Geburtsvorbereitung für Frauen aus der Ukraine

Vom Hebammenstudiengang für Geflüchtete

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine muss sich auch die Geburtshilfe und Hebammenarbeit in Deutschland mit der Situation schwangerer, gebärender und postpartaler geflüchteter Frauen aus der Ukraine auseinandersetzen. Um ein niederschwelliges Angebot zu schaffen, hat eine Initiative aus der Lehre mit intensiver Beteiligung einer Studierenden und Engagement aus dem Dozierendenkreis an der Katholischen Stiftungshochschule München einen Geburtsvorbereitungskurs für geflüchtete Frauen aus der Ukraine angeboten. Karolina Luegmair | Olga Musiienko
  • Das Angebot des Schwangerschaftskurses für geflüchtete Frauen aus der Ukraine wird von den Teilnehmerinnen dankend angenommen.

  • München hatte in den Sommermonaten 2022 nach Schätzungen des Sozialreferats bis zu 15.000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen (Anlauf, 2022). Offizielle Zahlen des Jobcenters belaufen sich auf knapp 6.000 Menschen über 16 Jahren. Vier Fünftel der im Jobcenter gemeldeten Ukrainer:innen sind Frauen. Die Zahl der in den Betreuungsbogen der Hebammen fallenden Menschen lässt sich jedoch nur schätzen, denn offizielle Erfassungen gibt es aktuell nicht.

    Allerdings lässt sich die Dimension des Bedarfs erahnen, wenn man private Kanäle betrachtet. Eine Telegram-Gruppe für die Geflüchteten und die Helfer:innen mit dem Namen »Help for pregnant, birth, women with baby in Munich« hatte zum Projektstart im April bereits 100 Mitglieder, mehrheitlich Schwangere, aber auch interessierte Helfer:innen. Bis Mitte Juli ist die Gruppe weiter gewachsen und zählte 295 Mitglieder.

     

    Kurskonzept: Ringvorlesung an der Hochschule

     

    In einer offenen Runde zu den Unterstützungsmöglichkeiten für aus der Ukraine geflüchtete Frauen im Betreuungsbogen der Hebammenarbeit entwickelte sich die Idee für einen Kurs. Dieser offenen Runde gehörten eine Lehrende aus der Hebammenkunde, eine Beauftragte des International Office und eine Hebammen-Studierende an. Dabei mussten sowohl die hochschulischen Vorgaben und Bedingungen, als auch versicherungstechnische Aspekte und nicht zuletzt die zeitlichen und persönlichen Kompetenzen und Kapazitäten der Helfenden beachtet werden. Auch die Besonderheiten der aktuellen Situation im Großraum München und nicht zuletzt besondere Wünsche der Frauen der Zielgruppe rückten in den Fokus.

    Aus Äußerungen in München lebender ukrainischer Frauen ging hervor, dass sie sich am dringendsten einen Geburtsvorbereitungskurs wünschten. Dies deckte sich mit der Möglichkeit, Veranstaltungen an der Hochschule durchzuführen. Unter diesen Bedingungen kristallisierte sich ein Konzept für eine Ringvorlesung der Open University (eine Lehrveranstaltungsreihe für nicht eingeschriebene Personen) an der Hochschule heraus. Dieses ermöglichte, die Räume der Hochschule zu nutzen, das Bewerben über die Hochschul-Medien und -Kanäle zu sammeln und die Veranstaltungen virtuell zu übertragen. Die Hochschulleitung trug die Pläne mit. Zudem waren die Vortragenden über die Form der Ringvorlesung damit versicherungstechnisch einzuordnen (persönliche Beratungen oder weitere individuelle Angebote wurden nicht durchgeführt) und der Zeitaufwand für die einzelnen Vortragenden begrenzte sich auf die Vorbereitung und Durchführung der jeweiligen Session (jede:r Vortragende hatte einen von sechs Terminen).

