Qualitative Studie aus Schweden

Wie fühlen sich Frauen nach einem Dammriss zweiten Grades?

  • Werden die Bedürfnisse der Frau nach einem Dammriss zweiten Grades nicht ausreichend wahrgenommen, können sie sich sehr unsicher und allein fühlen.

  • Verletzungen des Genitalbereichs betreffen bei vaginalen Geburten 85 % aller Gebärenden in leichter oder schwerer Form. Bei einem Dammriss zweiten Grades sind die perinealen Muskeln verletzt, jedoch ist der anale Sphinkter Muskel intakt.

    Im Rahmen einer schwedischen Studie wurde untersucht, wie die Heilungsverläufe und die darauf folgenden Betreuungsmaßnahmen nach einem Dammriss zweiten Grades von Frauen erlebt wurden. Hierzu wurden drei bis vier Monate nach der Geburt halbstrukturierte Interviews mit 18 Frauen während der Jahre 2017 und 2018 durchgeführt. Diese Interviews wurden anschließend deskriptiv ausgewertet.

    Die befragten Frauen waren zwischen 26 und 39 Jahre alt. Die Erfahrungen der Frauen unterschieden sich und umfassten eine Bandbreite von problembehafteten Verletzungen und Heilungsverläufen bis zum Missverständnis, dass keine Geburtsverletzung vorlag.

    Vier Hauptkategorien wurden aufgezeigt:

    1. Gefühl der Unsicherheit
    2. Gefühl der Sicherheit
    3. Übergehen eigener Bedürfnisse
    4. Misstrauen gegenüber dem Gesundheitssystem.

    Das Gefühl der Unsicherheit umfasste, nicht zu wissen, was als normal erachtet wird, sowie Verwirrung hinsichtlich der Art und Weise eines empfohlenen Beckenbodentrainings. Unsicherheit in Bezug auf Schmerzen wurde von einer Teilnehmerin beschrieben: »Ich hatte solch große Schmerzen für zwei Wochen, konnte kaum mit dem Hund laufen gehen. Konnte kaum in die Küche laufen. Ja, ich wusste wirklich nicht mehr, was normal war.«

    Das Gefühl der Sicherheit ging damit einher, dass Frauen einen Umgang mit den Schmerzen gefunden hatten oder keine Schmerzen verspürten sowie Vertrauen in das Gesundheitssystem empfanden. Hierbei wurde von einer Teilnehmerin die Bedeutung der betreuenden Hebamme genannt: »Ich denke, ich würde zunächst die Hebamme kontaktieren, die mich bei Bedarf weiterleiten würde.«

    Das Übergehen eigener Bedürfnisse wurde von den Teilnehmerinnen anhand des Spannungsfelds beschrieben, über Informationen zu verfügen, jedoch diese aufgrund der Rolle als Elternteil nicht umsetzen zu können. Als wesentlicher Einflussfaktor wurde die Zeit genannt: »Bevor du Kinder hast, ist es viel leichter, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Hast du Kinder, kommst du zuletzt, und selbstverständlich kannst du Beckenbodenübungenn durchführen, während du stillst, jedoch ist das dann nicht die Priorität ...«

    Ein Misstrauen in das Gesundheitssystem wurde von Studienteilnehmerinnen mit dem Gefühl beschrieben, sich vergessen zu fühlen: »Ich empfinde einen Fokus auf der mütterlichen Gesundheit und auf der Gesundheit des Babys während der Schwangerschaft. Während der Geburt geht es dann um das Baby. Und später fühlt es sich so an, als müsstest du nun nach dir selber schauen…« Frauen berichteten zudem davon, sich mit ihren Problemen nicht ernst genommen zu fühlen. Andere Frauen berichteten über Misstrauen in die Kompetenz der Leistungserbringer:inndn sowie eine eigene Resignation.

    Die Autor:innen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass ein Dammriss zweiten Grades sehr unterschiedlich durch Frauen erlebt werden kann. Frauen können sich danach sicher fühlen, wenn ihre Bedürfnisse beachtet werden, oder aber Unsicherheiten empfinden, wenn Versorgung und Informationen unzureichend erlebt sowie Beckenbodenübungen nicht verständlich erklärt werden. Physiotherapeut:innen könnten aus Sicht der Autor:innen die geeignete Berufsgruppe zur Weitergabe individueller Beckenbodenübungen sein. Sie empfehlen, Frauen nach einem Dammriss zweiten Grades individuell zu betreuen und zu informieren.

    Quelle: Daremark, C., Andreasson, L., Gutke, A. & Fagevik Olsen, M. (2022). Women's experiences of the injury, recovery and desire for rehabilitation after a second-degree vaginal tear-a qualitative study. Int Urogynecol J, 33, 1521-1527. https://doi.org/10.1007/s00192-021-04951-3 ∙ DHZ

    Rubrik: Wochenbett

    Erscheinungsdatum: 21.06.2022