Barrieren überwinden
Alle 45 Minuten erlebt eine Frau in Deutschland physische Gewalt durch ihren Partner und jeden dritten Tag ermordet ein Mann seine (Ex-)Partnerin (UN Women Deutschland e.V., 2023). Diese Zahlen sind alarmierend. Sie betreffen auch schwangere Personen und somit die Arbeit von Hebammen, die eine zentrale Rolle bei der Erkennung und dem Umgang mit Partnerschaftsgewalt während der Schwangerschaft haben. Gerade diese Phase ist eine sehr emotionale, verletzliche Zeit voller Veränderungen im Umfeld, im Köper und vielen weiteren Bereichen des Lebens eines Paares. Sie kann Freude bringen, aber auch Sorgen, zum Beispiel in finanzieller Hinsicht. Dadurch kann Konfliktpotenzial entstehen oder verstärkt werden.
Hebammen sind oft die ersten Gesundheitsfachkräfte, die engen Kontakt zu Schwangeren haben. Sie können daher frühzeitig Anzeichen von Gewalt erkennen und als Beschützende auftreten (Siller et al., 2022, 1916, 1925). Leider bleibt eine Frage nach dieser Art von Gewalt in der Schwangerschaftsvorsorge oder anderen Hebammenbereichen oft unausgesprochen. Auch die Mutterschaftsrichtlinien oder der Ethikkodex des DHV weisen nicht explizit darauf hin.
Definition der Partnerschaftsgewalt
Partnerschaftsgewalt findet zwischen Personen statt, die durch eine aktuelle oder ehemalige Partnerschaft oder Heirat verbunden sind. Die World Health Organization (WHO) nennt die Gewalt ausgehend vom eigenen Ehemann oder vom männlichen intimen Partner als häufigste Form von Gewalt gegen Frauen weltweit (WHO, 2021, VIII).
Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) teilt die verschiedenen Formen von Partnerschaftsgewalt in vier Kategorien ein (EIGE, 2021, 11):
- Physische Gewalt: Körperliche Gewalt, die dem Opfer körperlichen Schaden zufügt. Dies kann beispielsweise schwere oder leichte Körperverletzung, Freiheitsentzug oder Totschlag beinhalten.
- Sexuelle Gewalt: Jede Art von sexueller Handlung ohne Einverständnis des Opfers, beispielsweise Vergewaltigung oder sexuelle Belästigung.
- Wirtschaftliche Gewalt: Hierbei wird dem Opfer wirtschaftlicher Schaden zugefügt, zum Beispiel durch Sachbeschädigung, eingeschränkten Zugang zu Geldkonten, Bildung oder zum Arbeitsmarkt sowie das Nichteinhalten von wirtschaftlichen Pflichten wie Unterhaltszahlungen.
- Psychologische Gewalt: Jede Handlung, die dem Opfer psychologischen Schaden bereitet. Dies kann beispielsweise durch Belästigung, Verleumdung, verbale Angriffe oder Nötigung passieren.
Prävalenz
Die WHO schätzt, dass weltweit 23–31 % der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren mindestens einmal im Leben von physischer und/oder sexueller Partnerschaftsgewalt betroffen sind. 13 % der Frauen in dieser Altersgruppe waren in den letzten zwölf Monaten von dieser Partnerschaftsgewalt betroffen (WHO, 2021, 21).
Eine 2023 erschienene Studie über die Prävalenz von Partnerschaftsgewalt in Deutschland zeigt, dass 57,6 % der Frauen und 50,8 % der Männer in ihrem Leben von Gewalt durch den oder die Partner:in betroffen waren oder aktuell sind. 8,1 % der Frauen und 3,1 % der Männer erleben sie sogar regelmäßig (Jud et al., 2023, NP1480).
Gewalt gegen Schwangere
Studien geben Hinweise darauf, dass 25,2 % der schwangeren Personen weltweit Gewalt erleben, wobei die Prävalenz sehr stark zwischen den Kontinenten variiert. Afrika hat mit 36,1 % das höchste Vorkommen, während Europa mit 5,1 % die niedrigste Rate an Partnerschaftsgewalt gegen Schwangere aufweist (Román-Gálvez et al., 2021, 3–4).
