre Leistungen von den Ländern, dem Bundesarbeitsministerium und den Krankenkassen immer wieder als zu hoch abgelehnt. Die Gebühren wurden nicht an die allgemein gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst, wie die Akten des Bundesarchivs Koblenz zeigen. Regelmäßig wurden die Verhandlungen verschleppt. Niedergelassene Hebammen waren das Schlusslicht in der Einkommensskala der weiblichen Berufe. Der Abstand zur Entlohnung der Anstaltshebamme vergrößerte sich kontinuierlich: Um das Gehalt einer Klinikhebamme zu erreichen, musste eine niedergelassene im Jahr 1939 monatlich 5,38 Geburten durchführen, 1964 waren es bereits 8,25 Geburten. Das berichtete der Justitiar des damaligen Bundes Deutscher Hebammen e.V., Karl-Otto von der Bach, im Jahr 1964 in der Deutschen Hebammen Zeitschrift (DHZ 1964).
So wurde die Hebammenarbeit deutlich besser honoriert, wenn sie medizinnah im Krankenhaus stattfand. Im Jahr 1966 wurde der Lohn der Niedergelassenen an den der Klinikhebammen angepasst, allerdings nur einmalig bis zum Jahr 1975. Dies ist wahrscheinlich Resultat eines sich damals verändernden Frauenleitbildes in Richtung Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen und Mütter. In dem von der Bundesregierung 1966 vorgelegten Bericht zur „Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft“ wurde insbesondere die Lebenssituation von Müttern aufgegriffen. Die damalige Gesundheitsministerin Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) hatte maßgeblich an dem Bericht mitgewirkt. In ihrer Amtszeit von 1961 bis 1966 war sie eine starke Fürsprecherin der Hebammen.
Niederlassungserlaubnis und Mindesteinkommen
Im Hebammengesetz von 1938 war festgelegt, dass die Hebamme zur Ausübung des freien Berufes eine staatlich genehmigte Niederlassungserlaubnis brauchte, mit der ihr ein Wohnsitz zugewiesen und ein staatliches Mindesteinkommen garantiert wurden. Das Mindesteinkommen sollte „die Hebamme vor wirtschaftlicher Not [zu] schützen und ihr ein, wenn auch bescheidenes, aber ausreichendes Einkommen sicher[zu]stellen.“ Das Existenzminimum lag 1938 bei 1.200 Reichsmark pro Jahr. Das Mindesteinkommen war das Kernstück des Reichshebammengesetzes und das einzige Recht, das Hebammen gegenüber ihren vielen Pflichten vom Gesetzgeber eingeräumt wurde, so der Jurist Fritz Werner 1957 in der Deutschen Hebammen Zeitschrift. In der Bundesrepublik waren die Länder für die Zahlung des Mindesteinkommens zuständig. Sie waren verpflichtet, der Hebamme die Differenz zu zahlen zwischen dem Honorar aus Eigenleistung, also dem Honorar für ihre durchgeführten Geburten, und dem Mindesteinkommen.
Etwa die Hälfte der niedergelassenen Hebammen beanspruchte im Nationalsozialismus das Mindesteinkommen, das schon damals als „gehobene Fürsorge“ galt, wie der zeitgenössische Verwaltungsexperte Sigfried Boettcher 1961 konstatierte. Auch in der Bundesrepublik hatte 1960 fast die Hälfte der Hebammen weniger als 50 Geburten im Jahr und damit Anspruch auf das Mindesteinkommen. So geriet dieses zur Dauerlösung gegen die wirtschaftliche Misere der niedergelassenen Hebammen.
Die Länder passten das Mindesteinkommen in unterschiedlicher Höhe an gestiegene Lebenshaltungskosten an. Das Bundesverwaltungsgericht befand 1959 die Sätze des Mindesteinkommens als zu niedrig. Außerdem sei der Bund zuständig, da das Mindesteinkommen der Niederlassungserlaubnis nachgeordnet war, für die der Bund verantwortlich war. Ende 1964 folgten die Länder einmalig der Empfehlung des Bundesgesundheitsministeriums und vereinheitlichten das Mindesteinkommen auf 3.000 Mark pro Jahr.
Doch legten die Länder in den weiteren Jahren wieder unterschiedliche Höhen des Basisgehalts fest. Auch weitere an die Niederlassungserlaubnis gekoppelte finanzielle Regelungen des Hebammengesetzes ließen sich für die Berufsgruppe nur durch Rechtsklagen durchsetzen.
