Maternaler Schlaf in der Schwangerschaft

Schlecht geschlafen?

Dass viele Schwangere nicht gut schlafen können, erscheint allgegenwärtig und unumgänglich. Die Ursachen und Folgen sind jedoch weitgehend unerforscht. Dabei können Schlafmangel und schlechte Schlafqualität relevante Auswirkungen auf die Gesundheit von Mutter und Kind haben. Antonia Lottersberger

Jeder Mensch schläft, regelmäßig und ein Leben lang, wahrscheinlich sogar ab dem Zeitpunkt der Konzeption (Hobson, 2005). Schlaf liegt keine körperliche Passivität zugrunde, wie lange angenommen, sondern findet aktiv statt (Katschnig, 2004). Er macht ein Drittel eines jeden Lebens aus (Quan, 2007).

Trotzdem ist der maternale und fetale Schlaf in der Schwangerschaft relativ unerforscht (Hobson, 2005). Es fehlen vor allem die Zusammenhänge. Existierende Studien beziehen sich auf die einzelnen Schlafparameter wie die nächtliche Atmung oder Hormonausschüttung. Jedoch mangelt es an Vernetzungen dieser Parameter und am eindeutigen Bezug zu Mutter und Kind während der Schwangerschaft.

Im Zuge einer Bachelorarbeit zum Thema »Maternales Schlafverhalten in der Schwangerschaft und dessen Auswirkungen auf Mutter und Kind« fand eine systematische Literaturrecherche mit anschließender Analyse nach definierten Ein- und Ausschlusskriterien statt. 31 Publikationen wurden inkludiert und mithilfe des Literaturanalysesystems qualitativ überprüft (Stahl, 2008).

Ziel der Arbeit war es, die essenzielle Bedeutung von Schlaf abzubilden und festzustellen, ob das maternale Schlafverhalten in der Schwangerschaft Einfluss auf Mutter und Kind hat. Außerdem galt es, diesen Einfluss zu definieren und seine Auswirkungen, Relevanz und Bedeutung darzulegen. Die daraus geborene Forschungsfrage lautet: Inwiefern beeinflusst das maternale Schlafverhalten Mutter und Kind in der Schwangerschaft und ergeben sich daraus relevante Auswirkungen für die maternale und fetale Gesundheit?

 

Bezug zur Hebammenarbeit

 

Hebammen sind häufig mit dem Thema konfrontiert, wenn Schwangere von Schlafschwierigkeiten oder Schlafmangel berichten und Rat suchen. Erwiesenermaßen haben insbesondere anhaltende Schlafdefizite eine ganze Reihe gesundheitsschädlicher Folgen. Umgekehrt wirkt sich ausreichend Schlaf protektiv auf die Erhaltung der Gesundheit aus (Neligan, 2018). Da die beratenden Aufgaben der Hebamme vorrangig im Bereich der Gesundheitsförderung liegen, müssen Hebammen ausreichend informiert sein (Zsamboky, 2017).

 

Schlafentzug hat schwere Folgen

 

Schlaf ist überlebensnotwendig. Als Pionier der Schlafforschung führte Allan Rechtschaffen mit seinem Team Ende der 1980er Jahre in den USA ein Experiment mit Rattenpaaren durch. Jedes Paar bestand aus einem Versuchs- und einem Kontrolltier. Der Versuchsratte entzogen die Forscher:innen beinahe den gesamten Schlaf. Diese Ratten wiesen aufgrund des Schlafentzugs diverse pathologische Symptome auf. Die Haut der Tiere blieb nicht intakt und sie suchten unter Stress nach den wärmsten Stellen ihres Käfigs, da sie ihre Körpertemperatur nicht mehr regulieren konnten.

Die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur ist jedoch essenziell für die physiologische Funktion des Gehirns. Außerdem verloren die Versuchstiere an Gewicht und konnten dem trotz kontinuierlicher Nahrungsaufnahme nicht entgegenwirken.