    Inhaltlich orientierte sich die Vortragsreihe eng an Inhalten »klassischer« Geburtsvorbereitungskurse, wie sie in Deutschland üblich sind. Allerdings wurden die Themen des Betreuungsbogens auf vier Vorträge reduziert und zwei weitere Veranstaltungen zu spezifischen Bedingungen in München und zu allgemeinen Sozial- und Staatsleistungen implementiert. Die Reihe auf sechs Termine zu begrenzen und rasch zu beginnen, erschien für die Schwangeren sinnvoll. Folgende inhaltliche Schwerpunkte wurden an den Abenden gesetzt:

    • Rund um die Geburt in München – was muss ich machen?
    • Schwangerschaft – Überblick über die Vorsorgeuntersuchungen im Kontext der deutschen Mutterschafts-Richtlinien
    • Wochenbett – Gesundheit der Mutter, Ernährung des Babys, Hebammenaufgaben im Wochenbett
    • Geburt – Verlauf, Krankenhaus, außerklinische Begleitung, Hilfe bei Problemen
    • Bürokratie – Geburtsurkunde, Behandlungsscheine, Sozialhilfe
    • Das Kind im ersten Lebensjahr – Untersuchungen und Impfungen bis zum ersten Geburtstag.

    Eine von der Zweitautorin Olga Musiienko initiierte und betreute Telegram-Gruppe diente als allgemeiner Vernetzungs- und Austausch-Kanal, fragte nach Wünschen und Rückmeldungen der Mitglieder, warb für die Veranstaltung und gab kurzfristige Änderungen weiter. Zudem wurde die Veranstaltung über relevante Stakeholder beworben, wie Refugio, Stadt München, Beratungsdienste und den Hebammenlandesverband. Dies geschah immer mit einem eigens entwickelten zweisprachigen Plakat und unter Verweis auf die Telegram-Gruppe für Rückfragen.

     

    Kommunikation auf Russisch

     

    Das Konzept des Angebotes in russischer Sprache war von Anfang an klar, da die Telegram-Gruppe zu 98 % Russisch als Kommunikationssprache nutzte. Hierzu waren aber alle bis auf eine Referentin auf Sprachmittlung angewiesen. Diese Übersetzung wurde an drei Abenden von Olga Musiienko durchgeführt, die selbst Hebammenstudentin im siebten Semester und gebürtige Ukrainerin ist.

    An den weiteren Abenden vermittelte sie professionelle Sprachmittlerinnen, die das nicht vorhandene Fachwissen durch Vorbereitung anhand der deutschsprachigen Folien kompensieren konnten. Die Folien wurden von den Fachreferent:innen auf Deutsch vorbereitet und teilweise ins Russische übersetzt.

    Zu jedem Termin wurden (sofern vorhanden) Materialien in russischer Sprache zur Verfügung gestellt, zudem nicht-sprachliche Materialien oder vereinzelte Dokumente in englischer Sprache. Olga Musiienko übersetzte darüber hinaus von anderen Referent:innen erstellte Wörterlisten.

     

    Live und online

     

    Die Veranstaltung wurde hybrid durchgeführt, die Zoom-Veranstaltung in Teilen parallel aufgezeichnet und auf Anfrage den Teilnehmerinnen individuell zur Verfügung gestellt. Zudem wurden über den Telegram-Chat die Folien im Nachgang zur Verfügung gestellt, so dass hinterlegte Links unkompliziert anzuwählen waren und auch deutschsprachige Texte über digitale Übersetzungshilfen teilweise verstanden und nachgelesen werden konnten.

    Um einen im Anschluss an jeden Vortrag angestrebten ungezwungenen Austausch der Teilnehmenden untereinander und mit den Vortragenden zu erleichtern, wurden Getränke und Snacks angeboten. Dafür wurde ein zeitlicher Rahmen von 30 bis 60 Minuten einkalkuliert und durch die finanzielle Unterstützung der hochschulischen StuVe und Heißgetränke der Hochschule selbst ermöglicht. Zudem wurde ein Willkommenspaket mit Materialien der einschlägigen hebammenaffinen Firmen und zusätzlich gekauften Materialien gepackt, das einen Schlafsack, einen Body und ein Kuscheltier enthielt. Dazu wurden aus einem Kindergarten Patenschaften für die Pakete von den Eltern der Kita-Kinder übernommen. Organisiert wurde dies durch eine Hebammenstudierende in der akademischen Nachqualifikation und somit die finanzielle Unterstützung gesichert.

    Mehrere Frauen wandten sich nach dem Ende des Kurses noch in persönlichen und ausführlicheren E-Mails an die Veranstalterinnen und gestatteten ausdrücklich, die Rückmeldungen zu übersetzen und zu veröffentlichen. Die Ziele des Kurses schienen gut erreicht, wie die Rückmeldungen andeuten. Neben dem Angebot der Informationen und Unterstützungsmöglichkeiten war die Vernetzung mit den Anbietern im Gesundheitssystem als auch der Frauen untereinander ein wichtiges Ziel des Kurses.

