Alarmsignal Mekonium?

  • Katja Baumgarten, Hebamme, Filmemacherin und Redakteurin der DHZ: »Längst ist es überfällig, dass die über Jahrhunderte bekannte differenzierte Beurteilung des Mekoniums bei BEL durch die Forschung überprüft wird.«

  • Fragt man Geburtshelfer:innen, die mit vaginalen Beckenendlagen-Geburten vertraut sind, hört man, der Abgang von Mekonium sei dabei ein Normalbefund – anders als bei Schädellagen. Es komme nur darauf an, dass die Herzfrequenz des Kindes unauffällig bleibe. Nicht so beim Prozess gegen eine Ärztin und Hebamme am Landgericht Dortmund, den ich von 2012 bis 2014 vor Ort mitverfolgte. Sie wurde nach der tragisch verlaufenen Geburt eines Mädchens aus BEL wegen Totschlags zu 6 Jahren und 9 Monaten Gefängnisstrafe verurteilt.

    Im Sommer 2008 war ein Elternpaar zu der Geburtshelferin gereist, um einen primären Kaiserschnitt bei BEL zu vermeiden, für den es an ihrem Wohnort keine Alternative gab. Die außerklinische Geburt begann mit einem fraglichen Blasensprung gegen 4 Uhr, leichteres Ziehen folgte am Vormittag und kräftigere Wehen gegen 15 Uhr. Gegen 16 Uhr und 18.22 Uhr war bei tief sitzendem Steiß zweimal Mekonium abgegangen, die Geburtshelferin hatte dabei normfrequente Herztöne dokumentiert. Kurz vor der Geburt fielen die Herztöne ab. Das kleine Mädchen wurde nach zügiger Entwicklung mit Manualhilfe um 22.14 Uhr leblos geboren und konnte nicht reanimiert werden. »Wenn es unter der Geburt zum Abgang von Mekonium kommt, dann ist das ein Alarmsignal«, bewertete der Gutachter den Befund, eine für die BEL-Geburt anerkannte Kapazität: »Der Mekoniumabgang ist in der Regel Ausdruck von Übersäuerung«, und ergänzte auf Nachfrage zur speziellen Situation bei BEL: »Ich selbst glaube nicht, dass Mekonium kompressionsbedingt abgeht – ich kann mir das nicht vorstellen.«

    Sein Urteil »Totschlag mit bedingtem Vorsatz« baute das Richterteam im Wesentlichen auf dem Mekoniumabgang auf. Die Geburtshelferin habe gewusst, dass das Kind in höchster Lebensgefahr gewesen sei und habe die Betreuung aufgrund ihrer Ideologie fortgesetzt. Um ihre Reputation durch eine Verlegung nicht zu gefährden, habe sie den Tod des Kindes »billigend in Kauf genommen«.

    In seiner Literaturrecherche zu Mekonium bei BEL hat Prof. Dr. Klaus Vetter zahlreiche aussagekräftige Zitate aus historischen Lehrbüchern zusammen­gestellt (Seite 42ff.). Mekoniumabgang wird dort nicht als Hinweis auf eine Gefährdung des Ungeborenen gewertet. Ein zitierter Autor sieht darin in der Eröffnungsperiode sogar eine Entsprechung zur Geburtsgeschwulst bei Schädellage. Seit dem 2. Weltkrieg werde Mekoniumabgang in Lehrbüchern kaum noch differenziert beschrieben. Der Kaiserschnitt hat das Wissen um die BEL zunehmend abgelöst. Längst ist es überfällig, dass die früher bekannte Beurteilung des Mekoniums bei BEL durch die Forschung überprüft wird. Es ist zu hoffen, dass mit der Renaissance des geburtshilflichen Handwerkszeugs Eltern wohnortnah auf kompetente Geburtshelfer:innen zur Betreuung ihrer vaginalen BEL-Geburt treffen.

    Die damals verurteilte Geburtshelferin wurde Mitte Juni aus dem Gefängnis entlassen. Das Dortmunder Urteil bleibt relevant und wird regelmäßig zitiert.