Eltern von Sternenkindern

Im achtsamen Gespräch

Wenn Eltern ein Kind verlieren, kann das auch für die betreuende Hebamme ein schwerer Schlag sein, der sie verunsichert oder überfordert. Um in dieser Situation einfühlsam, angemessen und individuell mit den Eltern kommunizieren zu können, brauchen Hebammen ein gutes Bewusstsein für ihre Sprache. Worauf sollten sie achten? Dr. Caroline Kranabetter
  • Wenn man während eines Gesprächs bemerkt, dass es sich unpassend entwickelt, kann es hilfreich sein, genau das anzusprechen.

Zu den Kernkompetenzen von Hebammen gehört es, die Bedürfnisse ihrer Klient:innen genau und schnell zu erfassen, um passende, unterstützende Angebote zu machen (Maurer, 2021). Hierbei gibt es Situationen, die besonders herausfordern, auch weil sie Hebammen mit ihren eigenen existenziellen Themen in Berührung bringen können: der Umgang mit Eltern von Sternenkindern, ihrer Trauer nach dem Tod ihres Kindes und ihren Ängsten während Folgeschwangerschaften (Offermann, 2021).

Wie können Hebammen zu einer gelingenden Kommunikation mit Sternenkindereltern beitragen? Welche Hindernisse gibt es? Und was ermöglicht eine professionelle Begegnung auf Augenhöhe, ein Aneinanderkoppeln, bei dem die Perspektive des Gegenübers ebenso relevant ist wie die eigene fachliche? Anhand von Praxisbeispielen, Modellen sowie konkreten Formulierungen versuche soll dieser Artikel Antworten anregen.

»Ich stand kurz vor der Geburt unseres Kindes und mich trieben viele Gedanken um, was dem Kind geschehen könnte, da ich in der Vergangenheit bereits vier Kinder in der Schwangerschaft verloren hatte. Die Hebamme meinte schließlich, ich solle mir keinen Kopf machen. Ich musste weinen, da ich mich gar nicht ernst genommen fühlte und den Ratschlag auch nicht befolgen konnte, da ich die Gedanken nun mal hatte.«

In Gesprächen begegnen sich zwei Personen in ihren jeweiligen Wirklichkeiten (Schmid, 1994). Ganz automatisch ergeben sich durch die eigene Biografie oder den Arbeitsalltag Einladungen für bestimmte Wirklichkeiten, also Perspektiven, die im Moment so dominierend sind, dass sie wie die einzig mögliche Realität erscheinen. Die Schwangere im obigen Beispiel hat ihre eigene Geschichte vor Augen und dass in jedem Einzelfall etwas passieren kann, sie fühlt den Schmerz um den Verlust ihrer Kinder und die Angst, ein weiteres Kind zu verlieren. Die Hebamme denkt an die allgemeinen Statistiken, die vielen gesunden Babys, mit denen sie tagtäglich zu tun hat, und spürt vielleicht auch eine Hilflosigkeit und Abwehr gegenüber den Ängsten der Schwangeren. Bleibt jede Person in der eigenen Wirklichkeit, unterscheiden sich die Wirklichkeiten, auf die sie Bezug nehmen, und Lösungsangebote passen nicht. Im Beispiel fühlt sich die Schwangere nicht gehört mit dem, was für sie wesentlich ist, und statt eine stimmige Lösung gefunden zu haben, empfindet sie noch größere Verzweiflung.

In einem weiteren Beispiel wird einer Mutter mehrfach angeraten, während einer stillen Geburt Schmerzmittel zu nehmen.

»Was weiß das Krankenhauspersonal denn über meine Erfahrungen und Fertigkeiten unter einer Geburt. Ich habe ein Kind in der 40. Schwangerschaftswoche ohne Schmerzmittel entbunden und ich möchte auch diese Geburt selbst gestalten. Mir bleibt noch, die Geburt mit unserem Kind bewusst zu erleben und das lasse ich mir nicht nehmen.«

Auch hier ist für die Sternenkindmutter die angebotene Lösung nicht stimmig. Um die Aneinanderkopplung zu ermöglichen, ist es sinnvoll, einen Blick auf die unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen zu werfen, auf denen Menschen sich finden oder verpassen können.

 

Wirklichkeitsebenen erkunden

 

Meist bleiben die ersten drei Ebenen unausgesprochen und Kommunikation findet auf der vierten Ebene statt. Auf dieser letzten Ebene der Lösung wird wie in diesem Beispiel offensichtlich, dass die vorgeschlagenen Lösungen aus der einen Wirklichkeit nicht passend für die andere Wirklichkeit sind. Wie kann also Kommunikation so verlaufen, dass die Wirklichkeit des Gegenübers erkundet wird, eine Aneinanderkopplung geschieht und die Lösungsfindung gelingt? Ein Beispiel zeigt, welche Fragen dafür hilfreich sein können.

