Hebammenausbildung und -arbeit in Großbritannien

Dieselben Handgriffe – andere Namen

Eine Hebamme berichtet von ihrem Wechsel vom britischen ins deutsche Ausbildungssystem und beschreibt die Unterschiede zwischen beiden Ländern. Ein Einblick in verschiedene Praktiken, Kulturen und Arbeitsweisen – und was wir voneinander lernen können. Julia Solovieva
  • »Die werdenden Hebammen schätzen meine Erzählungen aus England und müssen mir immer weniger mit den deutschen Begriffen aushelfen.«

Vielleicht war es naiv von mir, als Hebamme aus England anzunehmen, dass ich in Deutschland so einfach werdende Hebammen unterrichten könnte. Es hatte mir in London immer Spaß gemacht, mit den »Student Midwives« zu arbeiten. Ich war ausgebildete Mentorin und »Practice Assessor« und befähigt, den Hebammenstudierenden zu bescheinigen, dass sie nun alle Kompetenzen besaßen, um den praktischen Teil des Hebammenstudiums abzuschließen. 

 

Große Unterschiede

 

Ich freute mich auf meine neue Stelle in Deutschland als Lehrende für Hebammenkunde. Als ich ein paar Wochen nach meiner Ankunft gefragt wurde, ob ich Beckenendlagengeburten unterrichten könnte, bejahte ich das sofort. Na klar könnte ich den werdenden Hebammen die Manöver nach Lövset und Mauriceau-Smellie-Veit beibringen. Eine kleine Pause entstand. Dann kam die Verbesserung: Veit-Smellie. 
Wie sich nach einiger Recherche herausstellte, war der Handgriff derselbe, der Name anders. Sehr erstaunt waren die werdenden Hebammen auch, als ich erwähnte, nach einer VE solle man die Herztöne des Ungeborenen auskultieren. Ich fühlte mich an unseren Englischunterricht in der Schule erinnert, wo wir lernten, dass ein Brite in New York schreiben würde: »I stood in a queue. Everyone else waited in line.« Denn in England ist eine VE eine »Vaginal Examination«, also eine VU. 
Mittlerweile kennen die werdenden Hebammen mich ganz gut, schätzen meine Erzählungen aus England und müssen mir immer weniger mit den deutschen Begriffen aushelfen. Was mir bleibt, ist die Erkenntnis, dass Babys in beiden Ländern zwar gleich zur Welt kommen, es ansonsten aber riesige Unterschiede gibt. 

 

Theorie und Praxis in der Ausbildung 

 

 

 


Julia Solovieva arbeitete von 2011 bis 2022 am King‘s College ­Hospital in London.

Foto: © Privat

Es fängt mit der Ausbildung an. Großbritannien hat den Schritt zur Akademisierung der Hebammenausbildung bereits im Jahre 2008 vollzogen. Seitdem wird nur noch auf Bachelor-Niveau ausgebildet. Das zumeist sechssemestrige Studium findet an Universitäten und Fachhochschulen statt; die Studiengebühren belaufen sich pro Jahr auf fast 11.000 Euro. Der »Master of Midwifery« kann ebenfalls erworben werden, richtet sich aber eher an Hebammen, die in Führungs­positionen oder in die Lehre gehen möchten. 
Die Studierenden werden von den Hochschulen in ausgiebigen Auswahlverfahren ausgesucht und anschließend einem Lehrkrankenhaus zugeordnet. Während der Praxisphase sind die Studierenden sowohl im klinischen wie auch im außerklinischen Einsatz und verbringen Zeit im Kreißsaal. Gegebenenfalls arbeiten sie auch im hebammengeleiteten Kreißsaal – den es nicht selten an britischen Krankenhäusern neben dem ärztlich geleiteten gibt – sowie auf der Pränatal- und Wochenbettstation. 

Bei den »Community Midwives«, die als Angestellte des Krankenhauses außerklinisch arbeiten, erleben sie das breite Spektrum der Schwangerenvorsorge und Wochenbettbetreuung, das bei physiologischem Verlauf ausschließlich von Hebammen abgedeckt wird. Die Wochenbettbesuche zu Hause sind in England allerdings nur bis zum zehnten Lebenstag des Neugeborenen üblich, in komplexen Fällen auch mal bis zum Ende des ersten Lebensmonats. Spätestens danach übernehmen die sogenannten »Health Visitors«. Dabei handelt es sich um speziell ausgebildete Krankenpfleger:innen oder Hebammen, die die Kinder und ihre Familien bei Bedarf bis zum Schuleintritt betreuen. 