Mehrere Studien berichten zudem, dass häusliche Gewalt sowohl in der Schwangerschaft als auch postpartal zunehmen kann. Eine schwedische Studie dokumentierte einen Anstieg von 2,5 % in der Schwangerschaft auf 3,3 % ein bis eineinhalb Jahre post partum (Finnbogadóttir & Dykes, 2016, 5).
Die Gewalt kann schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen für Mutter und Kind verursachen, beispielsweise eine erhöhte Sectio- (+33 %) und Frühgeburtsrate, ein niedriges Geburtsgewicht und eine ungenügende Schwangerschaftsbetreuung. Zudem erhöht Partnerschaftsgewalt bei den betroffenen Frauen das Risiko für einen späteren Stillbeginn, emotionale Erschöpfung, depressive Symptome, erhöhte Aggressivität dem Kind gegenüber sowie Probleme, die Grundbedürfnisse des Kindes zu sichern, und kann Einfluss auf das Geburtserlebnis haben (Chaves et al., 2019, 3; Finnbogadóttir et al., 2020, 6–7; Hill et al., 2016, 270; Siller et al., 2022, 1905; Sousa et al., 2022, 1634–1635).
Methodik
Die Erarbeitung der eigens erstellten Handlungsempfehlung zur Früherkennung von Partnerschaftsgewalt und zur Einleitung geeigneter Unterstützungsmaßnahmen basiert auf einer umfassenden Literaturrecherche. Hierbei wurden zwei relevante Reviews aus den Jahren 2021 und 2022 identifiziert und mit aktuellen Studien ergänzt. Bestehende Handlungsempfehlungen für Hebammen und andere Gesundheitsberufe wurden analysiert und durch die Synthese der gewonnen Daten ein umfassendes Bild erstellt.
Ein zentrales Element dieser Empfehlung sind die Interventionsschritte mit dem Akronym ORANGE, die als Merkhilfe für das Vorgehen beim Screenen dienen. Dies soll letztlich dazu beitragen, die Gesundheit und Sicherheit von Schwangeren und ihren Kindern zu verbessern. Im Folgenden werden die Grunderkenntnisse vorgestellt – für die Erarbeitung der Handlungsempfehlung sind noch weitreichendere Daten verwendet worden.
Barrieren beim Screenen
Schwangerschaftsgewalt ist ein ernst zu nehmendes Problem mit gravierenden Folgen für Mutter und Kind. Dennoch fehlt vielen Gesundheitsfachkräften das nötige Know-how über Vorkommen, Symptome und Zeichen, um Partnerschaftsgewalt zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren (Andreu-Pejó et al., 2022, 570; Fenne Fredriksen et al., 2021, 3–4; Zobbi et al., 2022, 834).
Strukturell gesehen scheint es oft Probleme mit einer Weiterleitung an andere Professionen zu geben, da Hebammen nicht immer wissen, welche weiteren Hilfsmaßnahmen es gibt (Baird et al., 2020, 10). Oftmals fehlen Angebote und Möglichkeiten zur Langzeitbetreuung sowie ein Netzwerk zwischen den Professionen (Andreu-Pejó et al., 2022, 570; Peters et al., 2022, 8). Außerdem haben Hebammen Bedenken, sich mit den Problemen der Frau zu belasten, wenn sie diese aufdecken, oder sich selbst in Gefahr zu bringen (Baird et al., 2020, 12–13; Fenne Fredriksen et al., 2021, 4; Siller et al., 2022, 1916).
Darüber hinaus wird ein Mangel an Ressourcen wie Zeit, Personal sowie geeigneten Räumlichkeiten, in denen Ruhe und Privatsphäre garantiert sind, festgestellt (Andreu-Pejó et al., 2022, 570).
Auf Seiten der Betroffenen bestehen ebenfalls mehrere Hürden, die es ihnen erschweren, über erlebte Gewalt zu sprechen. Einige wissen selbst nicht, dass sie Opfer von Partnerschaftsgewalt sind. Sie denken, das Verhalten der Täterperson wäre nicht schlimm oder sogar normal in einer Beziehung (Fenne Fredriksen et al., 2021, 3; Heron & Eisma, 2021, 623). Die Anwesenheit der Partnerin oder des Partners bei dem Gespräch kann eine starke Barriere dafür sein, von der Gewalt zu berichten, denn die Angst vor Konsequenzen und der Reaktion der Täterperson ist zu groß (Andreu-Pejó et al., 2022, 570; Fenne Fredriksen et al., 2021; Heron & Eisma, 2021, 626).
