Intelligente Gene

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    Die wahrhaft wichtigste Phase des Lebens sei nicht Geburt, Tod oder Hochzeit, sondern die Gastrulation, erklärte 1962 Prof. Lewis Wolpert, einer der weltweit renommiertesten Entwicklungsbiologen. Sonst wären wir platt wie ein Pfannkuchen. Erst bei diesem Prozess der Embryogenese wird die flache Keimscheibe mit dem Primitivstreifen dreidimensional und durchläuft eine faszinierende Metamorphose. Am Ende der achten Schwangerschaftswoche ist ein zartes Wesen als Mensch erkennbar, drei Zentimeter groß. Etwas befremdlich, dass der Kopf fast die Hälfte der Gesamtlänge einnimmt, aber selbst Details wie Augenlider sind schon deutlich erkennbar. Die Organogenese ist abgeschlossen.

    Um die spannende Embryonalzeit geht es im Titelthema dieser Ausgabe. In den vergangenen Jahren wurde immer genauer erforscht, wie und wann genau sich die Entwicklungsschritte vollziehen. So kennt man fast alle Details der Herzdifferenzierung, wie etwa Zellen auf das winzige schlagende Organ springen, es ummanteln und bald als Kranzgefäße mit Sauerstoff versorgen. Solche Details sind wichtig, um zu verstehen, wie Fehlbildungen etwa durch Medikamente oder andere Stoffe entstehen können.

    Seit in den 1950er Jahren die DNS entdeckt wurde, lernten Wissenschaftler, dass Gene von Anfang an die Entwicklung jedes noch so kleinen Körperteils steuern, bei jedem Merkmal Hunderte von ihnen. Man konnte auch das Schlüsselgen beim Bau des Primitivstreifens identifizieren: das so genannte T-Gen. Zellbiologen wie Prof. Bruce Lipton erkannten in den 70er Jahren, dass Gene wiederum durch ihr Umfeld aktiviert werden. Man fand heraus, dass Gene intelligent sind, miteinander kommunizieren, sich erinnern und agieren. Ihre Wahrnehmung steuert sozusagen die Biologie. Den epigenetischen Code zu entschlüsseln, ist eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen der verhältnismäßig neuen Disziplin der Epigenetik. Immer deutlicher entpuppen sich Erkrankungen als epigenetisch gesteuert, etwa durch Stress der Mutter, den Ungeborene erfahren haben. Ein Grund für Hebammen, Eltern dementsprechend aufzuklären. Lipton ist sogar der Ansicht, dass das Unterbewusstsein der Mutter und ihre Einstellung zum Kind Einfluss auf die Gene habe. Der wichtigste Wachstumsimpuls überhaupt sei ihre Liebe.