Investition in die Zukunft

  • Dr. Angelica Ensel, Hebamme, Ethnologin und Redakteurin der DHZ: »Das neue Hebammengesetz erkennt die Bedeutung der Praxisanleitung an.«

  • Fast jede Hebamme kennt Erfahrungen von Demütigung, Erniedrigung und Unverständnis aus der eigenen Ausbildung. Szenen, die sich tief eingebrannt haben – als sei es erst gestern passiert. Generationen von Hebammen haben das erlebt – bis heute.

    Die Weitergabe von Angst, Einschüchterung und Verletzungen über Generationen als Teil der beruflichen Sozialisation spiegelt die strukturelle Gewalt in der Geburtshilfe. Die Auszubildenden nehmen diese am stärksten wahr, gegenüber sich selbst ebenso wie gegenüber den Frauen und Familien. Ihr Erleben konfrontiert uns mit den Schwachstellen des Systems. Diese haben dramatische Auswirkungen für unsere Profession und die Geburtshilfe. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Erfahrungen im Kreißsaal und die Art der Praxisanleitung entscheidend sind für die weitere berufliche Entwicklung. Immer wieder brechen Hebammen die Ausbildung ab, nicht wenige arbeiten danach nie wieder in der Geburtshilfe.

    Das neue Hebammengesetz erkennt die Bedeutung der Praxisanleitung an. Es gibt vor, dass 25 % des Praxiseinsatzes in einer Eins-zu-eins-Begleitung durch eine qualifizierte Fachkraft erfolgen soll, in einer Übergangszeit mindestens 15 %. Diese Neuverortung ist ein Paradigmenwechsel. Er öffnet die Tür für eine neue Lernkultur. Für viele der hochmotivierten Hebammen, die sich für eine Weiterbildung zur Praxisanleiterin entscheiden, spielen die Erfahrungen aus der eigenen Ausbildung eine wichtige Rolle. Mit ihrer Anleitung wollen sie einen Unterschied machen: ihr Wissen weitergeben, einen Lernprozess ohne Angst begleiten, einen Raum der Entwicklung herstellen. Als Mentorin sehen sie die werdende Hebamme als »Schutzbefohlene«, wie die Hebammenwissenschaftlerin Monika Greening es ausdrückt. Sie möchten eine Ansprechpartnerin sein, die mit der Studierenden nicht nur Lernerfahrungen reflektiert, sondern auch damit verbundene Sorgen, Ängste und bedrückende Erfahrungen.

    So wird die Praxisanleitung zu einer tragenden Säule im Hebammenstudium. Damit dies gelingen kann, braucht es allerdings weitere Säulen wie eine Vernetzung im gesamten Ausbildungsprozess, eine enge Zusammenarbeit der Lernorte sowie beständigen Austausch mit allen Beteiligten. Auf dieser Basis hat Praxisanleitung in ihrer Schlüsselfunktion die Chance, einen Unterschied zu machen. Diese beginnende Entwicklung hat – gemeinsam mit politischen Anstrengungen für eine gesunde Geburt durch einen Nationalen Geburtshilfegipfel – das Potenzial, den Umgang mit herausfordernden Aufgaben wie »Gewalt in der Geburtshilfe« und »Theorie-Praxis-Gap« zu verändern, um Geburtshilfe frauen- und familiengerecht zu gestalten.

    Die Sorge für unseren Nachwuchs ist eine Investition in die respektvolle, gesunde Geburt und in die Zukunft unserer Profession – damit Hebammen nach dem Abschluss ihrer Ausbildung wieder Lust haben auf Geburtshilfe in einer Klinik.