 

Schwangerenvorsorge nach Maß

 

Das Ganze geschieht derzeit in einem staatlichen Gesundheitssystem, das für alle in Großbritannien lebenden Personen steuerfinanziert ist und damit kostenlos angeboten wird. Damit entfällt die Suche nach einer Hebamme, denn das Krankenhaus hat die Verpflichtung, die Hebammenversorgung abzudecken. Diese beginnt zwischen der achten und zwölften Schwangerschaftswoche, wenn die schwangere Person in einem etwa einstündigen Termin, dem »Booking Appointment«, den ersten Kontakt zur Hebamme hat. Dort wird eine detaillierte Anamnese erhoben, Blut entnommen, es werden Optionen erläutert und Fragen beantwortet. Die Schwangere wird gewogen und der BMI errechnet. Damit ist das Thema »Gewichtskontrolle« abgeschlossen. 
In der Regel werden zwei Ultraschalluntersuchungen angeboten, eine zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche zur genauen Errechnung des Gestationsalters sowie weitere Tests wie die Nackenfaltenmessung. Eine weitere Ultraschalluntersuchung kann zwischen der 18. und 21. Schwangerschaftswoche in Anspruch genommen werden. Meist werden die Ultraschalluntersuchungen in großen Perinatalzentren von Ärzt:innen durchgeführt – Hebammen mit Zusatzqualifikation dürfen sie ebenfalls vornehmen. 
Erstgebärende ohne Risikofaktoren haben bis zum ET Anspruch auf acht Schwangerenvorsorgen bei der Hebamme, in immer kürzer werdenden Abständen. Bei weiteren Schwangerschaften sind es weniger, wenn die erste normal verlaufen ist. Bei Bedarf werden die ärztlichen Kolleg:innen hinzugezogen – die weitere Betreuung findet dann oft gemeinsam statt. 
Vaginale Untersuchungen werden bei normalen Schwangerschaften nicht angeboten. Genauso wenig wird das Becken vermessen – eine Praxis, für die es keine Evidenz gibt. Dafür wird in der Schwangerenvorsorge viel mit dem Dopton gearbeitet, das übrigens auch das Gerät der Wahl für die Überwachung der Herztonfrequenz unter der Geburt ist, welche standardmäßig eins zu eins ab der aktiven Eröffnungsphase betreut wird. Falls die Eins-zu-eins-Betreuung nicht möglich ist, weil nicht genug Hebammen da sind, wird der Kreißsaal für Neuaufnahmen gesperrt und die Gebärenden werden in andere Krankenhäuser umgeleitet.

 

Eins zu eins im Studium

 

Die werdenden Hebammen erfahren ebenso eine Eins-zu-eins-Betreuung: Bei jeder Schicht sind sie einer Hebamme zugeordnet, die die ganze Zeit mit der künftigen Kolleg:in zusammenarbeitet, sie anleitet und mit ihr gemeinsam die Schwangere oder Gebärende versorgt. Dabei hat die Hebamme der ihr zugeordneten Studierenden gegenüber immer die rechtliche Verantwortung – ein Fehler der Studierenden wäre ihr Fehler und könnte sie im Zweifelsfall ihre Berufslizenz kosten. Ein starker Anreiz, immer für die Studierenden da zu sein. 

Fremd ist mir daher auch das Konzept, dass werdende Hebammen Kommiliton:innen in niedrigeren Semestern anleiten. Auch übernehmen die »Student Midwives« in Großbritannien keine Arbeiten wie Essen austeilen oder das Auffüllen der Schränke in Kreißsälen mit Verbrauchsmaterialien – dafür sind »Health Care Assistants« als speziell eingestellte Hilfskräfte zuständig. 

 

Hebammen- oder ärzt:innengeleitet?