Dazu gehörte die an das Mindesteinkommen gekoppelte Bedürfnisprüfung, durch die der Anspruch von Hebammen auf das Mindesteinkommen beschränkt werden konnte. Danach verloren verheiratete Hebammen ihren Anspruch auf das Mindesteinkommen, wenn das Familieneinkommen das Zweieinhalbfache des Mindesteinkommens überstieg – ebenso unverheiratete Hebammen, deren zusätzliche Einkünfte über dem Eineinhalbfachen der Basissicherung lagen. Die Bedürfnisprüfung hatte der NS-Staat im Rahmen seiner arbeitsmarktpolitischen Kampagne gegen das „Doppelverdienertum“ eingeführt, durch die die Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt wurden (Tiedemann 2001). In der Bundesrepublik blieb die Bedürfnisprüfung Teil des geänderten Hebammengesetzes von 1954, obwohl sie gegen den im Grundgesetz in Artikel 3 garantierten Gleichbehandlungsgrundsatz verstieß. Die Klage der Hebammenberufsorganisation gegen die Bedürfnisprüfung hatte 1964 vor dem Bundesverwaltungsgericht einen späten Erfolg: Die Länder mussten die Forderungen der verheirateten Hebammen rückwirkend bis 1949 ausgleichen.
Zunehmend verringerte sich jedoch die Zahl der niedergelassenen Hebammen, weil immer mehr Geburten in der Klinik stattfanden. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es im Jahr 1950 insgesamt etwa 12.000 Hebammen, bis 1975 sank ihre Zahl auf etwa 6.000. Gerade die Zahl der nur in der Hausgeburtshilfe arbeitenden Hebammen war zwischen 1950 und 1975 von etwa 6.000 auf 880 Hebammen geschrumpft. Die wirtschaftliche Not der freiberuflich tätigen Hebammen und immerwährende Warnungen vor einem Hebammenmangel waren ständiges Thema auf Veranstaltungen von Hebammen und auch in der Presse.
Hebammenverbandsvertreterinnen rieten in den 1950er Jahren teilweise auch öffentlich aufgrund der schlechten Bezahlung jungen Frauen davon ab, den Hebammenberuf zu ergreifen. In den 1960er Jahren riefen sie ihre Kolleginnen dazu auf, den Beruf aufzugeben. Jedoch gab es auch viele niedergelassene Hebammen, die neben der Hausgeburtshilfe in der Klinik als Beleghebamme arbeiteten. Hier konnten sie gute bis sehr gute Verdienste erwirtschaften, insbesondere zwischen 1955 und 1970. Die finanzielle Not betraf die Hausgeburtshebammen, von denen nur 20 Prozent im Jahr 1960 als zufriedenstellend oder gut beschäftigt mit mehr als 100 Geburten im Jahr galten, so die DHZ im Jahr 1960.
Kein Anschluss an die Moderne
In Diskussionen der Gesundheitsminister der Länder um eine bundeseinheitliche Dienstordnung für Hebammen am Ende der 1950er Jahre war die Rolle von Hebammen in der Verhütungsberatung ein Thema. Dazu hieß es in der Hebammendienstordnung von 1943 in § 8.3: Schutzpessare und Sicherheitsovale wie überhaupt alle Mittel und Verfahren, „die geeignet sind, die Schwangerschaft zu verhüten, darf die Hebamme weder empfehlen noch anwenden“. In gleichem Wortlaut wurde die Vorschrift ins geänderte bundesrepublikanische Hebammengesetz im Jahr 1954 übernommen. „Durfte“ die Hebamme nach der Dienstordnung von 1943 nicht über Verhütung beraten, sah der Entwurf der Kommission der Landesgesundheitspolitiker vor, das „darf nicht“ durch „soll nicht“ zu ersetzen. Es blieb jedoch bei der NS-Regelung, die Hebammen verbot, Verhütungsmittel zu empfehlen. Hebammen wurden damit weiterhin nur auf Geburtenförderung verpflichtet, obwohl ein steigender gesellschaftlicher Bedarf nach Familienplanung bestand und es in der frühen Bundesrepublik hohe Sterblichkeitszahlen nach Abtreibungen gab (Herzog 2005). In Schweden beispielsweise war die Hebamme als sogenannte Mutterschaftsfürsorgerin auch für die Geburtenplanung zuständig.