     

    Feedback

     

    Kursteilnehmerin 1: »Vielen Dank, dass Sie Ihre persönliche Zeit damit verbracht haben, Ihr Wissen und Ihre Erfahrung zu teilen. Dank dieser Informationen sind unsere Ängste vor der Geburt verschwunden, und persönliche Treffen haben uns die Möglichkeit gegeben, uns kennenzulernen und mehr Informationen darüber zu erfahren, wo und an wen wir uns bei Bedarf wenden können. Dieser Kurs enthält genaue und notwendige Informationen für schwangere Frauen in Deutschland. Alles ist klar, verständlich und zugänglich. Ich bin sicher, dass viel mehr schwangere Frauen Ihre Unterstützung brauchen. Wir wünschen Ihnen Inspiration, Kraft und Begeisterung, um weiterhin solche Kurse für schwangere Frauen durchzuführen.«

    Kursteilnehmerin 2: »Dies ist meine erste Schwangerschaft und ich kam aus einer besetzten Stadt, in der es viel Militär gibt, und es war beängstigend und einfach unerträglich, jeden Tag gab es Explosionen und es traf wirklich die Nerven, in ständiger Angst zu leben.

    Sehr wertvoll ist das, was Sie für uns tun, einfach nicht genug Worte, um all die Dankbarkeit für die Menschen in Deutschland zu beschreiben. Vielen Dank für die Geschenke, sie werden für mich und das Baby sehr nützlich sein. Vielen Dank für diese nützlichen Vorträge, alles wird dank Ihnen viel einfacher und klarer und es ist nicht mehr so schrecklich, hier zu sein und zu gebären.«

     

    Schlussfolgerungen

     

    Konzept und Umsetzung scheinen trotz der Kürze der Entwicklungszeit den Erwartungen und Bedürfnissen der Zielgruppe gut entsprochen zu haben. Dies ist möglicherweise zuerst der Integration einer ebenfalls aus der Ukraine kommenden Leiterin des Kurses in die Entwicklung und Umsetzung des gesamten Konzeptes zu verdanken. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Empfehlungen im Abschlussbericht des Fachdialognetzes für schwangere, geflüchtete Frauen (Fachdialognetz, 2022). Es bestätigt auch Erfahrungen aus der Schweiz, wo muttersprachliche Geburtsvorbereitungskurse sich großer Beliebtheit erfreuten (Wyssmüller, 2017).

    Das Angebot des Kurses und der Telegram-Gruppe auf Russisch statt auf Ukrainisch stellte kein Hindernis für Frauen und Familien aus der Ukraine dar. So kann davon ausgegangen werden, dass die »Stiefmuttersprache« (Wortschöpfung einer Ukrainerin) eine hilfreiche Möglichkeit sein kann, bestehende Angebote und Materialien an die Frauen heranzubringen oder auch neue Angebote zu entwickeln.

    Anders als beim Schweizer Kurskonzept lag der Schwerpunkt des hier vorgestellten Kurses nahezu ausschließlich auf Informationsvermittlung. Nachfragen zu Rückbildung und Atemübungen verdeutlichten allerdings, dass auch das Interesse nach Körperarbeit vorliegt und bei einem weiteren Kursangebot überdacht werden müsste. Auch die Weitervermittlung an Unterstützungsangebote und nicht zuletzt an betreuende Hebammen musste während der Kursabende angestoßen werden, eine individuelle Betreuung einzelner Frauen war nicht möglich. Die mündlichen und schriftlichen Rückmeldungen von Teilnehmerinnen sowie einzelner praktisch arbeitender Hebammen lassen mindestens vermuten, dass die Vermittlung an vielen Stellen gelungen ist. Hier wäre eine strukturierte Abfrage noch bestehender Lücken für ein weiteres Angebot sinnvoll und wichtig.

    Die sprachliche Nähe, welche jederzeit durch simultane Übersetzung der ehrenamtlichen Sprachmittlerinnen garantiert werden konnte, ermöglichte auch das interkulturelle Pendeln, wie es sich zum Beziehungsaufbau im Sinne eines Arbeitsbündnisses bewährt hat (Abdallah-Steinkopff, 2015). Im Gegensatz zu Erfahrungen in englischsprachigen Mutter-Kind-Gruppen, in denen keine der Anwesenden Englisch als Muttersprache hatte (Luegmair, 2018), entwickelte sich das interkulturelle Pendeln durch das Stellen von Fragen in der eigenen Muttersprache und die Vermittlung dieser Frage über eine mehrsprachige Person ungezwungener und damit vermutlich ziel- und ergebnisorientierter.

