Zuckerartiges Molekül myo-Inositol

Wie Muttermilch die Hirnentwicklung fördert

  • Das Molekül myo-Inositol in der Muttermilch hat in Labor- und tierexperimentellen Studien die Bildung von Synapsen gefördert.

  • Das zuckerartige Molekül myo-Inositol, das vor allem in den ersten Wochen des Stillens in höherer Konzentration in der Muttermilch enthalten ist, hat in Labor- und tierexperimentellen Studien in den Proceedings of the National Academy of Sciences die Bildung von Synapsen gefördert und könnte deshalb ein Grund für die Überlegenheit der mütterlichen Milch gegenüber Babyersatznahrungen sein.

    Ernährungsexpert:innen sind sich weitgehend einig, dass die Muttermilch die beste Ernährung für den Säugling ist. Zu den Vorteilen, die in (letztlich nicht beweisenden) epidemiologischen Studien beobachtet wurden, zählt eine höhere Intelligenz im späteren Leben. Tatsächlich sind die ersten Lebensmonate des Säuglings eine wichtige Reifungsphase des Gehirns, in der vor allem die Zahl der Synapsen steigt, über die die Nervenzellen miteinander verschaltet sind.

    Welche Bestandteile der Muttermilch für diese Vorteile verantwortlich sind, ist bisher nicht bekannt. Die Ergebnisse der GEHM-Studie (»Global Exploration of Human Milk«) liefern jetzt mögliche Hinweise. Die Forscher:innen haben die Zusammensetzung der Muttermilch im Verlauf der Stillperiode bei Frauen aus Mexico City, Shanghai und Cincinnati analysiert. Dabei achteten sie vor allem auf die Unterschiede zur Kuhmilch.

    In allen drei Kulturkreisen fiel eine hohe Konzentration von myo-Inositol in den ersten Wochen des Stillens auf. Myo-Inositol ist einer von sechs Isomeren von Inositol oder Cyclohexanhexol, einem zuckerartigen Mole­kül. Inositol kommt in Geweben mit hoher Glukoseverwertung vor, beispielsweise im Gehirn. In der Mutter­milch entfallen 93 % des Inositols auf ungebundenes myo-Inositol.

    Die Muttermilch enthält in der zweiten Woche nach der Geburt180 µg/ml myo-Inositol, und der Säugling nimmt pro Tag 105 mg mit der Muttermilch auf. Interessanterweise gab es hier keine Unterschiede zwischen Mexiko, China und den USA, was dafür spricht, dass myo-Inositol überall auf der Welt von großer Bedeutung für die Ernährung des Säuglings ist.

    Ein Team um Thomas Biederer vom »Human Nutrition Research Center on Aging« an der Tufts-Universität in New Haven hat in einer Reihe von Experimenten untersucht, auf welche Weise myo-Inositol die Entwicklung des Gehirns fördern könnte. In Kulturen von menschlichen Nervenzellen erhöhte myo-Inositol die Bildung des Proteins Homer, das Bestandteil der postsynaptischen Membran ist und dessen Zunahme deshalb ein Hinweis auf die vermehrte Bildung von Synapsen ist. Dies ließ sich bei Ratten auch im Hippocampus nachweisen, der zentralen Schaltstelle für das Gedächtnis. Bei den Rattenneuronen ließ sich in einem weiteren Experiment die Bildung von neuen Synapsen durch myo-Inositol verstärken.

    Im nächsten Schritt untersuchten die Forscher:innen, ob myo-Inositol auch an lebenden Tieren die Bildung von Synapsen fördert. Mäuse wurden nach der Geburt während einer wichtigen Entwicklungsphase des Gehirns eine Zeitlang täglich mit myo-Inositol behandelt und dann getötet.

    Im Cortex der Mäuse kam es zu einer vermehrten Bildung von Synapsen, erkennbar an der Zunahme der Konzentration von Homer. In einem weiteren Experiment wurde die Auswirkung von myo-Inositol auf das Gehirn von erwachsenen Mäusen untersucht. Auch hier wurden positive Effekte gesehen.

    Die Ergebnisse deuten auf eine Beteiligung von myo-Inositol an der Hirnentwicklung hin. Eine Rationale für den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln liefern sie derzeit jedoch nicht. Eine solche therapeutische Wirkung müsste zunächst in randomisierten Studien untersucht werden. Wie bei allen neuen Wirkstoffen müsste dann in weiteren tierexperimentellen Studien die Sicherheit geprüft werden. Erst danach könnte in klinischen Studien die geeignete Dosis ermittelt und ein möglicher Nutzen belegt werden.

    Auch beim Erwachsenen könnte es mögliche Einsatzgebiete geben. Biederer weist in der Publikation darauf hin, dass bei Patient:innen mit schweren depressiven und bipolaren Störungen niedrigere Inositolspiegel im Gehirn festgestellt wurden.

    Genetische Varianten in den Myo-Inositol-Transportern wurden mit der Schizophrenie in Zusammenhang gebracht. Zu den Beobachtungen gehört aber auch, dass Menschen mit Down-Syndrom und Morbus Alzheimer erhöhte Konzentrationen von myo-Inositol im Gehirn haben. Auch dies spricht gegen einen unkritischen Einsatz.

    Quelle: aerzteblatt.de, 9.8.23 · DHZ

    Rubrik: 1. Lebensjahr

    Erscheinungsdatum: 10.08.2023