Die Rolle von Hebammen in der Gesundheitsfürsorge wurde im Hebammengesetz von 1954 nicht erweitert. Die Landesgesundheitspolitiker diskutierten 1952 über die Vergütung der niedergelassenen Hebammen in der Schwangeren-, Mütter- und Säuglingsfürsorge. Hier hatte das Hebammengesetz von 1938 im § 19 festgelegt: „Für ihre Mitarbeit kann ihnen eine besondere Vergütung gewährt werden“, die sie in der NS-Zeit für ihre Einbeziehung am Gesundheitsamt in die Beratungsstunden der Schwangeren-, Mütter- und Säuglingsfürsorge auch erhielten (Lisner 2006). Der Gesetzentwurf des damals zuständigen Bundesinnenministeriums sah vor, das Wort „kann“ durch „soll“ zu ersetzen, denn „der Verpflichtung der Hebamme sollte eine Verpflichtung zur Gegenleistung gegenüberstehen“. Die Änderung fand jedoch keine Mehrheit und der Passus von 1938 wurde unverändert in das überarbeitete Hebammengesetz übernommen.
Anbindung an den Gesundheitsdienst
Ein zentraler Aspekt, der die Berufsgruppe schwächte, war die Anbindung an den öffentlichen Gesundheitsdienst. Denn als Anbieter präventiver Aufgaben war das Gesundheitsamt nach den rassehygienischen Selektionsmaßnahmen im Nationalsozialismus diskreditiert, so 2004 die Historikerin Ulrike Lindner. Es blieb Aufgabe der Länder, die Gesundheitsvorsorge am Gesundheitsamt zu organisieren, der sie jedoch nicht systematisch nachkamen. Der Bereich der Gesundheitsfürsorge war insgesamt vernachlässigt, da die Ausrichtung des Gesundheitswesens grundsätzlich auf Kuration und nicht auf Prävention lag.
Die einzige Möglichkeit des Bundes, die Prävention voranzutreiben, war der Weg über die Sozialversicherung. Im Jahr 1966 wurde so die Schwangerenvorsorge zur ersten präventiven Regelleistung der Krankenversicherung und zur Aufgabe der Ärzteschaft. Die kassenärztlichen Leistungen wurden in den Mutterschaftsrichtlinien festgelegt. Schwangere hatten auch einen Anspruch auf Hebammenhilfe, der jedoch lediglich über die Hebammengebührenordnung definiert war. Zu den Aufgaben von Hebammen gehörten die Kontrolle des Gewichts, des Urins, des Gebärmutterstandes, der Kindslage, der kindlichen Herztöne und eine allgemeine Beratung.
Ein „jahrelanges Tauziehen“ hatte zwischen den Akteursgruppen aus dem Bundesgesundheits- und Bundesarbeitsministerium um eine Einbeziehung der Hebammen in die Schwangerenvorsorge stattgefunden, wie Akten des Bundesarchivs Koblenz zeigen. Die gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium deutlich mächtigeren Akteure aus dem Bundesarbeitsministerium, den Krankenkassen und der Ärzteschaft konnten ihre Interessen hier durchsetzen und die Hebammen von der Schwangerenvorsorge ausschließen. Dies war ein entscheidender Verlust für die Berufsgruppe. Durch die Schlüsselfunktion, die die Ärzteschaft durch die Schwangerenvorsorge bekam, wurden Schwangerschaft und Geburt zunehmend medizinisch ausgerichtet und soziale Aspekte immer weniger berücksichtigt. Dass Hebammen durchaus in der Schwangerenvorsorge Leistungen anzubieten hatten, geriet mit den Hausgeburten in Vergessenheit. Mit der neuen Nachfrage nach Hausgeburtshilfe in den 1980er Jahren kam aber der Schwangerenvorsorge durch Hebammen wieder Bedeutung zu.
Anpassung der Ausbildung
Auch die Anpassung der Ausbildung verlief langsam. So blieb die Hebammenausbildungs- und Prüfungsordnung von 1938 in der Bundesrepublik bis zu ihrer Novellierung im Jahr 1963 gültig. Die Ausbildung wurde um ein halbes Jahr auf zwei Jahre verlängert, die Eingangsvoraussetzung blieb jedoch der Volkschulabschluss. Als Grundlage für diese Ausbildung erschien 1962 das erste Hebammenlehrbuch in der Bundesrepublik. Bis dahin orientierten sich die Hebammenschulen an dem nur geringfügig überarbeiteten preußischen Hebammenlehrbuch von 1928 oder dem in der Deutschen Demokratischen Republik bereits 1947 von Robert Schröder herausgegebenen Hebammenlehrbuch, das 1955 in zweiter und neu bearbeiteter Auflage erschienen war.