Nach drei bis vier Wochen starben die ersten Ratten an den Folgen des Schlafentzugs. Vor allem die Unfähigkeit, Infektionen mit ansonsten ungefährlichen Pathogenen abzuwehren, führte schlussendlich zum Tod der Ratten. Die Kontrollratten mit physiologischem Schlafverhalten waren am Ende des Experiments genauso gesund wie zu Beginn. Dies verdeutlicht den überlebensnotwendigen Charakter von Schlaf (Rechtschaffen & Bergmann, 2002).

 

Drastische Zahlen – damals wie heute

 

 

 

 

Abbildung 1: Während der Schwangerschaft sind bei Frauen nächtliches Schnarchen, Apnoen und das Restless-Legs-Syndrom häufiger als zuvor (Paine et al., 2020).

 

Laut der US-amerikanischen National Sleep Foundation gaben in einer Umfrage 78 % aller befragten Frauen an, während der Schwangerschaft mehr gestörten Schlaf zu erleben als zu jedem anderen Zeitpunkt ihres Lebens (1998, zitiert in Won, 2015). Das deckt sich mit einer Studie von Sarah-Jane Paine und Kolleg:innen, bei der 79 % der beteiligten Frauen erwähnten, eine schlechte Schlafqualität zu haben (Paine et al., 2020).

Diese Ergebnisse zeigen, dass in über 20 Jahren zum Thema Schlaf in der Schwangerschaft kein Fortschritt stattgefunden hat und großer Forschungsbedarf besteht.

Die Studie von Sarah-Jane Paine zeigt einen Unterschied im Schlafverhalten von schwangeren- und nicht schwangeren Frauen auf. Im Detail aufgeschlüsselt und in Abbildung 1 erkennbar, ließ sich bei 6,6 % der befragten Frauen vor der Schwangerschaft häufiges Schnarchen feststellen. In der Schwangerschaft berichteten im Gegensatz dazu 22 % der Frauen von häufigem Schnarchen. Des Weiteren lag die Wahrscheinlichkeit von Apnoen vor der Schwangerschaft bei 1,4 % und während der Schwangerschaft bei 4 %.

Unwillkürliche Kontraktionen der Beinmuskulatur (Restless-Leg-Syndrom) wurden ebenfalls analysiert und konnten vor der Schwangerschaft bei 7,6 % der Frauen beobachtet werden, während der Schwangerschaft aber bei 12 % der Teilnehmerinnen(Paine et al., 2020).

2015 haben Michele L. Okun und Team mithilfe einer Studie erforscht, dass 13 % aller Frauen ab der zwölften Schwangerschaftswoche erstmals in ihrem Leben Insomnie erfahren (Okun, Buysse, & Hall, 2015). Außerdem wurde in dieser Studie hervorgehoben, dass es auf keinen Fall als »normal« anerkannt werden sollte, einen gestörten Schlaf während der Schwangerschaft zu haben (Okun, Buysse, & Hall, 2015). Erwiesenermaßen ist die Prävalenz von Schlafsymptomen, vor allem in der Spätschwangerschaft, weit größer als vor einer Schwangerschaft (Paine et al., 2020).

Frauen geben generell deutlich schlechteren Schlaf an als Männer. Dies kann auf die intensiveren hormonellen Schwankungen im Leben einer Frau zurückgeführt werden, wie Menstruationszyklus, Schwangerschaft und Menopause (Hirshkowitz et al., 2015). Demnach finden zentralnervöse, vegetative und endokrinologische Wechselwirkungen statt, die auf den Schlaf einwirken und selbst durch den Schlaf beeinflusst werden (Katschnig, 2004).

 

Einflussfaktoren: Hormone, Gewicht, Atembeschwerden

 

 

 

 

Abbildung 2: Das »Nachthimmel- Diagramm« zeigt die vernetzten Schlafparameter.
Abbildung: © Lottersberger, 2022

 

Die Komplexität und die verschiedenen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Schlaf-Komponenten zeigen sich in Abbildung 2. Die im Folgenden dargestellten Parameter sind mit dem maternalen Schlaf in der Schwangerschaft verbundenen.

