Faszinierend, leidenschaftlich und herausfordernd

  • Angelica Ensel: »Was können wir den werdenden Hebammen mitgeben, damit sie trotz aller Widrigkeiten bleiben und sich für einen Wandel unserer Geburtskultur engagieren?«

  • Hebamme – wenige Berufe lösen so unmittelbar Emotionen und Assoziationen aus. Von großer Begeisterung bis hin zu schmerzlichen Erinnerungen an Verluste oder eine zutiefst verletzende Geburtserfahrung reicht das Spektrum. Hebammen begleiten Frauen und Familien in existenziellen Situationen. Was für die werdenden Eltern eine absolute Ausnahmesituation darstellt, ist Arbeitsalltag von Hebammen. Nur wenige Berufe sind so nah dran am Leben. Die eindrucksvolle Intensität der Hebammenbegleitung verweist auf die große Verantwortung, die mit dieser Arbeit verbunden ist. Sie hinterlässt tiefe Spuren.

    Hebamme – ein Beruf, der viele Dimensionen des Wissens umfasst, vielfältige Arbeitsfelder und einer umfangreichen Palette an Möglichkeiten bietet, die persönliche professionelle Identität zu entwickeln und zu gestalten. Hebammen forschen, gestalten die akademische Ausbildung, erobern neue Fachgebiete, gründen Geburtshäuser und etablieren gelungene Modelle interprofessioneller Zusammenarbeit.

    Gleichzeitig steckt die Geburtshilfe seit Jahren in einer Krise. Eine unglaubliche Verdichtung der Arbeit führt zu großer Belastung der begleitenden Berufsgruppen. Hinzu kommen Medikalisierung und Pathologisierung gesunder Prozesse. In der Öffentlichkeit werden die Erfahrungen von Respektlosigkeit und Gewalt der Frauen und Familien zunehmend lauter und gehört. Immer mehr Hebammen verlassen die klinische Geburtshilfe. Gleichzeitig herrscht seit langem Notstand in der Wochenbettbetreuung und häufig werden gerade diejenigen, die es am dringendsten bräuchten, nicht versorgt – obwohl mehr Hebammen als je ausgebildet werden. Über ethische Verwerfungen in der Arbeit von Hebammen wird auch innerhalb der Berufsgruppe kaum öffentlich gesprochen. Auch der Hebammenberuf befindet sich in einer Krise, schon seit Jahren.

    Aber: Noch immer ist »Hebamme« ein Traumberuf. Jedes Jahr beginnen hunderte Studierende ihre Ausbildung voller Idealismus, Leidenschaft und mit großem Engagement. Nur wenige von ihnen arbeiten später in der klinischen Geburtshilfe, noch weniger bleiben dort langfristig. Was können wir den werdenden und jungen Hebammen mitgeben, damit sie trotz aller Herausforderungen und Widrigkeiten bleiben und sich gemeinsam mit uns engagieren für einen notwendigen Wandel unserer Geburtskultur? Dieser wird nur gemeinsam und in einem großen gesellschaftlichen Bündnis gelingen. Und nur dann, wenn es uns gelingt weiterzugeben, was uns so wertvoll ist an diesem Beruf, der auch eine Berufung ist: eine menschenwürdige Geburtshilfe, die der existenziellen Dimension unserer Arbeit gerecht wird, die auch uns immer wieder zutiefst berührt und unsere Leidenschaft begründet.