 

Im hebammengeleiteten Kreißsaal haben die Hebammen das alleinige Sagen und die volle Verantwortung. Diese Kreißsäle sind manchmal fernab der ärztlich geleiteten Kreißsäle, oft aber auch an sie angeschlossen. Dort werden keine CTGs geschrieben, sondern es wird intermittierend auskultiert. Gebärende, die eine PDA wünschen, werden in den ärztlich geleiteten Kreißsaal verlegt. Ärzt:innen halten sich an die Vereinbarung, dass sie den hebammengeleiteten Kreißsaal nur mit Erlaubnis der schichtkoordinierenden Hebamme betreten dürfen – eigentlich aber gar nicht. Wenn ärztliche Kolleg:innen hinzugezogen werden müssen, wird die Schwangere in den ärzt:innengeleiteten Kreißsaal verlegt. Dort versorgen die Hebammen die Gebärenden ebenfalls eins zu eins ab einer Muttermundsöffnung von 4 cm, aber gemeinsam mit den Ärzt:innen. Bei der Visite kommen die ärztlichen Kolleg:innen eher nicht in den Raum der Gebärenden, wenn ihnen versichert wird, dass Schwangerschaft und Geburt bis zu dem Zeitpunkt physiologisch verlaufen sind. 
Daher ist mir die Praxis sehr fremd, zur Geburt einen Arzt oder eine Ärztin dazuzuholen. Aus meiner langjährigen Erfahrung in England sind zwar manchmal die von der Hebamme aus medizinischen Gründen hinzugerufenen Neonatolog:innen im Raum, die Ärzt:innen aber nur dann, wenn eine Saugglocken- oder Zangengeburt durchgeführt werden muss. In diesem Fall wird die Leitung der Durchtrittsphase in ärztliche Hände gelegt. 

 

(Not-)Kaiserschnitte in drei Kategorien

 

Intravenöse Zugänge werden in England nicht routinemäßig gelegt, sondern nur nach strenger Indikation. Als Schmerzmittel unter der Geburt kommt oft Lachgas zum Einsatz, Pethidin oder die PDA. Kaiserschnitte werden in geplante (»Elective Caesarean Section«) und Notkaiserschnitte (»Emergency Caesarean Section«) unterteilt, wobei ein Notkaiserschnitt noch mal in drei Kategorien unterteilt ist. Nur die erste Kategorie (category 1) ist das, was in Deutschland als Notkaiserschnitt bezeichnet wird. Die beiden anderen wären sekundäre Sectiones im deutschen Sprachgebrauch. 
Nach der Geburt wird die Mutter mit dem Kind auf die Wochenbettstation verlegt. Wenn alles normal verlaufen ist, kann sie aber auch am gleichen Tag nach Hause gehen. Überhaupt ist der Aufenthalt im Krankenhaus in England kürzer und auch die Aufnahme in den Kreißsaal erfolgt in der Regel bei physiologischen Verläufen erst ab einer Muttermunderöffnung von 4 cm. 

 

Erstuntersuchung in Hebammenhand

 

In den letzten Jahren erwerben mehr und mehr Hebammen durch eine Zusatzqualifikation die Berechtigung, die staatlich verpflichtende, gründliche Erstuntersuchung des Neugeborenen durchzuführen (»Newborn and Infant Physical Examination«), die innerhalb der ersten 72 Lebensstunden erfolgen muss. Diese Untersuchung hat einen speziellen Fokus auf das Herz-Kreislaufsystem, die Augen, die Hüften sowie bei männlichen Säuglingen die Hoden . 

 

Wertschätzung durch Verdienst

 

Was immer wieder positiv ins Auge fällt, ist die respektvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit. Grauzonen lassen sich nicht vermeiden, aber generell wird akzeptiert, dass die Hebamme für die Physiologie zuständig ist und das ärztliche Team für die Pathologie. Dieser gegenseitige

 


Das »Team King‘s« mit Julia Solovieva (rechts) nach einem geglückten Kaiserschnitt mit anschließender Herz-OP.