    Da die Anwesenheit von ukrainischen Doulas und einer Stillberaterin unter den Interessentinnen des Kurses als wertvoll eingeschätzt wurde, wäre es für eine Fortsetzung des Konzepts möglicherweise sinnvoll, diese Akteur:innen von Anfang an für die thematisch passenden Einheiten anzufragen. Auch diese Erkenntnis lässt sich in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Fachdialognetzes zur Netzwerkarbeit bringen (Fachdialognetz, 2022).

    Die Strukturen der Hochschule waren extrem nützlich, da für dieses Projekt keinerlei finanzielle Ressourcen zur Verfügung standen (bis auf die Spenden der StuVe und einer Elterngruppe). Damit ging die Hochschule ihrem Bildungsauftrag in einem besonderen Sinne nach, unterstützte zudem in einem gesellschaftlichen Auftrag niederschwellig und unkompliziert die Integration geflüchteter Frauen. Um häufigere, besser geplante und nicht auf ehrenamtlichem Engagement einzelner Akteur:innen beruhende Projekte im Betreuungsbogen der Hebammenarbeit für geflüchtete Frauen anzubieten und vor allem zu verstetigen, ist politische und gesellschaftliche Unterstützung unabdingbar. Eine Reaktivierung bestehender und erfolgreicher Strukturen, die in den Jahren 2015 bis 2017 aufgebaut, danach aber schrittweise wieder abgebaut wurden, kann nicht als nachhaltiges Vorgehen im Sinne der Empfehlungen für erfolgreiche Arbeit gesehen werden und bedarf einer Neuorientierung.

    Für den hier vorgestellten Kurs bestehen Überlegungen, ihn in angereicherter Form wieder anzubieten.

     

    Ressourcen und Hindernisse

     

    Die Umsetzung des Geburtsvorbereitungskurses war insgesamt sehr erfolgreich, wie die Zusammenfassung zeigt:

    • Schwankende Zahl an Teilnehmer:innen in Präsenz zwischen 12 und fast 30
    • Zoom-Teilnahme schwankend zwischen 7 und über 10 Teilnehmenden
    • Hohe Zahl an mehrmaligen Besuchen
    • Anmeldung einmalig informell über Telegram-Gruppe
    • Zur Verfügung gestellte Materialien wurden gerne genommen.
    • Angebotene Getränke und Snacks wurden gerne genommen.

    Die Evaluation der Seminare brachte sowohl Dankbarkeit als auch Verbesserungswünsche zum Vorschein:

    • Extrem hohe Zufriedenheit in den selbst erstellten Evaluations­formularen
    • Das Freitextfeld wurde mehrheitlich für den Ausdruck von Dankbarkeit genutzt
    • Wünsche für die Zukunft waren bessere Ausschilderung der Räumlichkeiten, Informationen über die Möglichkeit der Anwesenheit des Partners sowie eine zusätzliche Einheit zu Säuglingspflege
    • Die mündlichen Rückmeldungen bezogen sich unter anderem auf Wünsche nach Informationen zur Kostenübernahme von invasiver und nicht-invasiver Pränataldiagnostik, Sorge vor Strahlungs­gefahr durch CTG und Ultraschall-Untersuchungen und eine Begründung der Notwendigkeit von Vitamin-D-Substitution für alle Schwangeren (wie sie in der Ukraine empfohlen wird).

     

    Rubrik: Politik & Gesellschaft

    Erscheinungsdatum: 24.11.2022

    Literatur

    Literatur

    Abdallah-Steinkopff, B., Akhtar, F. (2015). Kultursensible Elternberatung bei Flüchtlingsfamilien. Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung, 33(3), 109–117.

    Anlauf, T. (2022). Ukrainer in München: Jobcenter betreut 5.600 Geflüchtete. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/ukraine-flucht-krieg-1.5618623

    Fachdialognetz, http://fachdialognetz.de/start

    Luegmair, K. (2018). Mutter-Kind-Gruppen für Geflüchtete: Vertrauen fassen in der Fremde. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 71(4).

    Wyssmüller, D., Hurni, A. (2017). Geburtsvorbereitung in der Muttersprache. Hebamme, 30(02), 84–89.

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