Bäume der Erkenntnis

Die Plazenta wird oft mit einem Baum verglichen: Die Nabelschnur erinnert an einen Stamm, die Wurzeln holen die Nährstoffe für das Kind aus der fruchtbaren Dezidua. Eine gelungene Analogie zwischen Pflanzen- und Säugetierwelt.

Aktuell gibt es eine ganz andere Parallele. In der Zeitung lese ich jeden Tag über verdorrte Felder und Ernteeinbußen. Vor wenigen Monaten war es noch umgekehrt: Wegen Dauerregen konnten die Bauern ihre Saat nicht ausbringen, die Böden nahmen kein Wasser mehr auf. Was langsam ins öffentliche Bewusstsein rückt, ist der Zweifel an der Unfehlbarkeit unserer effizienten Landwirtschaft.

Nun dämmert langsam die Erkenntnis: Viele verschiedene Pflanzen in der Fruchtfolge sind nachhaltiger, die Erde zu »grubbern« ist besser, als sie mit dem tiefen Pflug brutal zu zerschneiden. Und wer auf Gift verzichtet, erhält den Lebensraum für eine Vielzahl von Lebewesen, darunter die Bienen.

Was hat das alles mit Geburtshilfe zu tun? Wir haben fast 100 Jahre hinter uns, in denen in Schwangerschaften und Geburten eingegriffen wird. Optimiert, standardisiert, reglementiert. Frauen und Kinder werden krank von zu vielen Kaiserschnitten. Dammschnitte führen zu Langzeitschäden – physisch und psychisch. Das Verbot von Essen und Trinken, Rückenlage, Kristellern, sinnlose Routinen ruinieren das physiologische Gebären. Schädliche Bakterien im Krankenhaus sind resistent gegen Antibiotika (die nicht zuletzt aus der Landwirtschaft stammen). Das rasche Abnabeln von Neugeborenen ist nicht nur nutzlos, sondern kurz- und langfristig schädlich.

Es ist Zeit, innezuhalten und nachzudenken. Es geht nicht darum, dass wir alle Ökosocken tragen und vegan leben sollen. Aber eine genaue Kenntnis über Zusammenhänge von Gebären und Sterben, Gesundheit und Krankheit müssen wieder her. Menschenverstand und Augenmaß – vielleicht sogar eine gewisse Demut. Da können wir von Biobauern und Hausgeburtshebammen lernen. Schauen wir hin.

Rubrik: Immer in der DHZ | DHZ 10/2018

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