Da Progesteron schlaffördernd ist, treten durch den erhöhten Progesteronspiegel während der Schwangerschaft mehr Tagesschlafepisoden auf. Nun könnte angenommen werden, dass Schwangere besser und mehr schlafen (Lancel et al., 1996). Jedoch ist dies für viele Frauen nicht so. Vermehrter Tagesschlaf, der länger als 100 Minuten dauert, zeugt von einer schlechten nächtlichen Schlafqualität (Ohayon et al., 2017). Vermehrter Tagesschlaf konnte außerdem mit einer erhöhten IUFT-Wahrscheinlichkeit in Verbindung gebracht werden. In diesem Zusammenhang werden Schlafpositionen erwähnt, die für Schwangere suboptimal sind, wie die Rückenlage oder rechte Seitenlage (Stacey et al., 2011). Hierbei werden die Uterusdurchblutung und somit die fetale Versorgung beeinträchtigt (CARBONNE et al., 1996).

Ein weiterer Aspekt des Progesterons ist seine respiratorisch stimulierende Wirkung und Unterstützung der Lungenventilation. Durch Progesteron-Ausschüttung werden Atemprobleme auch während des Schlafes vorgebeugt. Kontrovers dazu haben Schwangere generell mehr Atembeschwerden durch die Veränderung der oberen Atemwege. Dies liegt einem vermehrten Aufkommen von Schleimhautödemen zugrunde, was die Durchgängigkeit der Atemwege einschränkt. Hier kann der Bogen erneut zur maternalen Rückenlage gespannt werden, da sich diese Atembeschwerden dadurch verstärken (Bourjeily et al., 2013).

Ebenfalls besteht eine positive Korrelation zwischen erhöhtem BMI sowie GDM und nächtlichen Atembeschwerden. Atemwege und Atemvorgänge werden durch erhöhte Gewichtszunahme negativ beeinflusst. Zweifellos hat diese Verbindung eine Relevanz, da immer mehr Menschen Adipositas entwickeln. Adipositas und GDM rufen gesundheitliche Probleme für die maternale und fetale Gesundheit hervor (Bourjeily et al., 2013).

Außerdem werden schwangerschaftsinduzierte Hypertonie und Präeklampsie negativ durch Atembeschwerden in der Schwangerschaft beeinflusst. Der zugrunde liegende Mechanismus ist noch unklar. Es könnten die erhöhten Entzündungsparameter bei schlechtem oder zu kurzem Schlaf eine Rolle spielen (Bourjeily et al., 2013).

Immunologisch kann interpretiert werden, dass sich Schlaf auf die Ausschüttung von Wachstumshormonen auswirkt. Die Sekretion jener Hormone findet nachts statt und wird durch gestörten Schlaf aus dem Gleichgewicht gebracht. Jedoch sind Wachstumshormone essenziell für die Zellregeneration und die Leistung der Gedächtniszellen der Immunabwehr (Redwine et al., 2000).

Dadurch kann geschlussfolgert werden, dass schlechter Schlaf das Zellwachstum und somit auch die Entwicklung des Fötus negativ beeinflusst. Obwohl keine signifikanten Aussagen getroffen werden konnten, ob zwischen IUGR und maternalem Schlafmangel ein Zusammenhang besteht, kann eine Korrelation zwischen schlechtem Schlaf, aus dem Gleichgewicht gebrachter Wachstumshormonsekretion und fetaler Wachstumsretardierung diskutiert werden.

 

Auswirkungen auf die Geburt

 

Der maternale Körper ist durch Schlafmangel schlechter gegen Infektionen geschützt, was Frühgeburtsbestrebungen begünstigt (Okun & Coussons-Read, 2007). In der klinischen Praxis werden Frühgeburten oft mit einer bestehenden Infektion und erhöhten Infektionsparametern in Verbindung gebracht. Diese Werte erhöhen sich durch schlechten Schlaf, weshalb guter Schlaf ein relevanter Einflussfaktor ist, um Frühgeburten entgegenzuwirken (Chang et al., 2010).

