Die Wahrheit ans Licht bringen

Hebammen beraten – tagtäglich und so selbstverständlich, dass ihnen sicherlich nicht immer bewusst ist, welche wertvolle und für die Gesundheit der Familien nachhaltige Arbeit sie damit leisten. Dennoch ist Beraten als Handwerk noch nicht lange ein eigenes Fachgebiet in der Hebammenausbildung. Viele Kolleginnen wünschen sich deshalb Fortbildungen, um ihre eigene Beratungspraxis zu reflektieren und ihre Kompetenzen zu erweitern. Aus wissenschaftlicher Perspektive stehen wir erst am Anfang, die spezifischen Elemente der Beratung durch die Hebamme zu erforschen. Wir haben noch keine ausreichende Sprache für diese selbstverständliche und doch so elementare Arbeit – ebenso wenig wie es für die „gekonnte Nichtintervention“ während der Geburt noch keine umfassende Theorie gibt, die ihren salutogenetischen Stellenwert begründet.

Mäeutik heißt Hebammenkunst. Der griechische Philosoph Sokrates hat den Begriff in Anlehnung an den Hebammenberuf seiner Mutter für die Kunst der Gesprächsführung eingeführt. Er beschreibt das Wesen der beratenden Tätigkeit von Hebammen, sagt die Hebamme Verena Schmid. Mäeutik: die Kunst, die Wahrheit, welche in jedem Menschen verborgen ist, im Dialog durch das richtige Fragen ans Licht zu bringen. Dies geschieht, wenn die Hebamme die Kunst des richtigen Zuhörens beherrscht und sich der Beziehungsebenen bewusst ist. Den Beratungsprozess verstehen, heißt zu wissen, wie Kommunikation funktioniert. Das Verstehen des Prozesses bildet jedoch nur eine Dimension des Geschehens, denn im Beratungsdialog geht es immer um eine persönliche Begegnung. Niemals bleibt unsere Persönlichkeit „außen vor“. Im Gegenteil: Gerade die eigene Haltung und Wahrnehmung sind wichtige Instrumente des Prozesses. Deshalb stehen Selbstreflexivität und Beratungskompetenz in einem engen Verhältnis. Je mehr ich mir über mich bewusst bin, desto offener ist meine Wahrnehmung, desto mehr werde ich erkennen und intuitiv erfassen. Umso mehr kann ich empathisch und authentisch – und gleichzeitig mich zurückstellend – den Raum öffnen, in dem eine Frau ihre Wahrheit finden und Entscheidungen treffen kann.

Auch die Partner oder Partnerinnen und die unterstützenden Systeme der Frauen können in diesem Dialog wichtig sein, besonders wenn es um Entscheidungen und Konflikte geht, wie in Situationen rund um Pränatale Diagnostik. Hier erlebe ich, wie meine Anwesenheit es ermöglicht, dass werdende Eltern sich mit dem bisher „Unsagbaren“ konfrontieren, wie sie Worte finden und sich Gefühle zeigen können, die vorher zurückgehalten wurden. Auch wenn es keine „Lösungen“ gibt, ist es für mich beglückend, zu erleben, wie mehr Klarheit entsteht und Paare sich gestärkt fühlen. Ich wünsche mir, dass wir diese große Chance, die Ressourcen von Frauen und Familien zu stärken, noch weiterentwickeln – und darüber reden. Damit die hohe salutogenetische Bedeutung unserer Arbeit in unserem Gesundheitssystem eine angemessene Wertschätzung erhält!