Anabol denken

  • Seit Dekaden gehört es zu den festen Aufgaben der Hebammen, nach Gestosezeichen bei Schwangeren zu suchen: Blutdruck messen, Urin stixen, Ödeme ertasten. Nun gibt es erste Bluttests für eine frühe und präzisere Diagnose der Prä­eklampsie (PE), die bei jeder 20. Schwangeren auftritt. Weltweit suchen ForscherInnen unter Hunderten von Proteinen und anderen Stoffen im Blut noch genauere Indikatoren für ein neues Screening. Dazu muss die Genese dieser noch immer rätselhaften Erkrankung verstanden werden, die eventuell auf einer Stoffwechselstörung beruht oder zumindest meist damit zusammenhängt. Das ermöglicht dann bessere Therapien.

    Der 15. Deutsche Gestose-Kongress der Arbeitsgemeinschaft Schwangerschaftshochdruck und Gestose der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in Berlin gab im Juni spannende Einblicke in vielen Theorien. Bedauerlich war: Es scheint keine Hebamme an der Prä­eklampsieforschung beteiligt zu sein, wie auch eine Anfrage bei Hebammendozentinnen ergab. Das liegt wohl auch an unserem geringen Wissen über biochemische Abläufe im menschlichen Körper. Die Biochemie ist hochkomplex, aber nach ersten Hürden fesselnd. Hebammen würden vielleicht sogar andere Fragen stellen, wie schon 1992 Sir Ian Chalmers, ein Mitbegründer der Cochrane Collaboration, betonte. PD Dr. Mechthild M. Groß, praktizierende und forschende Hebamme an der Medizinischen Hochschule Hannover, bedauert ebenfalls das geringe biochemische Wissen unter Hebammen und die mangelnde Beteiligung an der PE-Forschung.

    Beim sich entwickelnden Blutscreening bezüglich einer Präeklampsie werden Hebammen hoffentlich nicht an den Rand gedrängt wie beim Neugeborenenscreening. Hierbei dürfen sie trotz gängiger Praxis seit einiger Zeit nur noch nach bestimmten Absprachen Blut abnehmen, die Eltern beraten dürfen sie schon gar nicht. Das Screening fällt nämlich unter das Gendiagnostikgesetz von 2010, obwohl es keine molekulargenetische, sondern eine chemische Analyse ist. Der Protest, etwa der Deutschen Gesellschaft für Neugeborenenscreening, half nichts.

    Der Stoffwechsel (Metabolismus) besteht aus Aufbau (Anabolismus) und Abbau (Katabolismus). Das sind Prozesse, die aerob innerhalb und anaerob außerhalb der Mitochondrien ablaufen. Gestalt und Funktion dieser kleinen Zellkraftwerke, die bei einigen der zwölf nach der Geburt zu testenden Stoffwechselkrankungen fehlerhaft arbeiten, sind faszinierend. Spannend ist auch das Kreatinkinase-System, das über einen winzigen Shuttle Gebärmuttermuskulatur und Plazenta mit Energie versorgt. Lässt man sich erstmal auf einige solcher Prozesse ein, kann man sich vielleicht für mehr begeistern und es ließe sich zukünftig auch noch eine PE-Forscherin unter den Hebammen finden.