Ein Präventionsfeld in prekärer Lage

  • „Guter Start ins Leben. Wie Hebammen helfen", lautet der Titel eines Flyers des Deutschen Hebammenverbandes (DHV), der in acht Sprachen verfügbar ist. Unter anderem wird darin die Hebammenbegleitung im Wochenbett ausführlich beschrieben. Angesichts der derzeitigen Lage müsste hier ehrlicherweise hinzugefügt werden: „... wenn Sie das Glück hatten, eine Hebamme zu finden und diese ausreichend Kapazitäten hat".

    Denn die Wirklichkeit ist dramatisch. Eine grundlegende Aufgabe unseres Berufsstandes und eine essenzielle Ressource für Frauen- und Kindergesundheit sind in Gefahr. Die Zustände werden immer prekärer. Nur gut informierte Frauen haben die Chance, zu Beginn ihrer Schwangerschaft noch eine Hebamme zu finden. Migrantinnen oder geflüchteten Frauen, die in unserem Gesundheitssystem nicht zu Hause sind, gelingt dies oftmals nur durch Zufall, wenn unerwartet ein Platz frei wurde.

    Immer weniger Hebammen bieten Wochenbettbegleitung an und diejenigen, die zur Verfügung stehen, können sich nicht retten vor Anfragen. Sie stehen vor der Frage, ob sie jetzt wenige Frauen intensiv begleiten, oder viel mehr Frauen ihre Hilfe zukommen lassen, als gut wäre – in dem Bewusstsein, dass sie dann nicht mehr optimal arbeiten und bei einem „Wochenbett light" das Risiko eingehen, sich selbst zu gefährden. Welche Frau braucht meine Hilfe am meisten? Die Antwort ist: Jede! Die Privatpatientin genauso wie die geflüchtete Frau. Alle sind Mütter.

    Im Blick auf diese dramatische Situation mutet es fast grotesk an, dass der Umfang der den Frauen zustehenden Hebammenbegleitung bei uns – im europäischen Vergleich – großartig ist. Ein riesiges Präventionsfeld, in dem Hebammen nachhaltig für die Gesundheit von Frauen und Familien im Sinne der Salutogenese tätig sein könnten. Im Übergang zur Elternschaft können Hebammen entscheidende Weichen stellen und unserem Gesundheitssystem viele Kosten ersparen.

    Die Folgen der großen Lücke, die jetzt entsteht, werden gravierend sein. Sie werden die Gesundheit von Müttern, Kindern und Familien beeinträchtigen und unnötige Kosten im Gesundheitssystem erzeugen. Wenn immer weniger Hebammen bei den Familien sein können, ist das Vermitteln einer gesundheitsfördernden Wochenbettkultur nicht mehr möglich.

    Ein weiteres Mal zeigt sich, wie eng die reproduktive Frauengesundheit und die gesellschaftliche Position der Hebammen miteinander verflochten sind. Es wird keine schnellen Lösungen geben, dafür ist die Lage der Hebammen schon viel zu sehr am Abgrund. Im Alltag gehen Frauen und Hebammen mit dem Mangel um. Sie suchen und finden pragmatische Lösungen wie beispielsweise eine ambulante Wochenbettbetreuung. Das ist gut so. Wir sollten alles Mögliche tun, um Frauen und Familien nicht alleine zu lassen. Eine nachhaltige Lösung kann jedoch nur eine politische sein.