Corona – Fake oder Fakt?

Mit dem Virus kamen die Fake News. Je länger es dauert, bis ein „normales“ Leben wieder einkehrt, desto vehementer werden vermeintliche Wahrheiten gestreut. Woher kommen diese Strömungen – warum ist es so essenziell, ihnen nicht aufzusitzen? Warum sollten auch Hebammen Fake und Fakt unterscheiden können? Tara Franke
  • Tara Franke, Hebamme und Redakteurin der DHZ: „Fakten sind deshalb Fakten, weil sie belegbar und überprüfbar sind.“

Sars-CoV-2, das neuartige Corona-Virus, und Covid-19, die Erkrankung, die es auslösen kann, haben die Welt in kürzester Zeit mit vielen Ungewissheiten und Problemen konfrontiert. ForscherInnen und MedizinerInnen versuchen weltweit, in Windeseile Erkenntnisse zu generieren über den Ursprung des Virus, alle Facetten seiner Übertragung und Wirkung auf den Menschen. Sie suchen nach geeigneten Strategien der Vorbeugung und effektiven Behandlungsmöglichkeiten.

Oft wird dem Virus eine Absicht unterstellt, mit der es den Menschen attackiert habe – doch das ist eine recht anthropozentrische Deutung. Denn ein Virus kann keine gerichteten Anpassungen vornehmen, um neue Eigenschaften zu entwickeln, die es beispielsweise braucht, um sich im Menschen zu vermehren. Diese entstehen rein zufällig – durch Mutationen oder Rekombinationen unterschiedlicher Corona-Viren (Nationale Forschungsplattform für Zoonosen 2020). Corona-Viren haben durch ihre fehleranfällige RNA-Polymerase, welche für die Vervielfältigung der Erbinformationen zuständig ist, eine hohe Mutationsrate (Duffy, Shackelton & Holmes 2008).

PolitikerInnen und Verwaltungen bemühen sich – je nach Staatsstruktur und Demokratiegrad mehr oder weniger – die BürgerInnen ihres Landes zu informieren und zu schützen. Es liegt in der Natur der Sache, dass das erforderliche Wissen erst mit der Zeit und der Erfahrung mit der Pandemie wächst. Dieses Virus hat so viele Eigenarten und Risiken und seine Verbreitung eine so große Dynamik, dass VirologInnen, EpidemiologInnen und PolitikerInnen seit Wochen und vermutlich noch viele Monate lang nur „auf Sicht“ fahren können, wie es derzeit immer wieder in den Medien heißt. Eine solche Situation bringt auf fast allen Ebenen Verunsicherung und Ängste hervor.

 

Der Wunsch, das Unkontrollierbare zu kontrollieren

 

Menschen haben das grundlegende Bedürfnis, ein angenehmes und gesundes Leben zu führen und sich darin handelnd und aktiv gestaltend zu erleben. Hebammen kennen das aus der Geburtshilfe sehr gut – nicht nur die werdenden Eltern und die Frau während der Geburt, auch sie selbst haben ein starkes Bedürfnis, die Geburt, die letztlich nie ganz kontrollierbar ist, unter Kontrolle zu bringen, um Schaden für die Mutter, das Kind und auch für sich selbst abzuwenden.

In dieser Pandemie lässt sich gut beobachten, wie wir Menschen versuchen, wieder ein Gefühl von Klarheit und Sicherheit zurückzuerhalten. Wir wünschen uns zuverlässige Informationen und eine schnelle Beendigung der Pandemie, um so schnell wie möglich das gewohnte Leben wieder aufnehmen zu können. Eine gut funktionierende Demokratie hat dafür beizeiten Strukturen geschaffen, um schnell möglichst zuverlässiges Wissen zu generieren, dieses zu teilen, zu bewerten und die notwenigen Schlüsse zu ziehen, mit deren Erkenntnissen dann die Verantwortlichen in den politischen Machtstrukturen Richtlinien, Verordnungen oder Gesetze erlassen, die das Überleben und die Versorgung der Bevölkerung bestmöglich gewährleisten sollen. Aber es zeigt sich, dass wir nicht perfekt auf diese Situation vorbereitet waren, dass vor Jahren schon warnende Stimmen nicht ausreichend gehört wurden und dass Forschung und Politik natürlich keine schnelle und perfekte Antwort auf diese Krise haben. Die weltweiten Folgen sind eine Katastrophe – so gesehen befinden wir uns in Deutschland trotz aller Einschränkungen noch in einer außerordentlich privilegierten Situation.

 

Berechtigte Kritik, Verschwörungstheorie oder Hetze?

 

Angst und Unsicherheit machen uns leider anfällig für scheinbar schnelle und einfache Antworten auf unüberschaubare Zusammenhänge. Und so können wir dieser Tage auch beobachten, dass eine – eigentlich überschaubare – Zahl an Personen, die aber die digitalen Medien geschickt zu nutzen weiß, eine Reihe wilder, teils lächerlicher, teils kruder Theorien über die Pandemie, die Politik, die Medien oder die Wissenschaft massenhaft verbreiten kann.

