Warum ein Poster nicht genügt

Neulich setzte eine geschätzte Kollegin im Eilverfahren die Idee durch, die 12 Schritte der International Childbirth Initiative, die erfreulicherweise das Intro der S3-Leitlinie zur vaginalen Geburt am Termin bilden, als Poster zu gestalten und Kreißsälen zum Aufhängen anzubieten – wie es auch die Initiative selbst empfiehlt. Ihre Idee dahinter war, dass die Gebärenden diese Schritte im Kreißsaal lesen und überprüfen können, ob sie in ihrer Betreuung auch eingehalten wurden. Nun bin ich wahrlich eine Verfechterin von Aufklärung und Selbstbestimmung, habe aber trotzdem Bedenken bei dieser Aktion. Ich finde auch, dass Frauen mehr über die Leitlinie wissen und ihre Rechte kennen sollten und dass es wichtig ist, dass sie dies auch in der Geburtshilfe einfordern. Und ich weiß, dass die große Mehrheit der Hebammen in den Kliniken Tag für Tag versucht, ihre Arbeit im Sinne dieser Ethik zu leisten, also Frauen und Paare und ihre Kinder mit Respekt zu betreuen und unnötige Interventionen zu vermeiden. Viele von uns sind jedoch zunehmend frustriert, weil Strukturen und Hierarchien das schwer machen. Oft fehlt einfach auch die Einsicht der Verantwortlichen, dass sich Geburtshilfe grundsätzlich ändern muss, damit Frauen keine Bevormundung erfahren und Ent­scheidungen weniger aus der schieren Angst vor einem schlechten pH-Wert des Kindes gefällt werden. Wenn schon Hebammen in diesem System oft zu wenig Macht haben, nach ihrem besten Wissen und Gewissen zu arbeiten, was sollen Gebärende mit den 12 Schritten denn konkret anfangen? Diese zwischen den Kontraktionen runterbeten? Oder sich danach bei Gericht beklagen? Wenn wir eine frauenfreundlichere Geburtshilfe etablieren wollen, ist es wie bei anderen emanzipatorischen Kämpfen. Ehrgeizige Erklärungen im Klinikleitbild allein verhindern keinen Lobbyismus von Säuglingsernährungsfirmen. Stylische Kreißsäle machen noch keine gute Geburtshilfe. Eine respektvolle Geburtshilfe muss durch klare Kriterien definiert sein und von unabhängigen Initiativen geprüft und zertifiziert werden. Sonst wird mit so einem Plakat vermutlich an vielen Orten wieder nur etwas beworben, was nicht oder nur bruchstückhaft gelebt wird.

Rubrik: Immer in der DHZ | DHZ 06/2023

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