In den 1970er Jahren begann die Politik, ein neues Hebammengesetz im Zusammenhang mit der Novellierung der Krankenpflege zu verhandeln. Der Gesetzgebungsprozess zog sich jedoch lange hin – laut Harald Horschitz, Justitiar im Bund Deutscher Hebammen, wegen der Regelungen der Krankenpflege. So musste die Hebammenausbildung schließlich vom Gesetzgebungsverfahren im Jahr 1981 abgekoppelt und vorgezogen werden, um die EU-Ausbildungsrichtlinie 80/155/EWG von 1980 einzuhalten. Hebammenausbildungen sollten danach für eine gegenseitige Anerkennung des Hebammenexamens in Europa ein vergleichbares Niveau haben (Horschitz & Kurtenbach 1994).
Risikovermeidung durch Technik
In der Klinik setzte sich schon in den 1950er Jahren eine Geburtshilfe mit vielen Interventionen durch, die mit Schmerzmedikamenten, Wehen beschleunigenden Mitteln und Dammschnitten versprach, die Geburt zu beschleunigen und so die Mütter- und Säuglingssterblichkeit zu senken (Schumann 2009). Die starke Orientierung auf Risikovermeidung durch Technik in der Klinik erreichte in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ihren Höhepunkt mit dem Konzept der programmierten Geburt, die von Anfang bis Ende komplett durchgeplant und terminiert war: Die Frau kam zum errechneten Termin in die Klinik und nach entsprechenden Vorbereitungen wurden die Wehen eingeleitet. Das Prinzip lag in der Einleitung der Geburt ohne vorherige Wehentätigkeit. So sollte eine optimale Vorbereitung aller an der Geburt Beteiligten ermöglicht werden, denn die „unvorbereitet eintretende Geburt“ wurde von der Geburtsmedizin als Belastung für alle Beteiligten betrachtet (Hillemanns 1978). Die Schwangere hatte durch den geplanten Geburtstermin die Möglichkeit, die Familie zu koordinieren, bereits vorhandene Kinder unterzubringen und den Haushalt entsprechend vorzubereiten. Auch der Ehemann konnte den Geburtstermin in seinen Arbeitsrhythmus einpassen und seine Frau von Beginn an begleiten. Dass die Frau einen psychologischen Vorteil durch die Programmierung hätte, wurde von den befürwortenden GeburtsmedizinerInnen allgemein akzeptiert.
Die Praxis der programmierten Geburt veranschaulicht das Schema der Freiburger Universitätsfrauenklinik Mitte der 1970er Jahre, das in Anlehnung an den Sammelband von Hillemanns 1978 erstellt wurde (siehe Tabelle) (Schumann 2009).
Ab Beginn der 1970er Jahre wurde die programmierte Geburt vor allem an großen Frauenkliniken erprobt und durchgeführt. Im Berliner Martin-Luther-Krankenhaus bekam zwischen 1971 und 1976 fast jede fünfte Frau durch Geburtsprogrammierung ihr Kind (Starck 1976). Die Geburtsmedizin knüpfte damit an die allgemeinen Planungs- und Machbarkeitsvorstellungen der 1960er Jahre an. Als Leitbild der Geburtsmedizin konnte sich die programmierte Geburt jedoch nicht durchsetzen.
Bis Mitte der 1970er Jahre verschwand die Hausgeburtshilfe zunehmend als geburtshilfliche Praxis. Im Jahr 1975 bekamen laut den Zahlen des Statistischen Bundesamts 98,8 Prozent der Schwangeren ihre Kinder in der Klinik. Das geänderte Hebammengesetz von 1954 hatte für niedergelassene Hebammen keine positiven Auswirkungen. Die Bezahlung der Hausgeburtshilfe war gering, ebenso das Mindesteinkommen, ist in der Deutschen Hebammen Zeitschrift in den Jahren 1950 bis 1975 immer wieder zu lesen.
