Selbst und ständig?

  • Direkt nach der Hebammenausbildung begann ich 1996 meine freiberufliche Tätigkeit. Dafür bedurfte es nur wenig Ausstattung. Ein 18 Quadratmeter großes Arbeitszimmer innerhalb der Frauen-WG, darin ein Sofa, eine Kommode, ein winziger Schreibtisch, erstanden auf einem Flohmarkt, und eine Untersuchungsliege in Form einer Matratze auf einem Podest. Auch der administrative Anteil an der Arbeitszeit war noch äußerst gering. Für die Dokumentation genügte eine selbst erstellte Karteikarte und für die Abrechnung ein Block mit Vordrucken, dazu Blaupauspapier, Briefumschläge und Briefmarken. Für die Kalkulation meines Arbeitspensums und meiner Einkünfte nutzte ich zwei DIN A5-Blätter – handgeschrieben. Die ersten beiden Jahre war ich zu Hausbesuchen mit dem Fahrrad unterwegs und für meine Kursangebote hatte ich mich stundenweise in einem Bildungszentrum eingemietet. Gelegentlich gönnte ich mir Supervision. Alles war einfach und überschaubar strukturiert. Und es funktionierte bestens.

    Heute, knapp 20 Jahre später, ist der Anteil der Arbeiten rund um die eigentliche produktive Arbeit mit Frau und Kind erheblich gestiegen. Die Einnahmen sind im Verhältnis zum effektiven Stundenlohn stark gesunken. Das lässt sich nur mit mehr Kundinnen und kürzeren Nachsorgeterminen auffangen. Computer und Abrechnungsprogramme beschleunigen die administrativen Aufgaben, müssen aber bezahlt werden, ebenso wie Homepage und Werbeflyer. Hohe Kosten versursacht auch das Auto, um eine höhere Anzahl an Hausbesuchen zu erledigen, ebenso die Miete eigener Praxisräume für Kurse und Einzelbetreuung. Für viele selbstständige Hebammen ist eine Bürohilfe sinnvoll geworden, denn diese arbeitet schneller und effektiver und erhöht die Zeit für die originäre Hebammenarbeit. Für die eigenen Kinder braucht es wegen der längeren Arbeitszeiten eine kostenintensivere Betreuung. Dokumentation, Abrechnungen, Quittierungen und das QM-Handbuch füllen Schreibtisch und Regale. Sie müssen sachgerecht aufbewahrt werden, am besten in einem oder mehreren feuersicheren und abschließbaren Stahlschränken in einem separaten Arbeitszimmer. Aber das ist ja steuerlich absetzbar! Für die Steuererklärung brauchen Hebammen längst professionelle Beratung, das Honorar bemisst sich an der Höhe des Umsatzes.

    Alle Rahmenbedingungen der freiberuflichen Hebammenarbeit wurden professionalisiert – teils aus einer aus dem eigenen Beruf hervorgegangenen Dynamik, teils auf Forderungen von Seiten der Krankenkassen hin. Tausende selbstständige Hebammen haben sich kontinuierlich mehr oder weniger erfolgreich angepasst. Manche hat dies zur Aufgabe bewegt, andere zu immer größerer Leistungsbereitschaft angespornt. Es entstehen immer neue Formen der Zusammenarbeit, Nischen und Erfolgsmodelle. Die Arbeit an und mit Frau und Kind aber hat sich kaum gewandelt …

    Wenn Sie noch oder wieder über eine freiberufliche Tätigkeit nachdenken, hoffen wir, Ihnen mit diesem Heft nützliche Anregungen an die Hand geben zu können, denn dieser Schritt will heute mehr denn je wohlüberlegt sein. Im September werden wir dann im Schwerpunkt „Berufspolitik" die politische Seite in den Blick nehmen. Ich möchte Sie dazu einladen, sich durch unsere Beiträge zu diesem Thema neu inspirieren zu lassen.