Das folgende Beispiel illustriert die Wirklichkeiten von einer Sternenkindmutter und einer Hebamme im Gespräch:

»Beim Erstkontakt startete die Hebamme direkt mit dem Ausfüllen von Dokumenten und dem Abfragen der Krankengeschichte, ohne zu fragen, wie es uns gerade geht. Für mich war das besonders unglücklich, da ich zum ersten Mal wieder an diesem Ort war, nachdem hier bei unserem Sohn in einer vorherigen Schwangerschaft keine Herztöne mehr festgestellt werden konnten. Auch fand ich das Wiederholen meiner Geschichte in medizinischer Sprache verstörend (Ersetzen des Namens unseres Kindes durch »Spätabort«). Das Durchgehen meiner Geschichte ist eine Reise durch meine Trauer und die Hebamme hat das nicht einmal bemerkt.«

Neben dem Erkunden der Wirklichkeitsebenen gibt es noch weitere Ideen, die ein Aneinanderkoppeln unterstützen können: bewusste Sprache, das Einholen von Feedback und das »Markieren« von Vorschlägen.

 

Bewusste Sprache nutzen

 

Bei der Formulierung von Fragen und Lösungsideen kann eine bewusste Sprache helfen, die sich anhand von den drei Säulen Präsenz, Eindeutigkeit und Wohlwollen auszeichnet (von Scheurl-Defersdorf, 2018). Präsenz beim Sprechen bedeutet, mit aller Aufmerksamkeit im Moment zu sein und sich der Verantwortung durch das Gesagte bewusst zu sein. Zur Eindeutigkeit gehören kurze Sätze, die klar und widerspruchsfrei ihren Inhalt vermitteln. Unter Wohlwollen verstehen wir eine wertschätzende Grundhaltung, die jede Manipulation ausschließt. Für das Beispiel zu Anfang des Artikels »Mach dir keinen Kopf« könnte entsprechend eine Formulierung von Lösungen und Verantwortlichkeiten sein:

»Ich wünsche dir, dass du mehr Vertrauen findest und deine Ängste gut versorgen kannst.« oder »Ich merke, dass ich gerade überfordert bin mit den Themen, die bei dir präsent sind, weil das einiges bei mir auslöst.«

Bewusste Sprache auf Seiten der Sender:innen ermöglicht Transparenz über die Wirklichkeit, aus der gesprochen wird, und ist gleichzeitig ein Beziehungsangebot für das Gegenüber. Neben den Sender:innen spricht die Kommunikationswissenschaft von den Empfänger:innen (Schulz von Thun, 2013). Nur der oder die Empfänger:in bestimmt die Bedeutung und Wirkung von Botschaften, nicht die Sender:innen (Schmidt, 2020). Um in der Arbeit als Hebamme die Wirkung der eigenen Worte beim Gegenüber zu erfahren, ist es ratsam, sich zu erkundigen. Gelingende Kommunikation setzt also voraus, sich Feedback von der Person einzuholen, der etwas in der Kommunikation angeboten wird.

  • »Wie geht es dir damit, dass ich dir dieses Angebot mache?«
  • »Wie ist das für dich, wenn ich dir mehr Vertrauen in die Situation wünsche?«
  • »Was kannst du mit meinen Worten anfangen?«
  • »Lass uns innehalten und schauen, wie das Gespräch bisher für dich war. Wie ist es für dich gerade?«

Eigene Gedanken und Vorschläge klar zu »markieren« hilft dem Gegenüber, selbst zu entscheiden, was in der eigenen Wirklichkeit anschlussfähig ist. Es mag etwas umständlich anmuten, macht aber den Unterschied, wie nah etwas – vielleicht nicht Passendes – beim Gegenüber landet und wie leicht sich das Gegenüber dann auch davon lossagen und den eigenen Weg finden kann. Beispiel:

»Ich höre, dass dich sehr beschäftigt, wo dein Kind nun ist. Darf ich dir eine Perspektive auf das Thema der Vergänglichkeit anbieten?... Wohin geht die Seifenblase, wenn sie platzt? … Was kannst du mit diesem Bild anfangen? Schau gern mal für dich, ob das ein Bild für dich ist, sonst lass es wieder los.‹«