Von modernen Tätigkeitsfeldern, wie der Familienplanung oder der Schwangerenvorsorge, konnte die Berufsgruppe nicht profitieren und ihre geburtshilfliche Praxis verlor gegenüber der medizinischen Geburtshilfe in der Klinik die Akzeptanz. Das Hebammengesetz hatte somit den freien Beruf nicht gesichert. Vielmehr diente es der scharfen Abgrenzung zwischen Tätigkeitsfeldern von Hebammen und Ärzteschaft. Erst in den 1970er Jahren bekamen Hebammen durch eine an den Bedürfnissen von Frauen orientierte Versorgung wieder eine sichtbarere Bedeutung: 1972 wurde die Geburtsvorbereitung zu einer Präventionsleistung von Hebammen. Wie im Bundesanzeiger Nr. 112 vom 21. Juni 1972 veröffentlicht, war die Geburtsvorbereitung über die Hebammengebührenordnung für die Berufsgruppe nun abrechenbar. Eine weitere zentrale Entwicklung für den Beruf in den 1970er Jahren – als der Anteil der Klinikgeburten im Jahr 1975 bei 98,8 Prozent lag – löste die Frauenbewegung aus.
Mit der Parole „Mein Bauch gehört mir“ forderte die Frauenbewegung in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre das Recht auf Abtreibung. Zugleich verstand sie sich damals als Teil einer allgemeinen Technik- und Medizinkritik und bezog eine „radikale Frontstellung gegen die Gynäkologie und klinische Geburtshilfe“. Kritik richtete sich insbesondere gegen die in den Geburtsablauf eingreifende technisch orientierte Geburtsmedizin, die gegen Ende der 1970er Jahre mit der programmierten Geburt ihren Höhepunkt erreicht hatte.
Verzögerungen von Vorteil
Mit den Forderungen eines „selbstbestimmten Gebärens“ rückte die Hausgeburtshilfe, in der die Geburt als natürlicher Vorgang betrachtet wurde, zurück in das öffentliche Bewusstsein. Für die Wiederbelebung der Hausgeburtshilfe war jedoch die immer noch gültige Hinzuziehungspflicht aus dem Hebammengesetz von 1938 zentral. Das neue Hebammengesetz wurde 1985 verabschiedet, und damit die Niederlassungserlaubnis und die an sie gekoppelten Regelungen abgeschafft. Das Monopol der Hebamme auf die normale Geburt verankerte der Gesetzgeber auch damals gegen den vehementen Protest der Gynäkologen wieder. Der Grund dafür lag in erster Linie bei den Forderungen der Frauen und der Frauengesundheitsbewegung nach einer nicht medikalisierten, nicht technischen und ausdrücklich von Hebammen durchgeführten Geburtshilfe. Somit reagierte die Politik mit der Verankerung der Hinzuziehungspflicht auf die Forderungen der Frauen. Da sich diese Kräfte weitgehend erst ab Ende der 1970er Jahre entfalteten, profitierten die Hebammen von der langen Verschleppung der Gesetzesreform. Denn wäre das Hebammengesetz schon vorher reformiert worden, hätte es keine große Unterstützergruppe für die Hinzuziehungspflicht gegeben und diese wäre möglicherweise nicht verankert worden. Für den Hebammenberuf waren diese Verzögerungen durch die politischen Entscheidungsträger typisch. Hatte sich dieses Muster bisher immer zum Nachteil der freiberuflich tätigen Hebammen ausgewirkt, schlug es an dieser Stelle ins Gegenteil um. >
Hinweis
Dieser Artikel beruht auf der Dissertation von Dr. Marion Schumann, die im Rahmen des DFG-Forschungsschwerpunktes „Professionalisierung, Organisation, Geschlecht“ gefördert wurde.
Literatur
Boettcher S: Ist die Rechtsstellung der Hebamme nach dem Reichshebammengesetz noch zweckmäßig? Hannover 1961
Bach KO: Die neuen Kassengebühren: „Halbstark“. In: DHZ 1964. 16: 63–70
Hillemanns H-G (Hrsg.): Die programmierte Geburt. 1. Freiburger geburtshilfliches Kolloquium 1976. Stuttgart 1978
Herzog D: Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Aus dem Amerikanischen von Ursel Schäfer und Anne Emmert. München 2005
Horschitz H, Kurtenbach H: Hebammengesetz mit den Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft und der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Hebammen mit Erläuterungen. Zweite Auflage. Hannover 1994
Lisner W: „Hüterinnen der Nation.“ Hebammen im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 2006
Lindner U: Gesundheitspolitik in der Nachkriegszeit. Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. München 2004
Schumann M: Westdeutsche Hebammen zwischen Hausgeburtshilfe und klinischer...
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