In einer groß angelegten Studie konnten Jennifer N. Felder und ihr Team schlechten Schlaf und Atembeschwerden ebenfalls mit Frühgeburtlichkeit in Verbindung bringen (Felder et al., 2017). Dies wirft nun die Frage auf, ob allein die Schlafstörungen Frühgeburtsbestrebungen fördern oder das – durch den schlechten Schlaf ausgelöste – Infektionsgeschehen ein Grund dafür ist.

Darüber hinaus nimmt schlechter Schlaf Einfluss auf die Geburtsdauer und die Art der Geburtsbeendigung. Denn ausgeschlafen sind körperliche Reserven, Ausdauer und psychische Verfassung besser erhalten. Bei Schlafmangel und schlechter Schlafqualität sind Frauen erschöpfter, wodurch der Geburtsverlauf verzögert und erschwert werden kann. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang eine höhere Wahrscheinlichkeit für vaginal operative Entbindungen oder Sectios sowie Notsectios beschrieben (Lee & Gay, 2004).

 

Für die Praxis

 

  • Vermehrte Auseinandersetzung mit dem Thema Schlaf in der Schwangerschaft
  • Inklusion von Schlafparametern und Symptomen in die Anamnese
  • Förderung von Schlafforschung und Adaptation von Forschungstools für Schwangere (inklusive der psychischen und psychosozialen Aspekte des gestörten Schlafes)
  • Verabschiedung des Gedankens, dass es »normal« sei, in der Schwangerschaft schlecht zu schlafen
  • Hellhörigkeit bei Schlafsymptomen, die den Alltag, das Wohlbefinden und die Gesundheit einschränkend.

 

Melatoninmangel in der fetalen Entwicklung

 

Zum Schluss kann der Einfluss des Schlafhormons Melatonin auf die fetale neuronale Entwicklung bei IUGR-Föten hervorgehoben werden. Zu diesem Thema wurden jedoch ausschließlich Tierversuchsstudien durchgeführt. Dabei konnten signifikante Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen mit maternaler Melatoningabe während der Schwangerschaft und den Kontrollgruppen ohne zusätzliche Melatoningabe erwiesen werden. Aus diesen Studien ist deutlich erkennbar, dass die Tiere ohne Melatoningabe motorisch und zerebral erkennbare Defizite aufwiesen. Somit wird einmal mehr die Notwendigkeit von ausreichend gutem Schlaf verdeutlicht (Miller et al., 2014).

 

Ausblick und weitere Forschungsfragen

 

Schlaf hat also weitreichenden Einfluss auf die unterschiedlichsten Aspekte der Schwangerschaft. Frauen wird angeraten, ein positives Schlaferleben während der Schwangerschaft aufrechtzuerhalten, um negative gesundheitliche Auswirkungen zu vermeiden. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass dies für Schwangere oft ein Problem darstellt.

Somit ergibt sich ein Paradox: Frauen sollten ein gesundes Schlafverhalten während der Schwangerschaft haben, jedoch wird dieses durch physiologische und teils pathologische Symptome gestört.

Genau aus diesem Grund sollte maternaler Schlaf in der Schwangerschaft mehr Gewicht in Forschung und Praxis erhalten. Die existierenden Fragebögen und Tools zur Erforschung von Schlaf sind nicht auf Schwangere und ihre Bedürfnisse angepasst. Um eine fundierte Basis zu schaffen, wäre diese Adaptation wichtig. Zusätzlich wäre es essenziell herauszufinden, wie Schlaf in der Schwangerschaft positiv unterstützt werden könnte, um Handlungsstrategien und Richtlinien für die Praxis zu entwickeln. Solange das maternale Schlafverhalten nicht routiniert in der Schwangerschaftsanamnese aufscheint, können keine Verbesserungen und alltagstauglichen Strategien entwickelt werden. Dies ist nötig, um die Reichweite und Einflussgröße von maternalem Schlaf in der Schwangerschaft zu belegen und zu verbessern.

Rubrik: Ausgabe 03/2023

Vom: 22.02.2023