Auf diese Weise bleibt Raum, um die Botschaft zu prüfen und für stimmig oder unpassend zu befinden. Damit wird vermieden, dass »Wirklichkeiten« an Stellen landen, an die sie nicht gehören. Es wird Raum geschaffen für das Entwickeln der eigenen Geschichte. Professionelle Beratung im psychologischen Sinne bedeutet, anders als das Wort vermuten lässt, sich in den Dienst des Gegenübers zu stellen. Das kann bedeuten, eigene Lösungsansätze und Ideen loszulassen und sich vom Feedback des Gegenübers leiten zu lassen. All diese Gesprächstechniken können jederzeit angewendet werden, sind aber besonders hilfreich in sensiblen Gesprächssituationen wie in denen mit Eltern von Sternenkindern.

 

Umgang mit Hindernissen

 

Was tun, wenn einen als Hebamme die eigenen Gefühle einholen? Und was, wenn das Gespräch feststeckt? Hierzu gebe ich Anregungen, die helfen sollen, diese Hindernisse zu überwinden und eine professionelle Begegnung auf Augenhöhe zu schaffen.  

Präsenz statt (fachliche) Distanzierung

Im Spannungsfeld von trauernden Eltern und gefühlter Hilflosigkeit bei den Hebammen ist eine mögliche Reaktion, dass letztere sich distanzieren, beispielsweise durch sachliche, mit Fachtermini gespickte Sprache. Selbst sehr berührt oder in einem Gefühl der Überforderung ist dies ein nachvollziehbarer Schritt, um Abstand zwischen sich und die eigenen Emotionen in der Situation zu bringen. Aus der Wirklichkeit der Fachexpertise fallen dann auf emotionale Schilderungen der Betroffenen Sätze, die Fakten vermitteln, also beispielsweise Statistiken nennen, die eine andere Ebene adressieren als die, auf der das Gegenüber sich derzeit befindet. Eine weitere Reaktion kann auch sein, die Hilflosigkeit in Wut zu übersetzen.

Gut für sich selbst sorgen

Hier kann die Stärkung von Achtsamkeit und Selbstmitgefühl helfen (Neff, 2012). Erste Schritte können so oder ähnlich aussehen:

  • Reflektieren, welche Situationen mich besonders aufwühlen und was sie ausmacht.
  • In diesen Situationen Achtsamkeit aktivieren, was gerade in mir geschieht: Wo spüre ich was in meinem Körper? Welche Gedanken regen sich? Die Antworten betrachten, ohne zu bewerten.
  • Was brauchen diese Regungen? Ich versorge mich selbst einfühlsam. Mein wild klopfendes Herz bekommt eine warme, beruhigende und schützende Hand aufgelegt und ein paar wohltuende ruhige Worte.
  • Über die Zeit hilft dann schon der Gedanke an beispielsweise eine warme Hand auf dem Herzen, um in den Situationen selbst in Balance bleiben zu können und damit auch einfühlsam für das Gegenüber da sein zu können. Und es wird auch immer wieder Erlebnisse geben, da braucht es zwischendurch eine größere Portion Selbstmitgefühl.

Reflexion des eigenen professionellen Selbstverständnisses

Sich darüber Klarheit zu verschaffen – und zu kommunizieren, was ich als meine Aufgabe ansehe und was nicht, kann Druck abbauen.

  • Welches Bild habe ich von mir in meiner Profession?
  • Was kann ich geben – fachlich und menschlich?
  • Wo liegen meine Grenzen – fachlich und menschlich?
  • Wie kann ich damit meinen Frieden finden?
  • Wie kann ich das meinem Gegenüber einfühlsam vermitteln?

Metakommunikation als Ausweg, wenn das Gespräch »feststeckt«

Wenn wir während eines Gesprächs bemerken, dass es sich unpassend entwickelt, kann es hilfreich sein, genau das anzusprechen. Der Fachbegriff dafür ist Metakommunikation, also die Kommunikation über die Kommunikation (von Thun, 2013). Damit wird das Gespräch auf eine höhere Ebene der Betrachtung gebracht, um auf diese Weise den Kommunikationsprozess zu reflektieren. Mit Metakommunikation kann Unterschiedliches erreicht werden:

  • Gewinnen von Zeit, um selbst zu spüren und zu formulieren, was gerade im Gespräch für einen selbst nicht stimmt.
  • Das Gegenüber bekommt die Chance zu erfahren, wie es einem im Gespräch gerade ergeht und kann entsprechend reagieren.
  • Vom Gegenüber Zugeschriebenes kann auf der Metaebene einen passenden Platz zugewiesen bekommen, statt mit nach Hause genommen zu werden.