Ein mangelndes Vertrauen in das Gesundheitsfachpersonal kann dazu führen, dass Frauen sich nicht trauen, über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen (Heron & Eisma, 2021, 623). Angst vor Verurteilung durch die Gesellschaft, das Gefühl von Machtlosigkeit, Unwissen über Unterstützungsmöglichkeiten oder die Sorge vor dem Jugendamt gehören auch zu Gründen, warum Betroffenen sich nicht anvertrauen (Andreu-Pejó et al., 2022, 570; Heron & Eisma, 2021, 623).
Die Handlungsanleitung
Die Literaturrecherche ergab verschiedene Barrieren und Chancen sowie wichtige Schlüsselfaktoren, die in dem eigenen Konzept und Akronym ORANGE zusammengefasst wurden – passend zum Orange-Day, dem internationale Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November jeden Jahres (UN Women Deutschland e.V.; 2023). Die eigens entwickelten Interventionsschritte bieten eine systematische und strukturierte Herangehensweise zum Erkennen und Handhaben von Partnerschaftsgewalt:
O: Optimierung durch direktes und routinemäßiges Ansprechen von Gewalt
Fort- und Weiterbildung bereits während des Studiums und im Berufsleben sowie die Schaffung von Leitlinien, effizienten Screening-Tools und der routinemäßige Einsatz von einfachen und direkten Screening-Fragen sind unabdingbar. Dadurch bekommen Frauen die Möglichkeit; über ihre Erfahrungen zu sprechen und sich zu öffnen (Gabrys & Goeckenjan; 2019, 957–958; S.I.G.N.A.L. e.V.; 2022; Zobbi et al.; 2022, 830). Der passende Moment und die Fragetechnik sollten mit Bedacht gewählt werden, um Vertrauen aufzubauen und die betroffene Person nicht zu verschrecken, da sonst die Gefahr besteht, dass sie sich verschließt und jede Hilfe abblockt.
R: Respektvolle Kommunikation, aufmerksames Zuhören und Nachfragen
Eine respektvolle, nicht wertende, anerkennende und einfühlsame Kommunikation mit passender Mimik und Gestik, die Offenheit, Bereitschaft und Kompetenz ausstrahlt, ist entscheidend, um das Vertrauen der betroffenen Frauen zu gewinnen (Andreu-Pejó et al., 2022, 570, 574; Heron & Eisma, 2021, 623; WHO, 2022b, 27).
Die Hebamme sollte trotz Zeitdruck und Mangel an Ressourcen jeglicher Art in der Lage sein, auf die Bedürfnisse der Frauen einzugehen und diese zu bestärken und zu schützen (Gabrys & Goeckenjan, 2019, 956–957; Siller et al., 2022, 1920; WHO, 2022a, 16, 2022b, 27; Wieners & Winterholler, 2018, 33). Ein ruhiger und ungestörter Raum zur Wahrung der Privatsphäre und bestenfalls die Abwesenheit des Partners oder der Partnerin sowie von Kindern älter als zwei Jahre helfen bei dem Gespräch (Heron & Eisma, 2021, 623; Siller et al., 2022, 1916–1917; Tarzia et al., 2020, 14, 17). Termine, die standardmäßig ohne Begleitperson stattfinden, können vermeiden, dass bei dieser Verdacht auf Entdeckung der Gewalt aufkommt. Für manche Frauen kann es auch leichter sein, sich einer weiblichen Fachperson zu öffnen (Heron & Eisma, 2021, 623).
Die emotionalen und körperlichen Grenzen der Frauen müssen zu jedem Zeitpunkt akzeptiert werden und nicht nötige Interventionen sollen unterlassen werden, zum Beispiel eine vaginale Untersuchung nur aufgrund von Klinikstandards (Siller et al., 2022, 1919–1920). Die Entscheidungen der betroffenen Schwangeren müssen akzeptiert werden und es darf kein Druck auf sie ausgeübt werden (DHV, 2012, 68; Tarzia et al., 2020, 19).
