Frage an die Vergangenheit

  • Britta Zickfeldt

  • Beim Lesen der Artikel im Schwerpunktthema kommen all die Fragen in mir hoch, die sich bei der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus immer wieder stellen: Was hat die Menschen in dieser Zeit angetrieben? Haben sie sich in den Gedanken der Rassenideologie tatsächlich wiedergefunden? Wie konnte jeder Einzelne mit dem Grauen und der Unmenschlichkeit dieser Zeit leben?

    Es gibt keine pauschale Antwort. Es sind einzelne Lebenswege, die wir uns ansehen können. Aber auch diese bleiben uns häufig fremd. Wer war Nanna Conti? Was waren ihre Beweggründe, das rassistische, menschenfeindliche Gedankengut dieser Zeit zu verbreiten und damit unter anderem zur Euthanasie aufzurufen? Anja Peters ist in ihrer Doktorarbeit auf Spurensuche gegangen und fasst ihre Ergebnisse in diesem Heft zusammen. Ich kann nur schwer nachvollziehen, wie Menschen den Gedanken der Rassenideologie folgen konnten. War es die Angst vor dem „Unbekannten", der wir aktuell auch in Deutschland wieder auf erschreckende Art begegnen? War es der Wunsch nach Macht, kurz nach den bedrückenden Erlebnissen des ersten Weltkrieges? Was treibt Menschen dazu, sich über andere zu erheben?

    Nanna Conti bleibt mir fremd. Gleichzeitig betrifft mich – wie jeden anderen – die Zeit des Nationalsozialismus auch persönlich: Unsere Eltern und Großeltern sind Kinder dieser Zeit. Mein Großvater, an den ich sehr liebevolle Erinnerungen habe und der mir eben gar nicht fremd ist, war Verleger der Hebammenzeitschrift. Wenn ich mir die Ausgaben der „Zeitschrift der Reichsfachschaft Deutscher Hebammen" oder „Die Deutsche Hebamme", wie die Hebammenzeitung nach der Gleichschaltung hieß, ansehe, erkenne ich meinen Großvater nicht, so wie ich ihn vor Augen und in Erinnerung habe. Er war ein gebildeter und kluger Mann. Ein Mensch, der sein großes Wissen gerne weitergegeben hat. Eine Verlegerpersönlichkeit, dem die Sache der Hebammen am Herzen lag. Die Texte in der Rubrik „Erbgesundheit und Rassenpflege" kann ich nicht mit ihm in Verbindung bringen. Als Verleger hat er sie zwar nicht geschrieben, aber er muss sie gelesen, zum Teil sogar redigiert haben. Was hat ihn getrieben, die Propaganda der Nationalsozialisten in seiner Zeitschrift zu veröffentlichen – und damit zu verbreiten? War es für ihn ein Konflikt und die einzige Möglichkeit, die Zeitschrift weiter herausgeben zu können? Eine Zeitschrift, die auch in dieser Zeit die Hebammen – neben einer menschenverachtenden Propaganda – mit praxisrelevanten Themen versorgt hat. Könnte ich das als Grund akzeptieren? Ich bedaure, ihn nicht selbst gefragt zu haben.

    130 Jahre Hebammenzeitschrift: Wir blicken auf eine lange Vergangenheit und haben uns entschieden, in dieser Jubiläumsausgabe den Fokus auf „Nanna Conti und ihre Zeit" zu legen. Ein schweres und dunkles Thema, das Katja Baumgarten als Redakteurin mit großem Engagement konzipiert und ausgearbeitet hat. Wir stellen fest, dass es zur Rolle der Zeitschrift in dieser Zeit noch viel zu forschen gibt. Auch wenn wir als Fachmagazin nach vorne sehen – der Blick zurück gehört dazu.