Foto: © @King´s. The magazine für King´s College Hospital NHS Foundation Trust. Autum 2017

Respekt bildet sich auch in der Bezahlung der Hebammen ab. Es gibt kaum freiberufliche Hebammen, da fast alle im staatlichen Gesundheitssystem »National Health Service« (NHS) arbeiten und eingruppiert werden nach der staatlichen Gehaltstabelle »Agenda for Change«. Berufsanfänger:innen werden im ersten Jahr oft in Band 5 eingruppiert, steigen in der Regel dann aber in Band 6 auf, in der Hebammen je nach Berufserfahrung zwischen 41.000 und 50.000 Euro brutto verdienen. Hebammen im Kreißsaaldienst in Londoner Krankenhäusern verdienen durch die sogenannten »Higher Cost Area Supplements« zwischen 50.000 und 59.000 Euro. 
Schichtkoordinierende Hebammen oder die sogenannten »Specialist Midwives«, von denen es die verschiedensten Fachrichtungen gibt, kommen als »Band 7 Midwives« auf einen Jahresbruttoverdienst zwischen 60.000 und 68.000 Euro. 
Dazu kommen bei allen Hebammen Schichtzulagen für Nacht- und Wochenenddienste. Die außerklinischen, aber trotzdem vom Krankenhaus und letztlich dem NHS angestellten Hebammen arbeiten meistens in 7,5-Stunden-Schichten, während die Arbeit im Kreißsaal und den Stationen oft in 12,5-Stunden-Schichten abgedeckt wird. 

 

Ausgeprägte Fehlerkultur

 

Als sehr positiv habe ich nicht nur die Zusammenarbeit mit den ärztlichen Kolleg:innen erlebt, sondern auch die Integration der gesamten Hebammenarbeit. Das Hausgeburtsteam ist genauso vom NHS angestellt wie die Hebamme im Kreißsaal oder auf der Wochenbettstation. Eine Verlegung von Zuhause erfolgt daher in der Regel in den »eigenen« Kreißsaal, wobei die Hausgeburtshebamme dann je nach Kapazität die angefangene Hausgeburt auch im Krankenhaus weiterbetreuen kann. Es wird viel Wert auf Einverständnis gelegt. Die Hebammen und Ärzt:innen stellen sich in der Regel mit ihren Namen vor. In Deutschland habe ich leider sehr gegenteilige Erfahrungen gemacht.
Es gibt eine ausgeprägte Fehlerkultur: Sogenannte »Adverse Incidents« werden in ein Computersystem eingegeben, ausgewertet und Verbesserungsvorschläge gemacht. Durch die staatliche Organisation werden neue Erkenntnisse oder Programme relativ schnell von oben in das System geschleust: Mit Einführung eines Programms zur Reduzierung von intrauterinen Todesfällen wurden quasi über Nacht »Fetal Monitoring Specialist Midwives« eingestellt. Deren Aufgabe ist es, Fortbildungen zur Herztonüberwachung anzubieten und im Kreißsaal zum CTG eine Zweitmeinung anzubieten. Interessant in unserem britischen Krankenhaus waren auch die wöchentlichen, für alle in der Geburtshilfe Arbeitenden zugänglichen CTG-Besprechungen, in denen die Meinungen teilweise erheblich auseinandergingen. Davon ließ sich viel lernen. 
An Krankenhäusern mit großen Geburtsabteilungen gibt es trauerbegleitende Hebammen, die sogenannten »Bereavement Specialist Midwives«. Sie begleiten nicht nur die trauernden Eltern, sondern leisten auch viel administrative Arbeit für die Organisation MBRRACE. Deren Aufgabe ist es, alle maternalen Todesfälle und perinatalen Säuglingstode ab der 22. Schwangerschaftswoche zu erfassen und zu analysieren, um daraus Schlussfolgerungen und Empfehlungen zur besseren Versorgung abzuleiten. 
Weitere spezialisierte Hebammen haben diverse Portfolios, die beispielsweise HIV, Qualitätsmanagement, Hypertension oder Forschung beinhalten können. Ebenso gibt es an den großen Krankenhäusern Hebammen, die sich um die Studierenden kümmern oder verpflichtende Schulungen für das Hebammenteam durchführen. 