A: Ausmaß untersuchen und einschätzen
Hier soll eingeschätzt werden, welche Art und Weise der Gewalt vorliegt und wie extrem sie ist. Die körperliche Untersuchung ist nicht der Bestandteil von Hebammenarbeit, sondern sollte von Ärzt:innen ausgeführt werden. Wichtige Anhaltspunkte und Warnsignale bei Verdacht auf Gewalt auch für Hebammen sind beispielsweise Verletzungen in unterschiedlichen Heilungsstadien, Depressionen, Angst, Schlafstörungen, Alkoholkonsum, ungewollte Schwangerschaften, verspätetes Aufsuchen der Schwangerschaftsvorsorge, häufige Blasen- oder Niereninfektionen, wiederholte vaginale Blutungen, Kopfschmerzen, wiederholte traumatische Verletzungen mit nicht plausiblen Erklärungen und die Begleitung durch eine:n aufdringliche:n Partner:in (Büttner et al., 2020, 6; WHO, 2022a, 70, 2022b, 21; Wieners & Winterholler, 2018, 33).
N: Notieren und Dokumentieren
Um sich als Hebamme rechtlich abzusichern, ist eine genaue und sicher verwahrte Dokumentation sehr wichtig. Vor allem das Dokumentieren der Symptome, Verletzungen und Warnsignale sollte mit Uhrzeit und Datum versehen werden. Hierfür gibt es Vordrucke mit Körperschema, zum Beispiel von S.I.G.N.A.L. e.V. Um sich gegen eventuelle spätere Anschuldigungen verteidigen zu können, muss die Dokumentation alle Ereignisse, Maßnahmen und Aussagen der Betroffenen beinhalten. Insbesondere auch dann, wenn das Opfer Hilfe ablehnt (Wieners & Winterholler, 2018, 34).
Wichtig ist, die Dokumentation nicht auf Unterlagen durchzuführen, die die Schwangere mit nach Hause nimmt, wie dem Mutterpass, da diese in falsche Hände geraten könnte.
Ärzt:innen können gerichtsfest dokumentieren, damit das Opfer später die Gewalttaten beweisen kann, falls es Anzeige gegen die Täterperson erstatten möchte (Büttner et al., 2020, 8–9; S.I.G.N.A.L. e.V., 2022; Wieners & Winterholler, 2018, 34; WHO, 2022a, 70).
G: Gefahr abklären, Hilfebedarf aufschlüsseln
Hebammen sollten die Gefahrensituation der betroffenen Frauen genau abklären, mithilfe einer guten Anamnese des sozialen Umfelds und beispielsweise der finanziellen Verhältnisse und Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit einleiten (Fenne Fredriksen et al., 2021, 4; Zobbi et al., 2022, 831–832). Zudem sollte der konkrete Hilfebedarf der Frauen ermittelt werden. Bei schweren Verletzungen, zum Beispiel mit Verdacht auf einen Tötungsversuch oder ein Sexualdelikt, kann bei Einverständnis der Klientin ein:e Rechtsmediziner:in hinzugezogen werden. Die Hebamme sollte sich in solchen Fällen juristische Beratung suchen, zum Beispiel bei der Landesärztekammer (Büttner et al., 2020, 8–9).
Sieht die Hebamme das Wohl des (ungeborenen) Kindes in Gefahr, sieht das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) vor, dass sie zunächst die Situation mit den Eltern besprechen und die Inanspruchnahme von Hilfen nahelegen soll. Bei akuter Gefahr darf die Hebamme direkt das Jugendamt informieren, ansonsten kann sie sich von einer erfahrenen Fachkraft der Jugendarbeit beraten lassen (§ 4 KKG). Bei jedem Miteinbeziehen anderer Personen muss die Schweigepflicht gewahrt werden und nur der oder die Betroffene kann die Fachperson davon entbinden. Es sollten aufgrund der Vertraulichkeit stets möglichst wenig Daten übermittelt werden.
