Das Kerngeschäft muss sich rechnen

  • Katja Baumgarten: „Wie verfährt unsere Gesellschaft mit dem Berufsstand, in dessen Händen die Begrüßung der nächsten Generation liegt?“

  • Olga Gebauers Begrüßungsvorwort zur ersten Ausgabe des Vorläufers dieser Zeitschrift vor 125 Jahren liest sich heute beklemmend aktuell. 1886 gab es weder Gleichstellungsbeauftragte noch Antidiskriminierungsgesetz, nicht einmal das Frauenwahlrecht. Da erscheint es anachronistisch, dass „das Honorar, das man uns spendet oder für ausreichend erklärt" für viele Hebammen heute wie damals nicht zum Leben reicht. Selbst wenn sie sich im Alltag noch über Wasser halten können, steuern sie auf eine künftige Altersarmut zu: Ausreichende Rücklagen für Krankheit oder Ruhestand sind selten übrig. „Jede Leistung darf eine entsprechende Gegenleistung fordern", stellte Gebauer im vorletzten Jahrhundert schlicht fest. Wie bilden sich heute „unsere Ehre, unsere Achtung und Würdigung vor dem Publikum" in der Vergütung unseres verantwortungsvollen Einsatzes als Angestellte im Krankenhaus oder als Freiberuflerinnen ab? Der „äußere Gewinn" sei nötig, um den Lohn unserer Arbeit zu empfinden, um „Kraft und Ausdauer sowie die rechte Lust und Liebe zum Berufe aufrecht zu erhalten", drückte Gebauer es feinsinnig aus.

    Vergleiche mit anderen Berufsgruppen machen wütend oder ratlos. Wie verfährt unsere Gesellschaft mit dem Berufsstand, in dessen Händen die Begrüßung der nächsten Generation liegt? Ein Betriebswirtschaftler sagt mir kürzlich besorgt, er könne sich „vorsichtig ausgedrückt" nicht vorstellen, wie eine Hebamme über die Runden komme, beispielsweise mit einem Honorar von 30 Euro für eine Stunde Hilfeleistung bei Schwangerschaftsbeschwerden. Anders als bei Dienstleistungen auf dem freien Markt üblich, ist die „freie" Hebamme an die Vergütungsvereinbarung mit den Krankenkassen gebunden. Sie darf den Preis für ihre Leistungen nicht selbst kalkulieren und bewerten. Während ihr also vom Gesundheitssystem die Hände gebunden sind, wird gleichzeitig ihre wirtschaftliche Situation nicht mit adäquaten Gebühren gesichert.

    Hebammen und ihre Familien müssen von ihren originären Aufgaben Schwangerenvorsorge, Geburtshilfe, Wochenbettbetreuung und Stillberatung leben können. Es ist Kolleginnen unbenommen, sich weitere Aufgabengebiete neben der eigentlichen Hebammenarbeit zu erschließen. Beunruhigend ist allerdings der Trend, dass Hebammen sich aus Überlebensnot vom Kerngeschäft entfernen und auf andere Geschäftsfelder ausweichen – sei es als Händlerinnen von Babyprodukten, Kursleiterinnen oder Anbieterinnen alternativer Heilmethoden. Die fachliche Kernkompetenz der Hebamme als selbstständige Expertin für die gesunde Geburt darf sich in unserem Berufsstand nicht zerstreuen. Schon gar nicht, weil sich Geburtshilfe wirtschaftlich nicht mehr „rechnet". Die fortschreitende Medikalisierung der Mutterschaft braucht unsere gebündelte Energie und unser ständig weiter entwickeltes Wissen, um die Geburt gesund zu erhalten. Wenn wir es uns nicht mehr leisten können, uns auf diese Aufgabe zu konzentrieren, ist der Hebammenberuf verloren.