Es mag sich mitunter so anfühlen, als wäre das Benennen von Hilflosigkeit oder Betroffenheit schwierig im Umgang mit Eltern, die vermeintlich nach Stärke und Halt suchen. Stark sein kann hier aber vor allem sein, sich auch verletzlich zu zeigen, mit dieser Verletzlichkeit achtsam als Vorbild umzugehen und dabei eine stärkere Verbindung zum Gegenüber aufzubauen, so dass die weiteren Schritte gemeinsam auf Augenhöhe gestaltet werden können.

»Ich bin gerade persönlich betroffen und berührt von dem, was ich sehe.« – Eine Fachärztin hat Schwierigkeiten ein tot geborenes Kind anzusehen.

»Ich fühle mich gerade etwas hilflos, da ich Ihnen gerne gut beistehen möchte und den Eindruck habe, Sie hätten sich etwas anderes erwartet.« – Ein Arzt des Kinderwunschzentrums zu den nachdenklich schweigenden Eltern nach einer Aufklärung über mögliche Diagnostik nach wiederholt unglücklich endenden Schwangerschaften.

 

In der Angst begegnen

 

Allgemein öffnen regelmäßige Check-In-Fragen einen Raum, negative Empfindungen oder Unverständnis anzusprechen »Wie geht es Ihnen jetzt?« oder »Wie ist das für Sie?«, beispielsweise nach dem Verkünden von Diagnosen oder dem geplanten Vorgehen. Häufig wird das Schweigen durch Annahmen gefüllt. »Ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt sehr traurig sind« zu sagen, lässt den Betroffenen weniger Raum für das Ausdrücken ihrer momentanen Gefühlslage als eine offener gestellte Frage.

Von Hebammen wird in diesen Situationen etwas abverlangt, was gesellschaftlich oft anders gelebt wird: Dem Gegenüber in der Angst zu begegnen, statt sie weg oder klein zu reden. Was braucht es denn für Worte, um beizustehen und zu helfen? Nicht viele. Hören wir noch einmal einer Sternenkindermutter zu:

»Nachdem vier unserer Kinder in der Schwangerschaft verstarben, war ich in der zehnten Schwangerschaftswoche bei meiner Gynäkologin zum Routine­ultraschall. Ich war so erfüllt mit Angst, dieses Kind auch wieder zu verlieren, dass mich die Bewegungen und der Herzschlag des Kindes nicht freudig stimmten, sondern der Gedanke am lautesten war: ›Auch das wird wieder vorbeigehen‹. Weinend sagte ich meiner Ärztin, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen könne, dass diese Schwangerschaft gut ausgehen könnte. Auf die Frage, was helfen könnte, fiel mir, immer noch weinend, keine Antwort ein und so bekam ich schnell die Empfehlung für Psychopharmaka oder eine Einweisung in die Psychiatrie. Ungefragt, dass ich normal aß, schlief, meinen Rollen bei der Arbeit und als Mutter eines kleinen Kindes gut nachkommen konnte. Gutgetan hätten mir Worte, die mir sagen, dass diese Schwangerschaft nach dem, was ich erlebt habe, sich selbstverständlich anders anfühlt als die vorherigen, dass das vielleicht gar nicht anders sein kann. Dass es traurig ist, dass da nun mehr Angst als Freude ist und das wohl auch noch eine Zeitlang so bleiben wird.«

Umfrage

 

Sternenkinder: Was ich gerne fragen würde …

 

Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie Eltern eines Sternenkindes begleiteten? Und nicht so recht wussten, was Sie sagen sollten? Und dann nicht genau wussten, wie das, was Sie sagten und taten, tatsächlich aufgenommen wurde?

Ich möchte Fachpersonal in Wort und Tat stärken für den Umgang mit Eltern von Sternenkindern. Wenn es um den Tod geht, entsteht oft große Unsicherheit, was gesagt werden darf, wie begleitet werden kann. Hier soll ein Podcast die wesentlichen Fragen vom betreuenden Fachpersonal aufgreifen und Antworten erkunden, zusammen mit betroffenen Eltern sowie Expert:innen für Krisen, Trauer und Kommunikation.

Die Umfrage dauert etwa fünf Minuten. Über diesen Link öffnet sich die Umfrage > https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSeUp49LocbFY1Xh0Qfr1i8xcNbQWShyXHU_few4MvBcA8m05A/viewform?vc=0&c=0&w=1&flr=0

Fragen beantwortet Dr. Caroline Kranabetter via info@carolinekranabetter.com.

 

Rubrik: Ausgabe 12/2022

Vom: 30.11.2022