Die Zeit bleibt nicht stehen

  • Katja Baumgarten: „Gerade bei der Betreuung der abgebenden Mutter liegt noch manches im Argen.“

  • Adoptiveltern holen ihr neugeborenes Adoptivkind aus dem Krankenhaus ab und bemerken, wie eine Frau die Übergabe von Ferne beobachtet. Es ist die leibliche Mutter, die ihr Kind auf Grund einer psychischen Erkrankung zur Adoption freigegeben hat. Sie steht dort völlig allein, ohne professionelle Begleitung. Ein Erlebnis aus der Wirklichkeit. Für die „frisch gebackenen“ Adoptiveltern ist die Situation außerordentlich unangenehm und bestürzend. Wie verheerend sie sich wahrscheinlich auf die seelische Verfassung der kranken Mutter auswirkt, können wir ahnen. Gerade bei der Betreuung der abgebenden Mütter liegt noch manches im Argen, wo die einfühlsame Kompetenz von Hebammen unverzichtbar ist.

    Dass ein Kind von der eigenen Mutter in die Hände neuer Eltern gegeben werden muss, ist glücklicherweise in den vergangenen Jahren immer seltener notwendig geworden. Frauen, die sich heutzutage nicht zutrauen, ihr Kind selbst zu versorgen, leiden selten nur unter wirtschaftlichen oder kurzfristig lösbaren Problemen ihrer Lebenssituation. Die Entscheidung, sich zum Wohle des Kindes von ihm zu trennen, zeugt von großem Verantwortungsbewusstsein. Eine unserer Autorinnen zum Titelthema, die Rechtsanwältin Astrid Doukkani-Bördner, ist häufig mit einer dramatischen Problematik konfrontiert. Sie warnt davor, dass Hebammen in guter Absicht eine einmal getroffene Entscheidung, das Kind zur Adoption freizugeben, wieder in Frage stellen oder gar die Mutter dazu überreden, das Neugeborene doch zu behalten. Das erste Lebensjahr ist eine wichtige prägende Zeit, die entscheidend für die weitere Entwicklung des Kindes ist. Für das Kind bleibt die Zeit nicht stehen – die unentschiedene Situation, wenn ein Kind zwischen grundlegend überforderten Eltern und einer Pflegefamilie hin- und hergereicht wird, um dann doch vielleicht erst Jahre später zur Adoption freigegeben zu werden, kann für dieses Kind irreparable Folgen haben. Eine respektvolle Begleitung, wenn eine Mutter die Grenzen ihrer Möglichkeiten erkannt hat, kann in dieser schmerzhaften Lebenssituation heilsam sein.

    Wenn eine offene Adoption möglich ist, können die notwendige Trennung und der neue Anfang für alle Beteiligten versöhnlich gestaltet werden. Von einem ermutigenden Beispiel hat Ingrid Kloster mir berichtet – auch sie ist Autorin zu unserem Titelthema: Eine Familie hatte sich für die offene Adoption entschieden und konnte schon vor der Geburt mit der leiblichen Mutter in Verbindung treten, zu der heute noch Kontakt besteht. Die Adoptiveltern durften im Vorraum des Kreißsaals warten, während ihr „zukünftiges“ Kind zur Welt kam. Nach der Geburt verabschiedete sich die leibliche Mutter von ihrem Baby und legte es der Adoptivmutter in den Arm. Danach wurde die Adoptivfamilie auf der Wochenstation des kleinen Krankenhauses im Familienzimmer aufgenommen und dort mehrere Tage betreut, wie jede andere junge Familie auch.