Der springende Punkt

  • Birgit Heimbach, Hebamme und seit 25 Jahren Redakteurin der DHZ: »Ohne Forschung hätten wir vielleicht noch ganz eigenwillige Vorstellungen von der Ernährung im Mutterleib.«

  • Immer genauer wird die Plazenta erforscht. In dieser Ausgabe stellen wir einige spannende Arbeiten dazu vor. Zeitgleich erscheint die neue, von der Kinderpathologin Prof. Dr. Annette Müller koordinierte S2k-Leitlinie zur pathomorphologischen Diagnostik dieses besonderen Organs.

    Bisher haben wir gelernt: Wenn sich der Trophoblast im Endometrium der Gebärmutter einnistet, geben die Zellen der Dezidua laktogene Stoffe ab, um die Brust auf die Milchbildung vorzubereiten, darunter das Plazentalaktogen (hPL). Inzwischen weiß man: Auch das Endometrium reagiert darauf, bildet wie die Brust Rezeptoren für das Milchbildungshormon Prolaktin aus und gibt aus 15 Drüsen pro Quadratmillimeter ein milchartiges Sekret ab: die Uterinmilch. Diese umspült ab dem 11. oder 12. Tag erste winzige Zotten und versorgt die Fruchtanlage mit Wachstumsfaktoren, kohlenhydratreichen Glykoproteinen wie Glycodelin und Osteopontin, Lipiden, Fettsäuren und immunmodulierendem Uteroglobin. Hinzu kommen Zerfallsprodukte der Schleimhaut. Gewebsernährung (Histiotrophie) nennt sich diese Art Versorgung, die Nahrung, die uterine Milch, nennt sich Histiotrophe. Der springende Punkt: Es fließt dabei kein Blut. Der Embryo ist noch so winzig, dass ihn der Druck des mütterlichen Blutes von der Gebärmutterwand lösen würde. Und es darf noch nicht viel Sauerstoff vorhanden sein – ein Schutz vor Sauerstoffradikalen und ein Anreiz für die Proliferation.

    Die ersten wenigen Erythrozyten in den kleinen Seen, den Lakunen, den Vorläufern des Intervillosum, in dem später das mütterliche Blut zirkuliert, sind noch blass. Als kleines Reservoir ermöglichen sie dem Embryo eine sich

     

    Die Zottenbäumchen erinnern an Korallen, die umspült werden.
    Foto: © Yang Yu/stock.adobe.com

    langsam steigernde Versorgung mit Sauerstoff. Erst allmählich bilden Plazenta und Frucht eigene Erythrozyten, erste primitive erythroide Zellen (Hämatopoese). Teils geht das so: In die sich bildenden Gefäße »knospen« die Erythroblasten aus Endothelzellen. Mit etwa elf Wochen ist der Embryo groß genug, um mit dem Blut der Mutter – hämotroph – zu korrespondieren. Die Zellen, die die Spitzen der rund 200 Spiralarterien verstopft haben, lösen sich auf und Blut wird zwischen die Zotten gespült, die immer mehr an Korallenbäumchen im Meer erinnern (siehe Titelbild).

    Ohne Forschung hätten wir noch eigenwillige Vorstellungen von der Ernährung im Mutterleib – wie einst der griechische Universalgelehrte Aristoteles (384–322 v. Chr.). Gleichwohl: Auch bei ihm spielte Milch eine Rolle für den Embryo, die denselben Ursprung wie Menstrualblut habe. Reiche die durch den Nabel gehende Nahrung für die Frucht wegen deren Größe nicht mehr, so werde die Milch der Brust brauchbar und es erfolge der Austritt aus der Mutter. Und immerhin: Bis heute kennt jeder den »springenden Punkt«. Der Gelehrte beschrieb damit erstmals das initial pulsierende winzige Herz von Hühnerembryonen. Beim Menschen schlägt es ab der 5. Schwangerschaftswoche. Fast ohne Sauerstoff. Auch das Myokard braucht zur Entwicklung die Hypoxie.