Bei akuter Gefährdung sollte die Hebamme zusammen mit der Betroffenen einen Notfallplan mit einer Liste mit Notfallkontakten erstellen (WHO, 2022a, 16). Das können Frauenhäuser und Beratungsstellen, aber auch Verwandte oder Bekannte sein, die im Notfall helfen. Diese Liste sollte stets sicher verwahrt werden und darf auf keinen Fall von der Täterperson gefunden werden. Sie kann an einem sicheren und zugänglichen Ort verwahrt werden zusammen mit einer Notfalltasche, die Kleidung, Ersatzschlüssel für Wohnung oder Auto, wichtige Papiere (Geburts-/Heiratsurkunde, Miet-, Arbeitsvertrag, Ausweise, eventuell Sorgerechtsentscheide und so weiter), notwendige Medikamente, Krankenkassenkarten und etwas Geld enthält (DHV, 2012, 67, 69; Heron & Eisma, 2021, 626).
Der Selbstschutz der Hebamme steht an erster Stelle, unter anderem bei Hausbesuchen. Sie darf nur einschreiten, wenn sie die Situation einschätzen kann. Im Notfall sollte sie die Polizei informieren und als Zeugin fungieren (DHV, 2012, 69). Die Hebamme muss trotz ihres Einfühlungsvermögens den eigenen psychischen und körperlichen Schutz an erster Stelle halten. Gerade bei eigenen Gewalterfahrungen muss das Berufliche von Privatem getrennt und die eigenen Grenzen müssen geachtet werden (DHV, 2012, 69; Kruse, 2018, 85; Büttner et al., 2020, 9–10; Fenne Fredriksen et al., 2021, 4; Siller et al., 2022, 1918; WHO, 2022a, 38).
Um emotional sehr anstrengende Fälle verkraften zu können, können Teambesprechungen und Supervisionen hilfreich sein (Baird et al., 2020, 13–14; Fenne Fredriksen et al., 2021, 5; Andreu-Pejó et al., 2022, 570; Siller et al., 2022, 1918). Auch freiberufliche Hebammen ohne ein festes Team sollten sich ein Netzwerk mit anderen Hebammen aufbauen, um sich mit pseudonymisierten Daten auszutauschen und Hilfe einzuholen.
E: Expert:innen einschalten, Weitervermittlung und langfristige Hilfen einleiten
Hebammen sollten eng mit Expert:innen aus verschiedenen Bereichen zusammenarbeiten, ein breites Netzwerk aufbauen und so eine effiziente Weiterleitung der Betroffenen an Frühe Hilfen, Beratungsstellen und »Erste-Hilfe«-Möglichkeiten gewährleisten. Langfristige Hilfen, Unterstützung und Sicherheitsmaßnahmen sind entscheidend, um den betroffenen Personen nachhaltige Hilfe zu bieten. Die bestärkende und wegweisende Position der Hebamme senkt erheblich die Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen (Andreu-Pejó et al., 2022, 574; Heron & Eisma, 2021, 623; S.I.G.N.A.L. e.V., 2022; Siller et al., 2022, 1921–1922; Tarzia et al., 2020, 18; WHO, 2022b, 40).
Sinnvoll sind neben Kontakten zu Familienberatungsstellen, Familienhebammen, Frauenhäusern oder zum Jugendamt auch Kontakte für die psychologische und juristische Unterstützung der Opfer. Hier kann sich die Hebamme zudem über weiteres Vorgehen beraten lassen (DHV, 2012, 65, 67; Heron & Eisma, 2021, 624; WHO, 2022b, 27; Wieners & Winterholler, 2018, 33).
Schlussfolgerung
Die Untersuchung und Entwicklung zeigen deutlich, dass es notwendig ist, Partnerschaftsgewalt während der Schwangerschaft systematisch zu erkennen und zu behandeln. Die vorgeschlagenen Interventionsschritte ORANGE bieten eine praxisnahe und strukturierte Herangehensweise, die in den Arbeitsalltag und die Ausbildung von Hebammen integriert werden kann. Das Ziel ist es, dass Betroffene mit Hebammen offen über die Fragen, Aspekte und Sorgen sprechen, die eigenen Präferenzen erklären können und so eine partizipative Entscheidungsfindung stattfindet, um die Gesundheit und Sicherheit von Schwangeren und Kindern zu gewährleisten und betroffene Frauen wirksam zu unterstützen.
Es wäre wünschenswert, wenn die Handlungsempfehlung in der Praxis von Hebammen getestet und durch Studien validiert wird, um ihre Alltagstauglichkeit und Wirksamkeit zu überprüfen.