Den meisten ErstellerInnen solcher Botschaften in den „alternativen Medien“ kann vermutlich eher Geltungsbedürfnis als Boshaftigkeit unterstellt werden. Vermutlich bietet Corona gerade einfach ein neues Feld für Menschen und Organisationen, die sich gerne als AußenseiterInnen, WiderständlerInnen, Messiasse, Weltrettende oder Wahrheitsverkündende – oder einfach als Klicksammelnde – betätigen und darüber Bestätigung erhalten oder Macht ausüben. Aber der Übergang von Spekulationen zu Verschwörungstheorien und rechter Hetze ist leider oft nicht deutlich abgegrenzt – und auch nicht immer gänzlich unerwünscht. Und schon gar nicht ist er ungefährlich.

Claudia Zimmermann, ehemalige Journalistin beim WDR, hat sich beispielsweise einen eigenen Kanal auf YouTube erschaffen, den sie „GamesofTruth“ nennt. Dort erklärt sie: „Meiner Meinung nach hängt das zusammen ... Corona, 5G – die Planung, und die weltweite Impfung mit Nanopartikelchen hängen zusammen. Ich sage, wer sich impfen lässt, der ist verloren.“ Aber auch Migration ist ein Reizthema für sie, mit dem sie in ihren Videos Stimmung macht und Ängste schürt. Und mit dieser Mischung steht sie nicht allein.

Warum aber sollte ein einzelner Laie, eine ehemalige Journalistin oder ein pensionierter Mediziner die Pandemie und das Virus besser verstehen als ein ganzes Netzwerk aktiv forschender WissenschaftlerInnen oder diverse Redaktionen etablierter Medien mit großen professionellen Rechercheteams? Wer das in modernen demokratischen Staaten wie Deutschland für möglich hält, läuft leicht Gefahr, Verschwörungstheorien und HetzerInnen aufzusitzen.

 

Lügen und Hetze den Boden entziehen

 

Natürlich müssen unbedingt kritische Diskussionen stattfinden, wenn vorübergehend Grundrechte eingeschränkt werden, Kindern das Recht auf Schulunterricht oder BürgerInnen das Recht auf Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit und auf Demonstrationsfreiheit genommen wird. Manche dieser Stimmen sind jedoch nicht kritisch abwägend und sachlich argumentierend, sondern reichen von völlig irrational bis offen hetzerisch. So entstehen derzeit mancherorts auch seltsame Allianzen aus selbsternannten ExpertInnen, BürgerrechtlerInnen, ImpfgegnerInnen, Medienverächtlichen, Rechten und VerschwörungstheoretikerInnen. Die Journalistin Katharina Nodun, SWR3, meint dazu: „Wenn man merkt, dass der andere schon tief in einer Verschwörungstheorie gefangen ist, zum Beispiel weil er glaubt, dass alle Politiker lügen oder alle Medien morgens einen Anruf vom Kanzleramt bekommen, bringt es nicht, Faktenchecks zu teilen.“ (Nodun in: SWR3 2020)

Fakten sind deshalb Fakten, weil sie belegbar und überprüfbar sind. „Alternative Fakten“ sind dagegen gar keine Fakten, sondern spekulativ und oft tendenziös – oder schlicht gelogen. Sie dienen eher der Inszenierung der eigenen Person oder der Hetze gegen andere Menschen oder Gruppen als dem Wunsch nach Aufklärung. Die ProduzentInnen von Fake News fallen vor allem dadurch auf, dass sie viel von sich reden, auf ihr Gefühl oder ihre Meinung verweisen oder auf Erfahrungen angeblicher Freunde, Verwandter oder namenloser ExpertInnen. Die Behauptungen stützen sich auf wenige bis gar keine Belege, oder es werden seriöse Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen, um die eigenen Thesen zu untermauern. Viele sind im Ton auffallend angriffslustig, provokativ oder zynisch gehalten und von großem Sendungsbewusstsein geprägt. Manches ist schlicht erstunken und erlogen.

Umso fataler, wenn sich auch ÄrztInnen an der Erfindung und Verbreitung von Fake News beteiligen. Dr. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, warnte jüngst davor, dass sich falsche Theorien über die angebliche Harmlosigkeit von Sars-CoV-2 negativ auf die Glaubwürdigkeit der gesamten Ärzteschaft auswirkten.

Auch Hebammen sollten sich nicht an der Verbreitung fragwürdiger „Informationen“ beteiligen, da so mancher „Tipp“ nicht nur unwahr sei, sondern auch gefährlich werden kann. Es gibt keinen Ratschlag, der dumm genug ist, dass sich nicht noch jemanden findet, der oder die ihn ausprobiert.

Oder, wie der HNO-Arzt Christian Lübbers es kürzlich schlicht klarstellte: „Viren und Fake News lassen sich nur stoppen, wenn man diese nicht weitergibt.“ (Fischer, dpa, 2020)

Rubrik: Ausgabe 07/2020

Vom: 23.06.2020