Leben heißt sich bewegen

  • Dr. Angelica Ensel: „Frauen, die sich körperlich fit und mental gestärkt fühlen, sind eher bereit, sich auf die Geburt als eine körperliche Herausforderung einzulassen.“

  • Gebären ist eine immense körperliche Anstrengung. Sie wird verglichen mit der Besteigung eines hohen Berges oder mit einem Marathonlauf. Die Schlussfolgerung, dass hier ein Ausdauertraining zur Vorbereitung durchaus angemessen sein könnte, wurde jedoch von Hebammen und ÄrztInnen noch kaum in Betracht gezogen. Vielleicht zeigt sich auch darin eine Missachtung des schwangeren Frauenkörpers in seiner Kompetenz? Körperarbeit im Sinne von Training wurde über lange Zeit vernachlässigt. In Bezug auf Sport wurden die Frauen eher zur Vorsicht und Zurückhaltung ermahnt – die Angst vor den Gefahren einer zu großen Belastung dominierte. So waren die Schwangeren eher verunsichert, schonten sich oder gaben ihre sportlichen Aktivitäten auf. Auch in Geburtsvorbereitungskursen besteht die Körperarbeit bis heute hauptsächlich aus Atem-, Entspannungs- und Beckenbodenübungen. Der weitaus größte Teil der Zeit ist der Information und dem Austausch der werdenden Eltern gewidmet.

    Diese Tendenz ändert sich zunehmend und das ist gut so. In den letzten Jahren haben Sportwissenschaftlerinnen und Hebammen immer mehr Bewegungsangebote für die Schwangerschaft entwickelt – von Yoga über Schwimmen und Tanzen zu neuen Formen der Gymnastik. Und sie werden gut angenommen. Frauen, die regelmäßig Sport treiben, wollen dies auch in der Schwangerschaft nicht missen. Wie wirksam regelmäßiges Training ist, zeigen wegweisende Erkenntnisse aus der Sportwissenschaft. Bewegung ist lustvoll, reduziert Stress und steigert das Wohlbefinden. Sportlich aktive Frauen benötigen während der Geburt weniger Analgetika und Spasmolytika und sie sind weniger anfällig für depressive Verstimmungen, auch im Wochenbett. Das Gefühl der Kontrolle über den Körper stärkt in dieser Zeit des Umbruchs das Selbstwertgefühl und die Kompetenz.

    Warum nicht die Geburt auch als sportliche Leistung sehen? Als kraftvollen dynamischen Prozess, auf den sich Frauen durch den Aufbau von Muskeln und die Stärkung der Bänder vorbereiten können. Frauen, die sich körperlich fit und mental gestärkt fühlen, sind eher bereit, sich auf die Geburt als eine Herausforderung einzulassen.

    Angesichts der Tatsache, dass hohes Übergewicht eine ernstzunehmende Gefährdung für die Schwangere und das Ungeborene darstellt, sind Sportangebote ein wichtiges Element der Prävention, bei dem Hebammen als Multiplikatorinnen eine zentrale Rolle spielen können. Das funktioniert am besten, wenn Hebammen selbst Lust auf Bewegung haben und diese eigene Leiberfahrung weitergeben. Mit anderen Worten: Hebammen, die sich selbst bewegen, bringen auch die Frauen in Bewegung! Eine Erkenntnis, die durchaus mehrere Deutungsdimensionen verträgt.