 

Bereichernder Perspektiv­wechsel

 

Einige Unterschiede zur Hebammenarbeit in Deutschland sind sicherlich durch die staatliche Organisation des Gesundheitssystems bedingt, andere haben eine kulturelle Komponente. Wie in vielen anderen Ländern leidet das britische System an einem akuten Hebammenmangel. Die WHO schätzt, dass 2030 etwa 300.000 Hebammen weltweit fehlen werden (WHO, 2024). Zudem zeigen sich die Folgen der Politik der konservativen Regierung, die bis Juli 2024 das Land regierte. In den 14 Jahren ihrer Macht wurden die Bedarfe des britischen Gesundheitssystems nicht mehr adäquat abgedeckt sowie Gehaltserhöhungen nur unter Inflationsniveau bewilligt. 
Mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wurden die Türen für europäische Hebammen zugeschlagen, die vorher oft aus Ländern wie Italien oder Spanien nach Großbritannien kamen, dort für ein paar Jahre arbeiteten und dann meist wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Ich erlebe es als bereichernd, einen Einblick in das deutsche System der Versorgung rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettbetreuung gewonnen zu haben und hoffe, dass die Studierenden, die bei mir in der Lehre sind, ebenfalls die eine oder andere Inspiration aus meiner Hebammenarbeit in Großbritannien mitnehmen.

 

Nachgefragt 

 

? Carolin Steinweger: Was hat Sie dazu bewogen, nach 30 Jahren nach Deutschland zu kommen? 

» Julia Solovieva: Ich habe die meiste Zeit meines Lebens im Ausland verbracht, insgesamt in fünf verschiedenen Ländern gewohnt und mich damit auch die meiste Zeit sehr wohl gefühlt. Trotzdem habe ich immer eine enge Verbindung nach Deutschland aufrechterhalten und auch seit meinem Hebammenstudium die Deutsche Hebammen Zeitschrift nach England abonniert. 
Letztlich war es eine Kombi­na­­tion aus dem Brexit, der mich in meiner Wahlheimat unglücklich gemacht hat, und der Corona- Pande­mie: Die geschlossenen Grenzen habe ich als sehr belastend erlebt. Ich erinnere mich an die Lähmung, die wir gespürt haben, als im Juni 2016 das Wahlergebnis feststand. Am 31. Januar 2020, als Großbritannien aus der EU austrat, habe ich die europäische Flagge in unser Fenster gehängt und Trost in anderen EU-Flaggen in der Nachbarschaft gefunden. Aber seit dem Brexit-Referen­dum war es auch plötzlich akzeptabel, fremdenfeindliche Äußerungen zu machen, und das hat man selbst in London gespürt. 

Können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder in England als ­Hebamme zu arbeiten?
Ja. Ich habe seit 2018 die britische Staatsbürgerschaft zusätzlich zur deutschen und bin auch weiterhin beim Nursing and Midwifery Council (NMC) im Hebammenregister, zahle jährlich dafür einen Beitrag von 150 Euro. Wenn man dort einmal abgemeldet ist, ist es schwierig beziehungsweise zeitaufwendig, wieder aufgenommen zu werden. Und so weiß ich, dass ich jederzeit wieder nach England zurückgehen kann, wenn ich das möchte. 
Im September war ich in meinem alten Krankenhaus im Kreißsaal zu Besuch und wurde von vielen gefragt, ob ich wieder zurückgekommen sei. Im Moment bin ich in Deutschland aber noch ganz glücklich und denke nicht über eine Rückkehr nach England nach. 

Wie bewerten Sie die Hebammenausbildung und -arbeit im direkten Vergleich beider Länder durch Ihre persönlichen Erfahrungen? 
Ich habe mein Hebammenstudium wirklich geliebt. Das ganze erste Jahr war ein einziger Traum – ich war so glücklich und begeistert. Natürlich hatte man auch mal Schichten, die nicht so schön waren, und klar ist das Studium anstrengend (wir haben unendlich viele Hausarbeiten mit seitenlangen Literaturverzeichnissen schreiben müssen), aber man wird eins zu eins angeleitet, in jeder Schicht. Mir ist es fremd, dass werdende Hebammen in Deutschland so früh schon alleine gelassen werden. Vielleicht könnte man sagen, dass sie so schneller eigenständig werden. Aber ich frage mich manchmal, wie sicher so ein System ist. Auf der Plus-Seite ist das absolute Privileg der werdenden Hebammen in Deutschland, dass sie im dualen Studium ein Gehalt etwa in der Höhe dessen bekommen, was die Hebammenstudierenden in Großbritannien an Studiengebühren zahlen müssen. 

 

Die Autorin

 

Carolin Steinweger ist studierte Literaturwissenschaftlerin und Volontärin in der Redaktion der DHZ. 

 

Rubrik: Ausgabe 02/2025

Vom: 27.01.2025