Hinterm Horizont geht‘s weiter …

  • Lernen heißt, Grenzen überschreiten. Wie lange hat ein Kind unermüdlich geübt, bis es eine neue – die vertikale – Ebene erreicht hat und sich aufrichten kann! Welch ein Stolz, was für ein Glück, wenn dies gelungen ist! Der Prozess des Lernens stimuliert sich selbst und ohne Lernen gäbe es keine soziale Entwicklung. Aus anthropologischer Sicht ist es überlebensnotwendig, dass wir lernen. Dieser Prozess dauert ein Leben an. Das beeindruckende Entwicklungspotenzial des Menschen wird durch den Prozess des Lernens selbst aktiviert und gestaltet. Wir sind so strukturiert, dass dieser Prozess gar nicht aufhören darf. Wenn wir „Feuer gefangen" haben, im Flow sind, gibt es etwas, was uns von innen antreibt. Wir wollen uns weiterentwickeln.

    „Jedes Kind ist hochbegabt", sagt der Hirnforscher Gerald Hüther und fordert, dass wir Kindern den Raum geben, in dem sich ihre Fähigkeiten entfalten können. Die Ergebnisse der Hirnforschung bestätigen: Lernen ist unmittelbar mit Emotionen verbunden. Es kann uns glücklich machen!

    Staunen, Neugier und Selbstkritik sind wichtige Aspekte von Lernen und Forschung. Sie sind das Gegenteil von Starrheit und Begrenzung. Ein Kleinkind hat keine Angst, den gerade gebauten Turm wieder umzustoßen und neu aufzubauen. „Auf ein Neues", scheint sein Forschergeist zu sagen.

    Lernen kann ein Luxus sein, den wir uns leisten. Oder es ist überlebensnotwendig, weil wir etwas verändern müssen. Die Krise unseres Berufsstandes fordert, dass wir uns bewegen und die eigene Entwicklung in die Hand nehmen. Wir brauchen dringend Strategien, um die Existenz der Hebammen und die normale Geburt zu retten. Bildung ist ein Kapital, das uns keine Bank der Welt nehmen kann.

    Unsere Berufsethik verpflichtet uns zur Weiterbildung. Das sind wir nicht nur uns selbst schuldig, sondern vor allem unserer Verantwortung den Frauen, Kindern und Familien gegenüber, die wir begleiten. Dieses Lernen findet nicht nur alleine, sondern auch in und durch die Gemeinschaft statt – im Dialog, im konstruktiven Streit, im Reflektieren des eigenen Handelns und der alltäglichen Routinen. Das ist manchmal unbequem, denn es konfrontiert mit Schwächen oder Wissenslücken, aber es hält uns lebendig und erschließt neue Aktionsräume.

    Über den eigenen Tellerrand blicken heißt auch, aus anderen Fachgebieten zu lernen. In kommunikativen Prozessen werden Erkenntnisse auf ihre Wertigkeit und Praxistauglichkeit hin überprüft. „Wenn ich nur Hebamme geblieben wäre, hätte ich nur ein Zehntel meines Wissens", sagte mir neulich eine Kollegin. Sie ist Hebamme geblieben, doch sie hat ihr Wissen beständig erweitert. In einem Bereich, der ihr besonders am Herzen lag, ist sie in die Tiefe gegangen und zur Spezialistin geworden. Das hat auch finanziell Früchte getragen und hilft ihr nun in Zeiten der Krise.